Mit harten Worten kritisiert das Thurgauer Obergericht die Arbeitsweise der Staatsanwaltschaft Bischofszell. Sie hat einen Strafantrag des Tierschützers Erwin Kessler unnötig lange verschleppt - und wurde erst aktiv, als dieser eine Instanz weiter ging.
Der Entscheid vom 24. Januar 2019 des Obergericht des Kantons Thurgau ist zwar in schönstem Juristendeutsch verfasst, aber er hinterlässt dennoch keinen Zweifel: Aus Sicht des Gerichts hat die Staatsanwaltschaft Bischofszell einen eigentlich denkbar simplen Fall unnötig lange verschleppt. Bewegung kam erst in die Sache, als die Beschwerdeinstanz ins Spiel kam.
Doch der Reihe nach.
25. August 2017:
In der Thurgauer Zeitung erscheint der Leserbrief einer Frau C.A., die den Tierschützer Erwin Kessler dort als «sturen Bock» bezeichnet, der «vorbestraft» sei.
28. August 2017:
Erwin Kessler reicht einen Strafantrag ein. Die Staaatsanwaltschaft Bischofszell eröffnet eine Strafuntersuchung gegen C.A. wegen Ehrverletzung.
Dann passiert erst mal lange nichts.
14. November 2017:
Die Kantonspolizei in Amriswil übernimmt die Ermittlungen und befragt C.A. zu den Tatvorwürfen und nimmt ihre finanziellen Verhältnisse auf. Letzteres, weil Erwin Kessler eine Genugtuung von 1000 Franken fordert. Der Rapport zur Befragung geht fünf Wochen später zur Staatsanwaltschaft Bischofszell.
Dezember 2017 bis April 2018:
Auch Erwin Kessler beziehungsweise sein Anwalt kommen zu Wort, erhalten Akteneinsicht und können einen Antrag auf Entschädigung stellen. Dieser lautet nun auf 1200 Franken. Die Staatsanwaltschaft Bischofszell teilt den Parteien mit, die Strafuntersuchung sei abgeschlossen, das Verfahren werde wohl mit einem Strafbefehl enden.
Und dann passiert wieder sehr lange nichts.
13. Dezember 2018:
Ein halbes Jahr nach der Ankündigung eines Strafbefehls ersucht Erwin Kessler die Staatsanwaltschaft Bischofszell, die «Verschleppung des Verfahrens» zu beenden. Seit den 27. April 2018 sei nichts mehr passiert. Der verfahrensleitende Staatsanwalt antwortet sinngemäss, man gehe nach einer Prioritätenliste vor. Haftfälle sowie Delikte gegen Kinder, Leib und Leben hätten Vorrang. Man hoffe aber, das Verfahren «gegen Ende des nächsten Quartals» abschliessen zu können.
Kessler akzeptiert das nicht. Arbeitsüberlastung rechtfertige keine Verfahrensverschleppungen. Die Verjährungsfrist bei diesem Delikt sei zudem kurz. Und er kündigte eine Beschwerde beim Obergericht an. Die Antwort des Staatsanwalts ist für einen Juristen ziemlich burschikos: Es stehe Kessler natürlich frei, «auch die Beschwerdeinstanz unnötig zu bemühen».
20. Dezember 2018:
Erwin Kessler macht ernst. Er erhebt Rechtsverzögerungsbeschwerde. Er bedauere es, nun das Obergericht einschalten zu müssen. Aber gerade bei Ehrverletzungen mit einem Rufschaden sei eine Wiedergutmachung umso schwieriger, je länger es dauere.
Und dann geht plötzlich alles ganz schnell.
8. Januar 2019:
Nicht am Ende des ersten Quartals 2018, sondern am Jahresanfang wird plötzlich ein Strafbefehl gegen C.A. erlassen. Zweieinhalb Wochen, nachdem Beschwerde eingericht worden war. Und dazwischen lagen noch die Weihnachtstage und der Jahreswechsel.
Das Urteil: Zehn Tagessätze zu je 50 Franken bei einer Probezeit von zwei Jahren, eine Busse von 100 Franken. Die Forderung von Kessler wird auf den Zivilweg verwiesen, C.A. muss aber seine Verfahrensaufwendungen von 3758.20 Franken entschädigen. Gleichzeitig, und hier wird es heiter, schickt die Staatsanwaltschaft alle Akten ans Obergericht und bemerkt dazu, man habe dem Kläger Mitte Dezember 2018 mitgeteilt, wie es weitergehe, aber dieser habe es dennoch vorgezogen, eine Beschwerde zu erheben. Zur Erinnerung: Kessler hatte damals keine Ahnung, wie schnell es plötzlich gehen sollte.
14. Januar 2019:
Erwin Kessler, bekanntlich eine kämpferische Seele, nimmt Stellung zur Beschwerdeantwort der Staatsanwaltschaft. Er bedauere, dass gewisse Staatsanwälte ein Anliegen erst dann ernst nehmen, wenn man einen Rechtsanwalt mandatiere oder Beschwerde erhebe.
Und was meint nun das Obergericht Thurgau dazu? Es schreibt die Beschwerde von Erwin Kessler ab. Aber nicht, weil sie unbegründet, sondern inzwischen erledigt und damit gegenstandslos war. Gleichzeitig stellt sie klar: «Es wird eine Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung festgestellt.» Und zwar auf der Seite der Staatsanwaltschaft Bischofszell.
Aus dem Entscheid wird klar, dass das Obergericht wenig Verständnis für die Arbeitsmoral der Staatsanwälte hat. Bereits im November 2017, als der Polizeirapport vorlag, habe die Staatsanwaltschaft das Verfahren «als spruchreif erachtet». Einiges deute darauf hin, dass man den Fall Ende April 2018 «im Griff» gehabt habe. Der Sachverhalt sei auch «alles andere als komplex» gewesen. Bis Ende Mai 2018, so das Obergericht, hätte man den Fall «ohne ersichtlichen erheblichen Aufwand» erledigen können.
Bester Beleg dafür sei die Tatsache, dass es nach der Rechtsverzögerungsbeschwerde von Erwin Kessler dann plötzlich sehr schnell gegangen war. Obwohl ja in der Zwischenzeit keine neuen Erkenntnisse eingegangen waren.
Dann wählt das Obergericht unmissverständlich klare Worte. Sie beziehen sich auf den E-Mail-Verkehr der Staatsanwaltschaft gegenüber Kessler. Die Wortwahl lasse deutlich erkennen, «dass die Staatsanwaltschaft nicht geneigt schien, beim liegengebliebenen Strafverfahren auch nur einen 'Zacken' zuzulegen.» Hätte Kessler die Beschwerdeinstanz nicht «bemüht» (wie es der Staatsanwalt ausdrückte), «stünde er weiterhin gänzlich im Ungewissen», ob denn bald mit einer Entscheidung zu rechnen sei.
Die Bemerkung des Staatsanwalts, Kessler habe «eine Beschwerde vorgezogen», sei «ums deplatzierter», schreibt das Obergericht.
Abschliessend hält das Gericht fest, dass die Beschwerde gegenstandslos geworden sei, man aber «eine Rechtsverweigerungund Rechtsverzögerung» feststelle.
Die Verfahrenskosten rund um diese Posse trägt der Staat.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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