An der Südfassade der Oberegger Kirche wird an vier Geistliche erinnert. Eine vor hundert Jahren erstellte Ehrentafel für die Erst-Weltkrieg-Soldaten hingegen wurde nie montiert, weil der Dorfgeistliche den auf der Tafel ebenfalls aufgeführten Säntiswirt Moosberger als «Hurenbub» brandmarkte.
In den Büchern «Oberegger Geschichte» von David Aragai und «Christelehr ond Wääche» von Max Sonderegger wird an zahlreiche Tatsachen erinnert, die heute staunen und ungläubig den Kopf schütteln lassen. «Oberegg gehörte von etwa 1850 bis 1950 zusammen mit der restlichen katholischen Schweiz zu einer in sich stark geschlossenen Sondergesellschaft. Die Kirche durchdrang und organisierte den Alltag ihrer ‘Schäfchen’ in einem enormen Ausmass. Der sich gegen alles auch nur vermeintlich Sexuelle richtende rigorose Moralismus wurde von Pfarrer Johann Meli vehement verfochten», schreibt Aragai.
Serviertochter geschwängert
Moosbrugger hatte eine Serviertochter geschwängert, was vom diktatorisch agierenden Dorfgeistlichen als Todsünde eingestuft wurde. Wie viele andere Oberegger Männer leistete auch Säntis-Wirt Moosbrugger während des Kriegs Militärdienst. Dort erkrankte er an der damals grassierenden Grippe und verstarb.
Pfarrer Meli liess Gedenktafel verschwinden
«Zu Beginn der 1920er Jahre wurden an vielen Kirchen Gedenktafeln für die während des Ersten Weltkriegs (1914 – 1918) verstorbenen Wehrmänner angebracht. Auch in Oberegg wurde eine Ehrentafel erstellt. Als dann aber der von 1921 bis 1957 in Oberegg tätige Pfarrer Meli unter den aufgeführten Soldaten den Namen Moosbrugger entdeckte, rastete er aus und erklärte, dass eine Tafel mit dem Namen eines ‘Hurenbuben’ seine Kirche nie und nimmer beschmutzen werde. In der Folge wurde die Gedenktafel nicht montiert, und plötzlich war sie unauffindbar und verschwunden», schreibt Max Sonderegger.
Vier Geistliche mit Oberegger Bezug
Statt an die verstorbenen Oberegger Soldaten wird heute an vier Geistliche erinnert, die alle in Oberegg bestattet worden sind. Sie hatten entweder Oberegger Wurzeln oder waren im Ort tätig. Walter und Josef Bischofberger waren zwei Vikare, die sehr jung verstarben. Der ebenfalls in Oberegg aufgewachsene Georg Schmid war Pfarrer in Berschis, und Kaplan Albert Stieger verstarb während seiner Amtszeit in Oberegg. Da die entsprechenden Grabsteine stark verwittert waren, wurden sie durch die Gedenktafel ersetzt.
Peter Eggenberger, 1939, in Walzenhausen geboren, Drogistenlehre, Fremdenlegion, Lehrerseminar und Logopädiestudium mit entsprechender Tätigkeit. Seit 1982 freiberuflich tätig als Journalist, Autor und Referent.
Zu seinen Vorlieben gehören das Verfassen und Erzählen humorvoller Geschichten im Kurzenberger Dialekt, der Sprache des Appenzellerlands über dem Bodensee und dem Rheintal. Seine bisher erschienenen Mundartbände erfreuen sich einer ungebrochen grossen Nachfrage. Er lebt in Au.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.