Nun sitzen sie also wirklich zusammen, fünf Ostschweizer Gesundheitsdirektoren, und unterschreiben eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit in der stationären Gesundheitsversorgung. Das ist schön. Aber spät. Und es darf kein reines Symbol bleiben.
Das kennt man aus Filmen. Da hätte einer dem Henker entrinnen können mit einem sauberen Geständnis. Aber er hat sich geweigert. Nun hat er den Hals bereits in der Schlinge und entschliesst sich, endlich reinen Tisch zu machen. Zu spät leider, die Falltür öffnet sich. Den richtigen Zeitpunkt verpasst.
Etwa so kommt einem das Gebaren der Kantone St.Gallen, Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden, Graubünden sowie Glarus vor. In den meisten von ihnen ist das Gesundheitswesen auf dem Prüfstand, um es milde auszudrücken. In St.Gallen regiert (und entscheidet) seit geraumer Zeit die nackte Panik, in Ausserrhoden ist die Situation jedenfalls relativ betrachtet ähnlich, in Innerrhoden hadert man mit einem Spitalneubau, den das Volk wollte, der aber kaum mehr Sinn macht. Vor diesem Hintergrund darüber nachzudenken, wie man die stationäre Gesundheitsversorgung - sprich das Spitalwesen - gemeinsam lösen könnte, scheint nur logisch.
Aber lange wollte keiner. Nun wollen sie. Weil es nicht mehr anders geht. Oder weil man mit einem symbolischen Treffen die Gemüter beruhigen will?
Am kommenden Mittwoch treffen sich die Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren der genannten Kantone in Rapperswil-Jona, um eine Absichtserklärung zu unterschreiben. Wie diese im Detail aussieht, ist offen. Man wird wohl festhalten, dass man bereit ist, sich bei der künftigen Spitalplanung gegenseitig abzustimmen. Dies notabene, während die St.Galler Regierung knietief in Vernehmlassungsantworten zu einem neuen Spitalmodell steckt, das sie umsetzen will. Wie muss man sich das vorstellen? Eine komplette Neuordnung der Spitallandschaft wird in Einklang gebracht mit den Bedürfnissen mehrerer Nachbarkantone?
Und vor allem: Eine Absicht zu erklären ist nicht dasselbe wie handeln. Es ist eine denkbar unverbindliche Art, auszudrücken, dass man bereit ist, darüber nachzudenken. Absichten können sich ändern. Im Moment sprechen wir von einem rein symbolischen Akt.
Und dieser Akt steht unter einem schlechten Stern. Wie aus den politischen Kreisen in St.Gallen zu vernehmen war, hatten die fünf Regierungsmitglieder nur schon grösste Probleme, sich auf einen Ort für die Medienkonferenz zu einigen. Bei solchen Eitelkeiten ist nicht anzunehmen, dass Gespräche über die Zusammenarbeit im komplexen Spitalbereich einfacher sein werden.
Die Art und Weise, wie zur feierlichen Unterschrift eingeladen wird, ist im Grunde humoristisch. Allen Ernstes steht da: «Patientinnen und Patienten orientieren sich nicht an den Kantonsgrenzen, sondern lassen sich dort behandeln, wo sie sich in ihrem Lebensalltag ebenfalls aufhalten. Das Leben in den sogenannten funktionalen Räumen verlangt von den Kantonen eine interkantonale Denkweise – gerade auch in der Gesundheitsversorgung.»
Tatsächlich? Und für diese Einsicht musste es 2020 werden? Bevor man das gemerkt hat, wurde in St.Gallen die bewusste stationäre Versorgung an die Wand gefahren, und Appenzell Innerrhoden sagte Ja zu einem Spitalneubau in einem Akt des föderalistischen Grössenwahns?
Es ist schön, dass die fünf Kantone «in Zukunft die Gesundheitsversorgung gemeinsam planen» wollen. Aber es ist gleichzeitig das, was man auf Englisch als «too little, too late» bezeichnet.
Dass man die Gesundheitsversorgung in funktionalen Räumen statt in Kantonsgrenzen denken muss, haben kluge Köpfe schon vor 20 Jahren und mehr gesagt. Was wurde getan? Es wurde ignoriert - und der status quo bewahrt. Und die Gesundheitsdirektoren, die zum Teil wenige Kilometer voneinander entfernt im Büro sitzen, dachten nicht einmal daran, die Köpfe zusammenzustrecken. Jetzt, in grösster Not, denken sie plötzlich um. Oder tun so als ob. Das ist keine vorausschauende Politik, das ist eine Art Katastrophenszenario. Reagieren statt agieren.
Übrigens: Zwei Schlüsselfiguren, die ihre Unterschrift unter die Absichtserklärung setzen werden, sind längst nicht mehr im Amt, wenn aus der Absicht eine Handlung werden soll. Die St.Galler Regierungsrätin Heidi Hanselmann, die 16 Jahre lang das Credo «Kein Spital wird geschlossen» vorgebetet hat und dank dessen im Amt blieb. Und Antonia Fässler, Innerrhoder Regierungsrätin, eine der treibenden Kräfte eines Spitalneubaus in Appenzell.
Ach ja: Wo steckt eigentlich der Thurgau?
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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