Dieser Text kann potenziell verstörende Passagen über «langsames Autofahren» enthalten und ist deshalb nicht für alle Leserinnen und Leser geeignet. Weiterlesen auf eigenes Risiko.
Diskussionen über Tempo 30 auf Kantons- und Gemeindestrassen oder Tempo 80 auf Autobahnen sorgen für rote Köpfe. Die Angst vor dem «langsamen Fahren» ist teilweise so gross, dass man sich gar rigoros auch gegen die sinnvollen Temporeduktionen, bspw. entlang von Schulwegen, an verkehrsüberlasteten Stellen, zur Lärmreduktion, zur Erhöhung der Sicherheit oder zur Verhinderung von Staus engagiert.
Rückblick auf 1904
Aber was ist denn überhaupt das Problem? Hierzu ein kleiner Exkurs in die Geschichte der Tempolimits: Das erste Tempolimit in der Schweiz beschlossen die Kantone bereits 1904. Damals galt als Höchstgeschwindigkeit innerorts 10 km/h und ausserorts 30 hm/h. Anschliessend wurden diese Begrenzungen bekanntlich stetig erhöht. 1983 wurde die Höchstgeschwindigkeit auf innerorts 50 km/h festgelegt, welche bis heute gilt. Alle, welche die Fahrprüfung ohne Schummeln bestanden haben, wissen aber auch: Unabhängig vom geltenden Tempolimit muss immer den Verhältnissen angepasst gefahren werden. Eine 50er-Tafel am Strassenrand ist somit noch lange keine Garantie, dass man auch tatsächlich 50 km/h fahren kann.
Seit 1983 hat sich die Anzahl Autos verdoppelt. So manche Strasse, welche vor 40 Jahren noch kaum befahren war, ist heute an der Grenze ihrer Kapazität und bringt damit auch viele Anwohnerinnen und Anwohner an ihre Grenzen.
Neue Beurteilung
Um die Menschen vor Lärm sowie vor Unfällen zu schützen, die Lebensqualität im Ort zu erhalten und auch um Staus zu verhindern, ist es notwendig, an gewissen Stellen die Situation neu zu beurteilen und die Geschwindigkeit infrage zu stellen. Es muss unbedingt möglich sein, bei Bedarf Temposenkungen vornehmen zu können, und zwar ohne jahrelangen, kostenintensiven, bürokratischen Aufwand.
Was ist mit Rettungskräften und dem öffentlichen Verkehr? Diese sind natürlich darauf angewiesen, innert kurzer Zeit am Ziel anzukommen, niemand bestreitet das. Aber auch hier gilt es zu beachten: «Schneller fahren» bedeutet nicht automatisch «schneller ankommen». Gerade im Rettungseinsatz und im öffentlichen Verkehr zählt nicht nur das Tempo, sondern auch die Sicherheit. Denn je höher das Tempo, umso höher das Unfallrisiko und umso schwerer der Unfall. Wer einen Unfall baut, kommt überhaupt nicht am Ziel an. Zusätzlich können mit gezielten Temporeduktionen auch Staus verhindert werden. Dass man theoretisch schnell fahren dürfte, nützt nämlich gar niemandem etwas, wenn man im Stau steht. Am schnellsten und am sichersten kommt man also ohne Unfall und ohne Stau ans Ziel.
Bares Geld sparen kann die öffentliche Hand zudem durch Temporeduktionen im Bereich Lärmschutz und Strassensanierung. Denn eine Temporeduktion kostet wenig Geld und verringert nicht nur den Lärm, sondern auch die Abnutzung der Strasse inkl. Unterbau. Flüsterbeläge, grossflächige Strassensanierungen und Lärmschutzmassnahmen an Gebäuden sind im Vergleich dazu extrem teuer.
Bei der gezielten Temporeduktion haben wir also folgende Vorteile: Sie erhöht die Sicherheit, sie steigert die Lebensqualität, sie ist die beste Lärmschutzmassnahme und schont nebenbei noch das Portemonnaie der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Demgegenüber steht ein einziger Nachteil: Dass man unter Umständen wenige Minuten länger braucht, um ans Ziel zu kommen.
Ich appelliere also daran, beim Thema «Tempolimit» künftig wieder die Vernunft anstatt die Emotionen walten zu lassen.
Andrea Büsser (*1988) aus Sargans ist Finanzberaterin, Paralegal Senior bei Raiffeisen Schweiz im Bereich Legal & Compliance. Sie ist ausserdem Präsidentin von «Die Mitte Frauen» des Kantons St.Gallen.
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