Seit anfangs Jahr gelten neue Regelungen im Aktienrecht. Diese betreffen unter anderem die Generalversammlung, das Aktienkapital, den Verwaltungsrat und die Aktionärsrechte. Zudem gibt es jetzt die Möglichkeiten, unter gewissen Umständen unterjährig sogenannte Zwischendividenden auszuschütten.
Nachdem die Aktienrechtsrevision bereits partiell durch wenige Neuregelungen bezüglich Geschlechterquote und Transparenzvorschriften für Rohstoffunternehmen im Jahr 2021 in Kraft getreten ist, haben am 1. Januar 2023 noch zahlreiche weitere Änderungen Geltung erlangt. Damit ist die Aktienrechtsrevision nach einer jahrelangen Revisionsphase abgeschlossen. Der Fokus der Revision wurde auf eine Liberalisierung der Gründungs- und Kapitalbestimmungen, eine Verbesserung der Corporate Governance sowie die Einführung von elektronischen Mitteln in der Generalversammlung gelegt. Das Sanierungsrecht wurde im Rahmen der Aktienrechtsrevision ebenfalls präzisiert, flexibilisiert und mit neuen Handlungspflichten versehen. In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten Änderungen der Aktienrechtsrevision erläutert.
Generalversammlung
Im neuen Aktienrecht wurden die Bestimmungen über die Vorbereitung sowie die Durchführung der Generalversammlung (GV) modernisiert. Wie es bereits während der Covid-19-Pandemie teilweise gehandhabt wurde, ist es nun möglich, eine GV virtuell abzuhalten. Auch eine GV, die im Ausland oder an mehreren Tagungsorten durchgeführt wird, ist möglich. Für beide dieser neuartigen Möglichkeiten der Durchführung einer GV ist eine Grundlage in den Statuten erforderlich.
Die Modernisierung beschränkt sich nicht nur auf die Durchführung der GV. So wird es künftig genügen, wenn im Vorfeld der ordentlichen GV Geschäfts- und Revisionsberichte elektronisch zugänglich gemacht werden. Auch die Einberufung der GV kann künftig per E-Mail vorgenommen werden, sofern dies in den Statuten so vorgesehen ist. Da die GV im neuen Aktienrecht an verschiedenen Tagungsorten stattfinden kann, wurden auch die Bestimmungen zum Inhalt der Einberufung angepasst. Vor allem von Bedeutung ist, dass künftig eine Angabe von Art und Ort der GV erforderlich ist.
Mit der Möglichkeit der virtuellen GV ist zudem vorgesehen, dass Aktionäre, die nicht physisch an der GV teilnehmen können, ihre Rechte auf dem elektronischen Weg ausüben können, womit die Möglichkeit einer hybriden GV ermöglicht wird.
Aktienkapital
Die Mindesthöhe des Aktienkapitals bleibt mit der Revision unverändert. Es ist jedoch seit dem 1. Januar 2023 möglich, dass das Aktienkapital in einer für die Geschäftstätigkeit wesentlichen Währung zu führen. Dieses muss im Zeitpunkt der Gründung oder Umwandlung einem Gegenwert von mindestens 100'000 Franken entsprechen (Art. 621 Abs. 2 OR). Dies war zuvor nur in der Rechnungslegung möglich. Während das Mindestkapital und die Liberierung des Aktien- beziehungsweise Stammkapitals unverändert bleiben, wurde der bisherige Mindestnennwert von 0.01 Franken für Aktien beziehungsweise 100 Franken für Stammanteile aufgehoben. Der Mindestnennwert muss nun lediglich noch grösser als null sein (Art. 622 Abs. 4 bzw. Art. 774 Abs. 1 OR).
Die grössten Veränderungen im Bereich des Aktienkapitals betreffen die Kapitalveränderungen. Das neue Aktienrecht zielte darauf ab, Kapitalveränderungen zu flexibilisieren. Hierfür wurde ein neues Instrument, das sogenannte Kapitalband, eingeführt. Damit können die Gesellschaften in einer Bandbreite von plus 50 Prozent beziehungsweise minus 50 Prozent des eingetragenen Aktienkapitals ein Kapitalband einführen. Im Rahmen dieses Bandes kann der Verwaltungsrat (VR) dann in einer Zeitspanne von maximal fünf Jahren das Aktienkapital herabsetzen oder erhöhen.
Bei der Kapitalherabsetzung haben sich vor allem die Bestimmungen zum Schuldenruf geändert. Dieser soll künftig nur noch einmal publiziert werden. Zudem können Gläubiger fortan nur noch die Sicherstellung ihrer Forderungen im Umfang der Verminderung der bisherigen Deckung durch die Kapitalherabsetzung verlangen. Sie haben dazu nur noch 30 Tage Zeit im Vergleich zu den zwei Monaten vor der Revision.
Die Zwischendividende
Das alte Recht kannte drei verschiedene Versionen der Dividende. Diese waren die ordentliche Dividende, die ausserordentliche Dividende und die Akontodividende. All diese Versionen beziehen sich jedoch auf die Dividende des Unternehmensgewinns des abgeschlossenen Geschäftsjahres. Eine Zwischendividende stützt sich nicht auf die Jahresrechnung eines abgeschlossenen Geschäftsjahres und war bis anhin nicht zulässig. Mit der Aktienrechtsrevision ändert sich dies. So ist es jetzt möglich, unter gewissen Voraussetzungen eine solche Zwischendividende auszuschütten. Die Beschlussfassung, eine Zwischendividende gestützt auf den vom VR erstellten Zwischenabschluss zu entrichten, gilt als unübertragbare Befugnis der GV.
Finanzverantwortung
Mit dem neuen Aktienrecht wird die Pflicht des Verwaltungsrats zur Überwachung der Zahlungsfähigkeit, die unter dem bisherigen Recht bereits unter der Pflicht zur Finanzplanung zusammengefasst wurde, explizit im Gesetz verankert (Art. 725 Abs. 1 OR). Das Gesetz schreibt dabei in einer kaskadenförmigen Abfolge vor, welche Massnahmen der Verwaltungsrat bei drohender Zahlungsunfähigkeit mit gebotener Eile zu ergreifen hat: In einem ersten Schritt muss er darum besorgt sein, die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft wiederherzustellen. Sofern diese Massnahmen erfolglos sind, hat er in einem zweiten Schritt Sanierungsmassnahmen zu treffen und als ultima ratio ein Gesuch um Nachlassstundung einzureichen (Art. 725 Abs. 2 OR)
Aktionärsrechte
Mit der Revision wurden diverse Schwellenwerte zur Geltendmachung der Mitwirkungs- und Kontrollrechte der Aktionäre angepasst. Die folgende Tabelle soll die Änderungen übersichtlich darstellen:
Verwaltungsrat
Auch die Rechte und Pflichten des VR blieben durch die Aktienrechtsrevision nicht unberührt. Es galt für lange Zeit als umstritten, ob Zirkulationsbeschlüsse des VR per E-Mail möglich sind. Mit der Revision hat der Verwaltungsrat nun die Möglichkeit, seine Beschlüsse auch in virtuellen Sitzungen zu fassen. Zirkularbeschlüsse können neu auf rein elektronischem Weg erfolgen (zum Beispiel per SMS, E-Mail oder DocuSign), wobei keine Unterschrift erforderlich ist; vorbehalten bleibt eine anderslautende, schriftliche Festlegung durch den Verwaltungsrat (Art. 713 Abs. 2 Ziff. 3 OR). Die Nutzung dieser neu geschaffenen Formen kann eine Anpassung des Organisationsreglements erfordern. Über die Verhandlungen und Beschlüsse ist ein Protokoll zu führen, welches vom Vorsitzenden und Protokollführenden zu unterzeichnen ist (Art. 713 Abs. 3 OR).
Ferner sind seit Beginn des Jahres VR Mitglieder und Mitglieder der Geschäftsleitung verpflichtet, den VR unverzüglich und vollständig über sie betreffende Interessenskonflikte zu informieren. Der Verwaltungsrat hat sodann sämtliche Massnahmen zu ergreifen, die zur Wahrung der Interessen der Gesellschaft nötig sind (Art. 717a OR).
Übergangsbestimmungen und Anpassungen der Statuten
Die Übergangsbestimmungen beinhalten eine Zeitspanne von zwei Jahren, innerhalb derer die Statuten und Reglemente angepasst werden müssen. Falls bestimmte Bestimmungen in den Statuten und Reglementen nicht mit dem neuen Recht übereinstimmen, bleiben sie bis zur Anpassung, jedoch maximal für zwei Jahre, gültig. Dies bedeutet, dass gewisse Bestimmungen des alten Rechts, insbesondere in Bezug auf Mitwirkungs- und Kontrollrechte, für weitere zwei Jahre Anwendung finden können. Nach Ablauf der zweijährigen Übergangsfrist werden automatisch alle Bestimmungen, die nicht mit dem neuen Recht vereinbar sind, ungültig.
Die Aktienrechtsrevision wurde so gestaltet, dass Unternehmen nicht gezwungen sind, ihre Statuten zu ändern. Um jedoch von den neuen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, kann es erforderlich sein, Statutenbestimmungen anzupassen oder zu ergänzen. Es sollte auch überprüft werden, ob weitere Dokumente wie Aktionärsbindungsverträge, Organisationsreglemente und Protokollvorlagen der Generalversammlung angepasst werden müssen oder ob, wie im Fall der Vollmachts- und Weisungsformulare, neue erstellt werden müssen.
Michael Kummer ist Senior Partner bei der Stach Rechtsanwälte AG. Kummer studierte Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen und schloss sein Studium Anfang 2005 ab. Bereits während seines Studiums war er Mitgründer eines Jungunternehmens mit Kernkompetenzen in den Bereichen Business Intelligence, e-Commerce und Internet-Applikationen. Im Jahr 2007 erwarb er das st.gallische Anwaltspatent.
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