logo

Leitartikel

Spitalpolitik ohne Kantonsgrenzen: Gern, aber zu spät

Nun sitzen sie also wirklich zusammen, fünf Ostschweizer Gesundheitsdirektoren, und unterschreiben eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit in der stationären Gesundheitsversorgung. Das ist schön. Aber spät. Und es darf kein reines Symbol bleiben.

Stefan Millius am 26. Februar 2020

Das kennt man aus Filmen. Da hätte einer dem Henker entrinnen können mit einem sauberen Geständnis. Aber er hat sich geweigert. Nun hat er den Hals bereits in der Schlinge und entschliesst sich, endlich reinen Tisch zu machen. Zu spät leider, die Falltür öffnet sich. Den richtigen Zeitpunkt verpasst.

Etwa so kommt einem das Gebaren der Kantone St.Gallen, Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden, Graubünden sowie Glarus vor. In den meisten von ihnen ist das Gesundheitswesen auf dem Prüfstand, um es milde auszudrücken. In St.Gallen regiert (und entscheidet) seit geraumer Zeit die nackte Panik, in Ausserrhoden ist die Situation jedenfalls relativ betrachtet ähnlich, in Innerrhoden hadert man mit einem Spitalneubau, den das Volk wollte, der aber kaum mehr Sinn macht. Vor diesem Hintergrund darüber nachzudenken, wie man die stationäre Gesundheitsversorgung - sprich das Spitalwesen - gemeinsam lösen könnte, scheint nur logisch.

Aber lange wollte keiner. Nun wollen sie. Weil es nicht mehr anders geht. Oder weil man mit einem symbolischen Treffen die Gemüter beruhigen will?

Am kommenden Mittwoch treffen sich die Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren der genannten Kantone in Rapperswil-Jona, um eine Absichtserklärung zu unterschreiben. Wie diese im Detail aussieht, ist offen. Man wird wohl festhalten, dass man bereit ist, sich bei der künftigen Spitalplanung gegenseitig abzustimmen. Dies notabene, während die St.Galler Regierung knietief in Vernehmlassungsantworten zu einem neuen Spitalmodell steckt, das sie umsetzen will. Wie muss man sich das vorstellen? Eine komplette Neuordnung der Spitallandschaft wird in Einklang gebracht mit den Bedürfnissen mehrerer Nachbarkantone?

Und vor allem: Eine Absicht zu erklären ist nicht dasselbe wie handeln. Es ist eine denkbar unverbindliche Art, auszudrücken, dass man bereit ist, darüber nachzudenken. Absichten können sich ändern. Im Moment sprechen wir von einem rein symbolischen Akt.

Und dieser Akt steht unter einem schlechten Stern. Wie aus den politischen Kreisen in St.Gallen zu vernehmen war, hatten die fünf Regierungsmitglieder nur schon grösste Probleme, sich auf einen Ort für die Medienkonferenz zu einigen. Bei solchen Eitelkeiten ist nicht anzunehmen, dass Gespräche über die Zusammenarbeit im komplexen Spitalbereich einfacher sein werden.

Die Art und Weise, wie zur feierlichen Unterschrift eingeladen wird, ist im Grunde humoristisch. Allen Ernstes steht da: «Patientinnen und Patienten orientieren sich nicht an den Kantonsgrenzen, sondern lassen sich dort behandeln, wo sie sich in ihrem Lebensalltag ebenfalls aufhalten. Das Leben in den sogenannten funktionalen Räumen verlangt von den Kantonen eine interkantonale Denkweise – gerade auch in der Gesundheitsversorgung.»

Tatsächlich? Und für diese Einsicht musste es 2020 werden? Bevor man das gemerkt hat, wurde in St.Gallen die bewusste stationäre Versorgung an die Wand gefahren, und Appenzell Innerrhoden sagte Ja zu einem Spitalneubau in einem Akt des föderalistischen Grössenwahns?

Es ist schön, dass die fünf Kantone «in Zukunft die Gesundheitsversorgung gemeinsam planen» wollen. Aber es ist gleichzeitig das, was man auf Englisch als «too little, too late» bezeichnet.

Dass man die Gesundheitsversorgung in funktionalen Räumen statt in Kantonsgrenzen denken muss, haben kluge Köpfe schon vor 20 Jahren und mehr gesagt. Was wurde getan? Es wurde ignoriert - und der status quo bewahrt. Und die Gesundheitsdirektoren, die zum Teil wenige Kilometer voneinander entfernt im Büro sitzen, dachten nicht einmal daran, die Köpfe zusammenzustrecken. Jetzt, in grösster Not, denken sie plötzlich um. Oder tun so als ob. Das ist keine vorausschauende Politik, das ist eine Art Katastrophenszenario. Reagieren statt agieren.

Übrigens: Zwei Schlüsselfiguren, die ihre Unterschrift unter die Absichtserklärung setzen werden, sind längst nicht mehr im Amt, wenn aus der Absicht eine Handlung werden soll. Die St.Galler Regierungsrätin Heidi Hanselmann, die 16 Jahre lang das Credo «Kein Spital wird geschlossen» vorgebetet hat und dank dessen im Amt blieb. Und Antonia Fässler, Innerrhoder Regierungsrätin, eine der treibenden Kräfte eines Spitalneubaus in Appenzell.

Ach ja: Wo steckt eigentlich der Thurgau?

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.