logo

Merkwürdige Ereignisse rund um die Verhaftung

Stehen Pierin Vincenz Millionen zu?

Was geschah wirklich in den Tagen, bevor Ex-Raiffeisen-CEO Pierin Vincenz Ende Februar 2018 festgenommen wurde? Und wie steht es tatsächlich um die Firma Investnet, um die sich alles dreht?

«Die Ostschweiz» Archiv am 15. April 2019

Wer der ungetreuen Geschäftsbesorgung beschuldigt wird, soll seinen Arbeitgeber geschädigt haben. Wie nennt man’s, wenn es umgekehrt sein könnte?

Die Firma Investnet steht im Fokus der Untersuchungen gegen den ehemaligen Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz und seinen Kompagnon Beat Stocker. Hier wird auch von Seiten Raiffeisen mit allen denkbaren Kniffen gearbeitet. Denn es geht um ziemlich viel Geld. Aber nicht um Geld, um das Vincenz die Bank geschädigt hätte, sondern um einen zweistelligen Millionenbetrag, den sie ihm schulden könnte.

Wie das? Da wird es einen Moment lang etwas kompliziert, wie immer, wenn es um viel Geld geht. Die «Handelszeitung» hat das Problem nachgezeichnet.

Unter Leitung von Vincenz beteiligte sich Raiffeisen im Jahr 2012 mit 60 Prozent an diesem KMU-Finanzierungsvehikel. Man hatte Grosses vor und wollte Investnet an die Börse bringen. Was Vincenz nicht offenlegte: Er beteiligte sich privat mit 15 Prozent an der Firma, als sie 2015 in eine Holding verwandelt wurde; sein Kompagnon Stocker war schon seit Anfang verdeckt mit 13,3 Prozent beteiligt.

Laut einer Einschätzung der grossen Audit-Firma EY wuchs der Marktwert von Investnet um rund 60 Prozent bis 2017. Dazu gibt es noch eine Aktionärsbindungsvertrag, als man 2015 an die Börse wollte. Kurz gefasst bedeutet all das, dass Raiffeisen den Mitaktionären, darunter Vincenz und Stocker, bis zu 160 Millionen Franken schuldet, wenn die ihre Call-Optionen im Juli 2020 ausüben würden.

Alleine Vincenz würde so 35 Millionen kassieren. Konjunktiv, denn Raiffeisen sieht die Sache ganz anders. Ihrer Meinung nach ist sie inzwischen die alleinige Besitzerin von Investnet und ficht alle geschlossenen Verträge an; sie seien «aus wichtigen Gründen» nichtig. Im Februar 2018 hatte Raiffeisen verkündet, dass die finanziellen Verflechtungen bei Investnet aufgelöst seien. Aber die entsprechenden Verträge waren gar noch nicht unterschrieben, und dann wanderten Vincenz und Stocker in Untersuchungshaft.

Raiffeisen macht also «Willensmängel» und andere Gründe geltend und sieht sich selbst als einzige Besitzerin von Investnet. Und in dieser Eigenschaft hat sie verkündet, dass ganze 150 Millionen abgeschrieben werden mussten. Damit schlägt die neue Raiffeisen-Spitze um Guy Lachappelle gleich drei Fliegen mit einer Klappe.

Sie kann ihren Vorgängern vorwerfen, dass sie grosse Verluste hinterlassen hätten, also Vincenz und sein Stellvertreter und Nachfolger Patrik Gisel gar nicht die strahlenden Sieger gewesen seien. Mit diesem Abschreiber verlieren die Optionen im Besitz von Vincenz und anderen natürlich gewaltig an Wert. Und drittens kann sich die neue Mannschaft mit Erfolgen brüsten, wenn Ende dieses Jahr solche Beteiligungen als viel werthaltiger eingebucht werden können.

Allerdings hat diese Strategie zwei Haken. Sie funktioniert nur, wenn Raiffeisen die Zivilprozesse gewinnt. Und dem Abschreiber von 150 Millionen steht der von EY festgestellte deutliche Wertzuwachs entgegen. Denn mit noch so kreativer Buchhaltung kann man kaum begründen, dass eine Firma, die im Wert um 60 Prozent gestiegen ist, 150 Millionen an Wert abschreiben muss.

Dann gibt es noch eine letzte Merkwürdigkeit auf der Zeitachse. Am 26. Februar 2018 verkündete Raiffeisen, sie habe «zusammen mit den Minderheitsaktionären» beschlossen, die Besitzverhältnisse bei Investnet neu zu ordnen. Am 27. Februar fanden unter anderem bei Vincenz Hausdurchsuchungen der Staatsanwaltschaft statt. Das war für ihn «ein Schock», wie er noch den Medien sagen konnte, als morgens früh die Beamten vor seiner Haustür im Appenzell standen.

Am 28. Februar 2018 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft wegen einer im Dezember 2017 eingereichten Strafanzeige einer anderen Firma gegen Vincenz in Sachen ungetreue Geschäftsbesorgung ermittle. Raiffeisen teilte sofort mit, dass auch die Bank sich als Privatklägerin diesem Verfahren anschliesse. Am gleichen Tag wurden Pierin Vincenz und Beat Stocker zu Einvernahmen nach Zürich aufgeboten und anschliessend für über 100 Tage in U-Haft gehalten.

Das kann wie immer im Leben alles ein wirklich blöder Zufall gewesen sein. Oder, was natürlich reiner Vermutungs-Journalismus ist, aber sich aufdrängt: Im letzten Moment kam es bei der «Neuordnung» der Besitzverhältnisse bei Investnet zu roten Köpfen und Geschrei, statt zu Unterschriften. Worauf man sich dann auf das gute alte Sprichwort besann: Und bist du nicht willig ...

Denn ein allenfalls angeklagter oder gar verurteilter Straftäter Vincenz hat in einem Zivilprozess entschieden schlechtere Karten als ein strahlender Erfolgsmensch Vincenz.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
«Die Ostschweiz» Archiv

«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.