Vermüllter und verwahrloster Wohnraum hat nur am Rand etwas mit dem Messietum zu tun. Beim Zwangshorten handelt es sich um das Anhäufen von Gegenständen und das Unvermögen, sich von diesen trennen zu können. An offenen Messie-Treffen können Betroffene und Angehörige Hilfe finden.
Mitarbeit: Johannes von Arx
Betroffene von Suchtkrankheiten, psychischen und seltenen physischen Erkrankungen neigen tendenziell eher dazu, ihre Probleme zu verschweigen, als öffentlich darüber zu reden. Sachliche Aufklärung in den vergangenen Jahren hat vonseiten der Öffentlichkeit in den letzten Jahren zu mehr Verständnis und Akzeptanz gegenüber den Betroffenen geführt. Sprach man früher von Alkoholmissbrauch, wird dieser heute als Krankheit eingestuft und die Gewissheit, dass Depressionen viel verbreiteter sind als früher angenommen, ermutigt Betroffene (auch öffentlich) dazu zustehen.
Anders verhält es sich beim Zwangshorten beziehungsweise dem neudeutschen Messie-Syndrom (zu engl. mess = Chaos).
Bei diesem zwanghaften Verhalten steht für Betroffene das übermässige Ansammeln von mehr oder weniger wertlosen Gegenständen im eigenen Wohn- oder Arbeitsumfeld kombiniert mit der Unfähigkeit, sich von Gegenständen zu trennen oder Ordnung zu halten, im Vordergrund. Erschwerend kommt dazu, dass Messies immer auch enorme Mühe bekunden, Ordnung in ihre Dinge zu bringen. Und das unabhängig von der Menge der Gegenstände in ihrem Besitz («Desorganisationssyndrom»).
Vor 2001 waren sowohl das Phänomen als auch die Bezeichnung in der Schweiz so gut wie unbekannt. Damals kamen im deutschen Privatfernsehen Sendungen auf, die Verwahrlosung und Vermüllung fälschlicherweise dem Messietum zuordneten.
Ebenfalls nicht hilfreich waren deutsche Selbsthilfegruppen, die sich «anonyme Messies» nannten. Da in Selbsthilfegruppen niemand, der nicht will, seine Identität offenlegen muss, hatte dieses überflüssige «anonym» zu Folge, dass sich Betroffene zusätzlich isolierten, anstatt im privaten Umfeld zum Messietum zustehen. Die totale Isolation ist für die Betroffenen letztlich kontraproduktiv, wenn nicht gar selbstzerstörerisch. Zudem trägt die Isolation auch nicht zu einer besseren öffentlichen Akzeptanz der Zwangsstörung bei. Experten schätzen, dass es beim Zwangshorten unter dem Strich und im Vergleich zu anderen Störungen einen Aufklärungsrückstand von mindestens einer Generation gibt.
Kaum geoutete Messies
Messies isolieren sich auch aus einem weiteren Grund: Ihre Zwangsstörung kann – im Unterschied zu anderen Süchten – weit über den privaten Wohnbereich ausstrahlen: Gegenstände werden ins Treppenhaus, den Keller, den Estrich ausgelagert und womöglich unordentlich gestapelt. In der Wohnung selbst sind Betroffene mit Besuchen von Aussenstehenden (Handwerker, Hausbesitzer etc.) konfrontiert, die die Anonymität partiell brechen, was zu Ängsten und noch mehr Isolation führen kann.
Im deutschen Sprachraum gibt es kaum Betroffene, die offen über ihr Zwangsverhalten sprechen. Selbst gegenüber Fachpersonen und Ärzten wagen auch heute noch viele nicht, ihr Messieproblem anzusprechen: Fast niemand steht zu seinem Zwang, wer an eine Öffnung denkt, ist oft allein gelassen.
Erstes offenes Treffen in der Ostschweiz
Der seit 2005 bestehende Verein «LessMess» will Abhilfe schaffen. In Zürich und Basel haben sich die offenen Treffen als niederschwelliges Angebot bewährt. Betroffene und deren Angehörige können sich an diesen offenen Treffen Tipps abholen, eine Kurzberatung in Anspruch nehmen oder weitere Hilfsangebote vermittelt bekommen. Am 23. März fand ein solches offenes Treffen auch in St.Gallen statt.
An allen vom Verein «LessMess» organisierten Treffen ist mindestens eine Person aus dem Vorstand anwesend, die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung überflüssig.
Klar ist, bis es für Messies gleichviel Mut braucht wie für Alkoholabhängige oder Depressive, zu ihrem Problem zu stehen, muss die Gemeinschaft der Betroffenen stärker und die Öffentlichkeit besser informiert werden. Je grösser das allgemeine Verständnis über Zwangshorten ist, desto leichter fällt es Betroffenen, sich zu öffnen und Hilfe zu suchen.
Und übrigens: Bei «Messie» handelt es sich um einen «false-friend»-Begriff, den es so im englischen Sprachraum gar nicht gibt: Auch auf Englisch spricht man von «compulsive horting» (dt. zwanghaftes Horten), wenn man von Menschen spricht, die von diesem Syndrom betroffen sind. Aus dem einst abwerteten Ausdruck der deutschen Umgangssprache ist zwischenzeitlich aber ein Begriff geworden, der auch in der (deutschsprachigen) psychotherapeutischen Fachwelt Verwendung findet.
Das nächste offene Treffen von LessMess findet am 16. Juni in St.Gallen statt. Betroffene und Angehörige treffen von 14 bis 16 Uhr im Selbsthilfezentrum an der Lämmlisbrunnenstrasse 55. Vorstandsmitglied Johannes von Arx wird ebenfalls anwesend sein. Eine Anmeldung für dieses offene Treffen ist nicht erforderlich. Weiterführende Informationen finden sich auf www.lessmess.ch.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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