Christian Lütolf, Geschäftsführer und Mitbegründer der Lütolf Spezialitäten AG
Einmal jährlich werden die Praxisprojekte der Fachhochschule St.Gallen mit viel Pomp am WTT YOUNG LEADER AWARD gefeiert. Was geschieht, wenn der Applaus vorbei ist, sich der Eisnebel in der Tonhalle verzogen hat und die Firmen die studentischen Arbeiten der ökonomischen Realität aussetzen?
Ein Blick ins Rheintal zur Lütolf Spezialitäten AG zeigt, wie aus einer Vision, einer Chips-Maschine aus Amerika – und einem Praxisprojekt – eine Unternehmensgeschichte für die Annalen entstanden ist.
Richtig knackig sind sie und duften leicht süsslich wie Popcorn: die Ribelmais-Tortilla-Chips aus dem St.Galler Rheintal. «Natürlich knuspern lässt sich damit, ohne Zusatzstoffe, ohne schlechtes Gewissen», lacht Christian Lütolf. Guten Grund dazu hat er: Mit den Chips schreiben die Lütolfs eine weitere Erfolgsgeschichte des einst verschmähten Ribelmais. Die Basis dafür legte ein Praxisprojekt mit Studierenden der Fachhochschule St.Gallen (FHS).
Gestern verschmäht, heute Trend
Wer von St.Gallen kommend auf der Autobahn ins Rheintal einbiegt, sieht zu rechter Hand die riesigen Silotürme auf der Höhe des Bahnhofs St. Margrethen: Hier ist die Lütolf AG seit den 60er-Jahren als Sammelstelle und Logistikcenter für Getreide tätig. «Wir sind in der Landwirtschaft verwurzelt, ein trendiges Produkt selbst zu vermarkten, war Neuland für uns», erinnert sich Lütolf. Dennoch schien es ein logischer Schritt. Denn bereits 1998 gründeten innovative Produzenten, Verarbeiter und Interessierte den Verein Rheintaler Ribelmais, um dieses Kulturgut wieder salonfähig zu machen. Seit der Geburtsstunde mit dabei war Ernst Lütolf, Mitinhaber und Patenonkel von Christian.
Inzwischen wuchs der Anbau im Rheintal von vier auf 90 Hektaren an und selbst Gourmetköche entdeckten den Klassiker neu. Ribelmais ist heute als einziges Getreide AOP-zertifiziert – verfügt also über eine kontrollierte Herkunftsbezeichnung wie edle Weine oder erlesener Käse. Dabei war der traditionsreiche Ribelmais nach dem zweiten Weltkrieg beinahe von Speiseplänen und Feldern verschwunden – verrufen als «Arme-Leute-Essen». Doch Ribel ist eiweissreich, vegan, glutenfrei und damit wieder angesagt.
Christian Lütolf, Geschäftsführer und Mitbegründer der Lütolf Spezialitäten AG
Eine Maschine und ein Praxisprojekt
Als bei Tests erste Ribelmais-Chips selbst im nahen Ausland auf Interesse stiessen, entschieden sich die Lütolfs im September 2018 kurzerhand, in Kalifornien eine Chips-Maschine zu ordern und nach Europa zu verschiffen. Lieferzeit: ein knappes Jahr. Doch durchkalkuliert war das ersehnte Chips-Geschäft noch kaum: Mit welchen Mengen und Preisen rentiert es? Wie trägt man die Chips zu Markte? «Das war durchaus risikoreich, und es musste gelingen», so Christian Lütolf. So gelangte er an die Wissenstransferstelle WTT der FHS.
Der Marketingexperte Daniel Steiner betreute die Studierenden während des Praxisprojekts: «Der Markt ist von übermächtigen Playern gesättigt, Startups haben es enorm schwierig.» Er witterte aber auch Chancen, da Schweizer Regionales bevorzugen und dafür auch etwas mehr bezahlen. So legten sich im Januar 2019 fünf Studierende richtig ins Zeug. Sie analysierten den Markt, führten Degustationen durch und erarbeiteten ein sauber kalkuliertes Marketingkonzept. Dabei ging es um Preisgestaltung, Kommunikation, Logistik und Vertrieb.
Gründung der Lütolf Spezialitäten AG
«Nebst regionalen und Nachhaltigkeits-Aspekten waren das Verpackungsdesign für verschiedene Händler und die Werbestrategie wichtig – das konnte ich bei unserem einzigartigen Produkt gleich mitpräsentieren», erzählt Christian Lütolf. Die Studierenden empfahlen, nicht nur auf Chips zu setzen, sondern auch andere Produkte zu lancieren, um seine Maschine optimal auszulasten. Das gab den Ausschlag, ein Startup zu gründen: die Lütolf Spezialitäten AG.
Ende Juni kam die Chips-Maschine in St. Margrethen an – aufs Ende des Praxisprojekts. Die Studierenden hatten zuvor bereits mögliche Vertriebspartner kontaktiert: So nahmen noch während des Projekts – oder kurz danach – mehrere Grossverteiler die Chips tatsächlich ins Sortiment auf. Im Juli 2019 wurden die ersten ausgeliefert.
Die Lütolfs setzten anschliessend die vorgeschlagenen Massnahmen um und haben die anvisierten Umsatzziele nun bereits nach einem Jahr erreicht. «Wir verkauften über 15 Tonnen Chips, etwa 100'000 Packungen», sagt Christian Lütolf stolz. Die Ribelmais-Chips gibt es heute nicht nur bei Migros, Volg oder in der Landi, sondern auch in vielen Dorfläden, in der Legna Bar in Flims oder der Gourmet-Abteilung des Warenhauses Loeb in Bern. «Wir haben rund 130 Kunden, die regelmässig bestellen.»
Vielfältiges Grundnahrungsmittel
In der Ostschweiz findet man die Ribelmais-Chips bereits an vielen Verkaufsstellen. Nun kommen nach und nach auch die Zürcher und Innerschweizer auf den Ribelmais-Geschmack. Gleichzeitig begann Lütolf auch Vorarlberger Riebelmais als Chips zu verarbeiten und nach Österreich auszuliefern. Dort wird gerade eine Variante mit Chili getestet.
An weiteren Ideen fehlt es nicht: «Die Möglichkeiten sind fast unendlich», freut sich Chrstian Lütolf. Allzu viel verraten will er noch nicht. Zu entlocken sind ihm dann aber doch: Tortillas, Power-Riegel, Maisdrink, Cornflakes, Rüstmais oder Fleischersatzprodukte. Man darf gespannt sein, welche Geschichten der Ribelmais noch schreibt.
Weitere Infos finden Sie hier.
Pascal Tschamper (*1974) ist selbständiger Kommunikationsberater in St.Gallen (Tschamper Kommunikation). Zuvor arbeitete als Kommunikationschef im Bildungsbereich und in diversen Marketing-, PR- und Event-Agenturen in Zürich und St.Gallen.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.