Der Fachkräftemangel plagt auch den Schulbetrieb. Mit einem Massnahmepaket, das dem Lehrerverband zu wenig weit geht, soll nun Linderung verschafft werden. Regierungsrat Stefan Kölliker nimmt im Interview Stellung. Spoiler: Es gäbe eigentlich genügend Nachwuchslehrkräfte.
Vor ein paar Tagen stellte die St.Galler Regierung Massnahmen gegen den Lehrpersonenmangel vor, die gemeinsam mit dem Bildungsrat und der PH St.Gallen erarbeitet worden waren.
Eine Massnahme betraf den Lohn von Lehrpersonen, die ohne anerkanntes Lehrdiplom unterrichten. Sie verdienen neu 85 Prozent (vorher 75 Prozent) des Lohnes einer Lehrperson mit ausgewiesenen Qualifikationen. Linderung sollen auch zwei Lehrgänge für Quereinsteiger an der PH schaffen, die ab dem Herbstsemester 2024 angeboten werden. Zudem können PH-Studierende künftig einfacher Stellvertretungen übernehmen.
Der Kantonale Lehrerinnen- und Lehrerverband KLV St.Gallen nahm wenige Tage später in einem Communiqué Stellung: Ihm gehen die Massnahmen zu wenig weit. Insbesondere stört den Verband, dass die Pflege des existierenden vollqualifizierten Personals einfach vergessen gehe. Seine Forderungen lauten: Entlastung der Lehrpersonen und voller Teuerungsausgleich (2,8 statt bloss 1,5 Prozent).
«Die Ostschweiz» hat beim zuständigen Regierungsrat Stefan Kölliker (SVP) nachgefragt, was er von den Forderungen des KLV hält und woran es liegt, dass es so viele freie Stellen für Lehrkräfte gibt.
Herr Kölliker, Lehrpersonen ohne Lehrdiplom erhalten mehr Lohn, qualifizierte Lehrpersonen hingegen einen Teuerungsausgleich von lediglich 1,5 Prozent. Der KLV fordert eine Lohnerhöhung um 2,8 Prozent. Warum wird den Lehrpersonen dieser nicht gestattet?
Mit der Lohnanpassung für Lehrpersonen ohne anerkanntes Diplom sollen die St.Galler Schulen auf dem Stellenmarkt konkurrenzfähig bleiben – im interkantonalen Vergleich hinkten wir hier bisher hinterher. Diese Anpassung konnte die Regierung über das Verordnungsrecht erlassen. Über den Teuerungsausgleich entscheidet letztlich der Kantonsrat, er hat ihn in der Novembersession 2022 festgelegt. Dieser gilt für das gesamte Staatspersonal und somit auch für alle Volksschul-Lehrpersonen sowie die Lehrpersonen der Berufsfach- und Mittelschulen.
Kann man den Lehrpersonen denn wenigstens bei der zeitlichen Entlastung entgegenkommen?
Die Arbeitszeit der Lehrpersonen ist im Berufsauftrag beschrieben und wird dort ausgewiesen. Über den Berufsauftrag kann auch eine bestimmte Flexibilisierung beim Verhältnis der Zeit für Unterricht und der Zeit für andere Aufgaben vorgenommen werden. Diese ist Sache der Schulträger. Persönlich ist es mein Ziel, die Schule als Ganzes zu entlasten - davon werden vor allem auch die Lehrpersonen profitieren.
Seien wir ehrlich: Der Job ist relativ gut bezahlt, man hat überdurchschnittlich viel Ferien – Warum wollen nicht mehr junge Leute Lehrkräfte werden?
Junge Leute sind sich bewusst, dass dieser Beruf sehr attraktiv ist. Er hat nicht an Beliebtheit verloren – im Gegenteil. Dafür sprechen zum einen die Studierendenzahlen der PHSG. In den vergangenen zwei Jahren verzeichnete die PHSG Höchstzahlen bei den Studieneintritten. Zum andern zeigt der Vergleich mit anderen Berufen, dass im Lehrerberuf die Berufstreue hoch ist. Entgegen der jahrelangen Behauptung verbleiben auch die Junglehrpersonen im Beruf.
Warum gibt es dann einen Lehrkräftemangel? Ist die weitverbreitete Teilzeitarbeit unter den Lehrpersonen daran mitschuldig?
Wenn mehr Lehrpersonen Teilzeit arbeiten, braucht es auch mehr Fachkräfte. Die Volksschule im Kanton St.Gallen hat noch nie so viele Lehrpersonen beschäftigt wie heute. Das Durchschnittspensum in der Schweiz liegt bei gut 65 Prozent, in St.Gallen bei knapp 69 Prozent. Der kürzlich erschienene Bildungsbericht Schweiz zeigt auf: Würden Lehrpersonen ihre Pensen im Durchschnitt um 5 bis 10 Prozent erhöhen, wäre das Problem weitgehend gelöst. Dies kann aber nur vor Ort im Gespräch zwischen den Schulleitungen und den Lehrpersonen angegangen werden.
Der KLV findet, das qualifizierte Lehrpersonal erhalte zu wenig Wertschätzung, was mitunter ein Grund dafür sei, dass Lehrkräfte in andere Kantone abwandern oder den Beruf ganz aufgeben. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Gesamthaft betrachtet steigen gemäss Bildungsbericht Schweiz nur wenige Lehrpersonen komplett aus dem Beruf aus, die Berufstreue ist wie schon erwähnt hoch. Viele bleiben mit einem kleinen Pensum im Beruf oder steigen nach einer Familienphase mit einem reduzierten Pensum wieder ein. Die Wertschätzung gegenüber den Lehrpersonen wollen wir durch Teilnahme an einer nationalen Imagekampagne erhöhen.
Nun sollen Quereinsteiger Linderung verschaffen und die Situation entspannen. Doch Fachkräfte sind auch anderswo gesucht. Mit wie vielen Studienanfänger und -anfängerinnen rechnen Sie ab Herbst 2024 realistischerweise?
Wir sind optimistisch, dass wir durch die noch jungen berufsbegleitenden Studienmodelle und die Schaffung des neuen Studiengangs für Quereinsteigende weitere Personengruppen ansprechen und somit die Nachfrage auf das Herbstsemester 2024 erhöhen können. Wie sich die Anmeldezahlen für das Studium zur Lehrperson bis Herbst 2024 konkret entwickeln werden, können wir jedoch nicht voraussagen.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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