Unsere Landwirtschaft kostet Unsummen. Waldmeyer nahm sich vor, das heikle Thema mit seinem alten Schulfreund Ruedi Arnold zu besprechen. Dieser hatte sich vor einiger Zeit zurückgezogen und lebt nun als Bergbauer in der Innerschweiz. Als moderner Aussteiger einfach.
Waldmeyer entschied sich, das letzte Stück zu Fuss zurückzulegen. Immerhin hatte er es mit seinem Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) bis zur letzten Kehre geschafft. Der Fussmarsch in den schwarzen Sneakers war also zumutbar. Im Rucksack befanden sich zwei gekühlte Flaschen Bier. Waldmeyer hatte sich während den Tagen zuvor einige Gedanken über die Schweizer Landwirtschaft gemacht. Avenir Suisse hatte berechnet, dass uns diese 21 Milliarden pro Jahr kostet. Eine Unsumme also, die sich auf 200‘000 Franken pro Beschäftigten in der Landwirtschaft verteilt. Ein guter Grund also, die Sache mit Ruedi zu besprechen, seinem alten Schulfreund. Ruedi Arnold hatte nämlich schon immer brillante Ideen.
„Die sind ja warm“, meinte Ruedi, als er den verschwitzten Waldmeyer begrüsste und die beiden Feldschlösschen aus dem Rucksack zog. Er stellte sie zu den anderen Feldschlösschen in das neue Samsung Foodcenter. „Und wieso bist du nicht ganz raufgefahren?“ Ruedi deutete auf seinen blitzblanken neuen Subaru vor der kürzlich errichteten, vollklimatisierten Scheune. Elias (aus Eritrea) reinigte gerade den Innenraum des neuen Gefährts - mit einem neuen Dyson.
Waldmeyer hatte den Ort noch als abgeschiedenes Idyll in Erinnerung und war etwas verwirrt. Vor gut zehn Jahren, als Ruedi sich als Aussteiger outete und sich auf die Alp verzog, war alles noch ziemlich einfach. Inzwischen schien sich Bergbauer Arnold mit Hilfe der staatlichen Unterstützungen recht gut organisiert zu haben.
Ruedi Arnolds Werdegang war schon immer etwas anders. Erst der Schulabbruch, dann die Lehre als Baufensterschreiner. Dann kamen die starken Mehrfachverglasungen, die Fenster gingen nicht mehr kaputt, denn diese hielten plötzlich allen Fussbällen und anderen Geschossen stand. Der örtliche Fensterschreiner musste seine Waffen strecken und Ruedi wurde arbeitslos - dann aber Futtermittelverkäufer (Aussendienst). Umtriebig genug, stieg er jedoch bald in den Occasionshandel ein, später kamen die Neuwagen dazu. Auch dies war ihm indessen bald zu repetitiv, und er setzte auf die Börse - massiv. Bis Lehmann Brothers. Ab 2009 dann wieder Futtermittelverkäufer, allerdings digital. Und dann die Alp.
Waldmeyer warf einen Blick in die Küche. Die multi-taskende Paula sprach in Portugiesisch wie ein Maschinengewehr in ihr iPhone 13 plus, blätterte gleichzeitig in einer Modezeitschrift, kraulte eine Katze und warf Waldmeyer ihr bezauberndes brasilianisches Lachen zu. Von zwei PCs flimmerten Notierungen mit Futtermittelpreisen, und es roch nach frischem Apfelkuchen. Alles stimmte.
Das Gespräch mit Ruedi auf der Veranda war sehr erbauend. Nach dem dritten Bier waren sie sich ziemlich einig: Eigentlich sind diese staatlichen Unterstützungen absurd. Diese Geldvernichtungsmaschine produziert Outputs, welche nur einem Bruchteil der Inputs entsprechen. Und Ruedi wusste: Fast alle Futtermittel und auch der Grossteils der Düngemittel werden importiert – das mit der gesicherten Landesversorgung war also eh eine Illusion. 21 Milliarden dividiert durch 8.6 Millionen Einwohner, so rechnete Ruedi vor, ergeben rund 2‘500 Franken pro Jahr: So viel kostet die Landwirtschaft pro Kopf und pro Jahr. Ob das der Bürger wirklich so möchte?
Ruedi schlug also vor, sämtliche Importzölle und Subventionen abzuschaffen. An deren Stelle würde er einfach hundert Franken jährlich pro Hektare für die Landschaftspflege erhalten. Die Touristen schätzen in der Tat akkurat geschnittenen Wiesen, gepflegte Wege und Wälder. Er würde nur eine einzige Kuh behalten, diese am Wochenende rausstellen (1‘500 pro Jahr). Lotti als Schmuck quasi, wie die saubere Fassade seiner inzwischen ziemlich grossen Alphütte. Lottis Milch würde der kleinen Käseproduktion dienen, Paula würde sich darum kümmern. Die Tomme Paula brächten fünf Franken pro Stück, Direktverkauf ohne Quittung an die Touristen - und ohne einen Rappen Subvention. Oder direkt an die Migros, mit vollem Merchandising-Service direkt ins Regal. Lotti könnte pro Jahr 9‘000 Liter hochwertige Biomilch produzieren, davon lassen sich 4‘630 Tommes herstellen!
Viermal Alphorn blasen wöchentlich (nur während der Wandersaison) gibt nochmals 100 Franken pro Monat. Alles im Punktesystem am besten, das ist einfach; die Leistungen könnten zudem ebenso einfach überprüft werden. Das Alphorn zum Beispiel hört man bis ins Unterland. Im Winter dann könnte er Futtermittel traden. Das mit den Skiliften sei jetzt eh vorbei.
Erleichtert trat Waldmeyer den Abstieg ins Tal an – oder besser die Hinunterfahrt. Ruedi hatte recht: Landschaftsgärtner wären viel günstiger. Und mit dem neuen Ansatz wären die importierten Lebensmittel auch günstiger. Beim Hofbauern in Meisterschwanden könnte Waldmeyer immer noch das Biogemüse holen, wenn auch erheblich teurer.
Aber was sollte man mit den Raps- und Maisfeldern machen im Unterland, die dann nicht mehr gebraucht würden? Vielleicht Siedlungen? Eine neue Stadt, ein grosser Wurf? Waldmeyer nahm sich vor, Ruedi bald wieder zu besuchen.
Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.
Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.
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