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Leitartikel

Tabakwerbeverbot: Und das ist nur der Anfang

«Kinder ohne Tabak»: Es ist ein schmissiger und zugleich verfänglicher Titel einer Initiative. Denn es geht um weit mehr: Die Werbung zu «bereinigen» von allem, was der Präventionsgesellschaft nicht passt. Die Frage ist nur: Was kommt als Nächstes?

Stefan Millius am 18. Januar 2022

Die Ironie ist unverkennbar. Die gedruckten Zeitungen leiden unter einer Inserateflaute beziehungsweise dem Abwandern der Anzeigen in Onlinemedien. Am 13. Februar will man ihnen mit Hunderten von Millionen Franken an Subventionen über Jahre hinaus «helfen». Am gleichen Tag soll ein Werbeverbot für Tabakprodukte beschlossen werden. Die Medien mögen sich aber nicht recht aufraffen, dieses Ansinnen zu bekämpfen. Weil sie das Bemühen um Anzeigen bereits eingestellt haben und einfach auf Steuergelder hoffen?

Gemäss den Initianten von «Kinder ohne Tabak» und – verfälschenderweise – dem Text im Abstimmungsbüchlein soll Werbung für Tabakprodukte in Zeitungen weiterhin erlaubt sein. Dabei fordert die Initiative unmissverständlich, dass nirgends geworben werden darf, wo auch Minderjährige, also Kinder und Jugendliche, erreicht werden können. Was bei jedem gedruckten Erzeugnis und so gut wie jeder Webseite aber der Fall ist. Das Werbeverbot wäre bei einem Ja so gut wie komplett. Es sei denn natürlich, für Zeitungen würde in Zukunft «FSK 18» gelten. Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass die Abstimmungsinformationen lückenhaft sind oder einen falschen Eindruck vermitteln.

Das totale Werbeverbot ist natürlich auch die Absicht. Die Kinder als «Aufhänger» der Initiative sind eine Honigfalle. Niemand mag es, wenn Kinder aktiv als künftige Tabakkonsumenten umworben werden, aber das ist auch gar nicht nötig. Vorbilder, das eigene Umfeld, direkte Bezugspersonen: Sie sind es, die den entscheidenden Eindruck vermitteln, der danach zur Entscheidung für oder gegen den Glimmstängel führt. Die Idee, dass ein 15-Jähriger atemlos vor einer Plakatwand steht und danach an den Kiosk rennt, um sich Zigaretten zu kaufen, ist realitätsfremd.

Die Initiative passt zum aktuellen Zeitgeist. Man will alles aus dem öffentlichen Leben verbannen, was nicht dem gewünschten Verhalten entspricht. Gelingt das nicht, versucht man einfach, den Konsumenten subtil zu steuern. Beispielsweise mit einer «Ampel» auf Produktverpackungen, damit man gleich weiss, welche ungesunden Stoffe man sich beim Genuss zuführt und so sein Leben verkürzt. Zucker, Fett und so weiter: Alles ist ganz furchtbar, und wenn man es schon nicht verbieten kann, dann doch wenigstens gut sichtbar verteufeln.

Beispiele aus anderen Ländern wie Frankreich und Italien zeigen, dass der Kampf gegen den Tabak via Werbeverbote nichts bringt. Dort rauchen mehr Jugendliche als bei uns. Weil der Einstieg in diese Sucht nicht in erster Linie über Verführung funktioniert, sondern durch gesellschaftliche Beeinflussung. Wer Ja sagt, tut nichts gegen rauchende Jugendliche, leistet aber Vorschub für die nächsten Akte des Präventionstheaters.

Das Wort mag abgenutzt klingen, aber letztlich geht es einmal mehr um die Eigenverantwortung und die Frage, ob wir sie schleichend abschaffen wollen. Deshalb ist «Kinder ohne Tabak» eine gelungene Konstruktion: Bei unserem Nachwuchs setzen wir die Eigenverantwortung noch nicht vollständig voraus und wollen ihn reflexartig schützen. Aber es geht eben nur vordergründig um Kinder und Jugendliche. Und Eigenverantwortung bedeutet auch, dass man in den eigenen vier Wänden innerhalb der Familie über Themen wie das Rauchen spricht und die Verantwortung nicht an den Staat delegiert.

Verbote sollen immer mehr die Entscheidungsfreiheit ablösen. Selbst wenn man von dieser in Bezug auf Tabak nichts hält, tut man gut daran, darüber nachzudenken: Wollen wir wirklich einfach nach und nach alles aus dem Sichtfeld verbannen, was schädlich sein könnte, um uns selbst vorzugaukeln, das Problem wäre gelöst?

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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