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Zeyer zur Zeit

Sturmwolken über Bern

Entging das Bundeshaus nur ganz knapp seiner Schändung? Wollten enthemmte Corona-Leugner mit Gewalt ins Symbol unserer Demokratie eindringen? Aufgeputscht von den «Freiheitstrychlern»?

«Die Ostschweiz» Archiv am 18. September 2021

Eines ist klar: bei der unbewilligten Demonstration vom Donnerstag in Bern wurde «Ueli, Ueli, Ueli» gerufen. Das enthüllte der «Blick». Man kann also eine Linie des Grauens ziehen: Gewaltbereite Corona-Leugner – unbewilligte Demonstration – Freiheitstrychler – Ueli, der Kollegialitätstreichler – Sturm aufs Bundeshaus.

Glücklicherweise gelang der Berner Polizei, woran sie regelmässig bei Unmutsäusserungen von Sympathisanten der Berner Reitschule scheitert: sie konnte das Schlimmste verhindern. Aber es war knapp. Fast hätten sich die Schreckensszenen von Washington wiederholt, wo gewalttätige Anhänger des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump am 6. Januar 2021 das Kapitol gestürmt hatten und dort wie die Vandalen hausten.

Daran erinnern alle Schweizer Mainstream-Medien schreckensbleich im Nachgang. Auch am Samstag kriegt sich zum Beispiel CH Media nicht ein und spendiert dem Thema eine Doppelseite. Von Aarau über Luzern bis St. Gallen schreckt der Konzern seine Leser mit dem «Protokoll eines verhinderten Sturms».

Echt jetzt? Da die versammelten Bundeshausredaktionen der Qualitätsmedien schon beim Feierabendbierchen waren, können sie leider nur Informationen aus zweiter bis dritter Hand aufwärmen. So holpert CH Media los, dass ein «Demonstrationszug der 4000 und 6000 Personen umfasste», losgezogen sei. Zuvor hätten die also insgesamt 10'000 Corona-Leugner oder -Skeptiker auf dem Bahnhofsplatz gewartet, bis die «Freiheitstrychler» eintrafen. Denen folgten sie dann auf einem unbewilligten Demonstrationszug.

Daraus schliesst SP-Nationalrat Céderic Wermuth messerscharf, dass die «Gruppe der Massnahmengegner schrumpfe, sich aber radikalisiere». Der demagogische Zeusler kann’s dann nicht lassen: «Da spielen auch die SVP und Ueli Maurer eine Rolle.» Keinesfalls die Akzeptanz der Pandemie-Bekämpfung.

Es lag Gewaltbereitschaft in der Luft. Offensichtlich betäubt vom Lärm der «Freiheitstrychler» und daher nicht zurechnungsfähig, benahm man sich wie weiland die Trump-Anhänger: «Wie aufgeheizt das Klima ist, zeigen die massiven antifaschistischen Störmanöver bei der Demo. Mehrere Quellen bestätigen, dass die Antifa am Bärenplatz und am Zytgloggen zweimal den Umzug blockierten und am Bundesplatz noch den Sicherheitsdienst der «Freiheitstrychler» attackierten. Betroffen davon war Christian Rüegg, der die Demos live streamt und im Sicherheitsteam tätig war. Ihm schlugen Antifaschisten mehrere Zähne heraus.»

Oops, das war ja Gewalt von links, blöd aber auch. Schnell zurück zur eigentlichen Kampfzone, dem Schutzgitter vor dem Bundeshaus. Dem wurden zwar keine Zähne ausgeschlagen, aber: «Dutzende von Demoteilnehmern rüttelten am über zwei Meter hohen Eisenzaun, der das Bundeshaus an diesem Abend schützte. Sie versuchten, den Zaun aus den Angeln zu heben, beschädigten ihn, lockerten Schrauben.»

Unglaublich, der Berner Polizeidirektor ist sich sicher: «Wer Werkzeug an eine Demonstration mitführt, hat klare Absichten.» Eben, wie zum Beispiel einen Sturm aufs Bundeshaus veranstalten.

Leider geben da die Bilder und Videos nicht viel her. Man sieht ein paar einsame Stürmer, einer versetzt sogar dem Zaun ein, zwei Tritte. Daraufhin wird er aber mittels eines Sturms im Wasserwerferglas von weiteren Übergriffen abgehalten.

Auch Tamedia, das zweite Mitglied im Tageszeitungsduopol, fragt sich verschreckt: «Die Corona-Demonstration in Bern zeigte, wie gewaltbereit ein Teil der Massnahmengegner ist, und wirft Fragen auf: Wie gefährlich sind diese, und was kommt als Nächstes?»

Der Dritte im Bunde hat schon längst Ueli den Treichler als geistiges Oberhaupt der Demonstranten enttarnt. Inzwischen widmet sich das Organ der Aufklärung «Fünf Corona-Skeptikern, die immer schriller werden.» Natürlich befürchtet auch der «Blick» Schlimmeres, wenn nicht das Schlimmste. Zustände wie nach Chaostagen um die Reitschule. Oder so.

Denn was kommt als Nächstes? Könnte es sein, dass angeführt vom ohrenbetäubendem Lärm der «Freiheitstrychler» und mit «Ueli, Ueli, Ueli»-Rufen völlig durchgedrehte Corona-Gegner harmlosen Antifaschisten die Zähne ausschlagen? Danach zum nächsten Sturm auf das Bundeshaus ansetzen, dabei so viele Schrauben locker haben und lockern, dass sie Zaun, Wasserwerfer und Polizeikette durchbrechen um ein Chaos anzurichten, wie es die Sympathisanten der Reitschule bei ihren Krawallen nicht besser hinkriegen?

Muss man sich bei einer solch schwachsinnigen Berichterstattung wundern, wenn auch in der Schweiz immer lauter «Fake News» gerufen wird? Selbst die NZZ kommentiert zwar «Wider die rhetorische Aufrüstung», kritisiert dabei leise den Berner Sicherheitsdirektor mit seinem unsäglichen «Sturm aufs Bundeshaus verhindert»-Tweet und mokiert sich über den SRF-Moderator Sandro Brotz, der – mal wieder – angesichts der Bilder aus Bern in rhetorische Schnappatmung» verfallen sei: ««Unsäglich. Unwürdig. Undemokratisch», twitterte er am Freitagmittag.»

Aber vor allem hätten die «Ausschreitungen in Bern» gezeigt, «wie viele Menschen auch in der Schweiz in einer Filterblase gefangen sind». Linke Chaoten, die sogenannte Antifa, die soweit bekannt als Einzige gewalttätig gegen Menschen wurden, meint sie damit allerdings nicht.

Wäre es nicht so beunruhigend, wie einseitig und offensichtlich absichtsvoll falsch gewichtet über diese Demonstration berichtet wird, wäre es zum Kuhglockenläuten komisch.

Oder einfacher gefragt: wer hat hier ein paar Schrauben locker? Einem Demonstrationsteilnehmer werden ein paar Zähne ausgeschlagen, einem Zaun ein paar Schrauben gelockert. Ein, zwei Tritte gegen das Absperrgitter werden zum möglichen «Sturm aufs Bundeshaus» hochgeschrieben. Wer sitzt hier in einer Filterblase?

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«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

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