Max Waldmeyer hatte schon vor ein paar Monaten mit Freude zur Kenntnis genommen, dass die Schweizer Luftwaffe nun nicht mehr nur zu Bürozeiten einsatzbereit ist. Aber die Sache hat einen gravierenden Pferdefuss. Waldmeyer ist entsetzt.
Das Thema Schweizer Kampfjets ist ein ewigwährendes. Wenn es nach der SP ginge, dürften Kampfjets gar nicht zum Einsatz kommen – ja, es darf im Auswahlverfahren für die neuen Flieger nicht einmal hypothetische Einsatzvorgaben geben. Waldmeyer hingegen versucht, immer apolitisch zu denken. Er zieht es vor, die Dinge konsequent aus betriebswirtschaftlicher, nötigenfalls aus volkswirtschaftlicher Sicht zu betrachten – und auch zu hinterfragen. In der Regel geht es ihm immer um einen sinnvollen Mitteleinsatz.
Dass bei der Auswahl für die neuen Flieger im Rahmen eines Budgets kurzum das beste Gerät angeschafft werden sollte, gebietet schlichtweg der Logik. Und dass das Land nun auch ausserhalb der Bürozeiten verteidigt werden kann, war eine gute Nachricht. Allerdings fehlen dafür zurzeit moderne Jets. Aber immerhin sieht der neue Plan nun vor, dass konstant mindestens zwei (2!) ältere Flieger zur Verfügung stehen. Jedoch, und das entsetzte Waldmeyer wiederum, nur «innerhalb von 15 Minuten».
Die ganze Kampfjet-Malaise betraf also nicht nur die schleppende und komplizierte Beschaffung, sondern ebenso den laufenden Einsatzplan der Flieger.
Ob die Piloten jeweils erst geweckt, die alten Jets erst vollgetankt oder ob erst auf eine Flugerlaubnis von Viola Amherd gewartet werden muss? Zumal der Dolmetscher – für Viola – rechtzeitig, vielleicht gerade mitten in der Nacht, bemüht werden müsste. Walliser Mundart ist ja nicht jedem in der Befehlskette geläufig. So oder so: 15 Minuten sind eine lange Zeit, vor allem im Ernstfall.
Waldmeyer wusste: Jeder durchschnittliche feindliche Kampfjet bringt es auf Mach 2, also auf eine Geschwindigkeit von über 2000 km/h. Ein solcher Flieger legt demnach in 15 Minuten 500 Kilometer zurück. Mit andern Worten: Ein feindlicher Kampfjet dringt zum Beispiel bei Schaffhausen in den Schweizer Luftraum ein, fliegt nach Genf, dreht eine Runde um den Jet d’Eau, steuert dann Basel an und verlässt so wieder den Schweizer Luftraum. Und dies nach genau 15 Minuten. Just in diesem Moment starten dann unsere tollen alten Flieger (die neuen natürlich erst ab 2030 - vielleicht). Biden und Putin hätten während ihrem Gipfeltreffen in Genf ob der virtuosen Flugeinlage der vermeintlichen Schweizer Flugwaffe, die gekonnt den Jet d’Eau umkurvt hätte, nur so gestaunt.
Nun gut, unser Schweizer Krisenszenario sieht ja kaum einen echten Einsatz von Kampfjets vor. Im Notfall würden wir nämlich neutral bleiben und vielleicht untergehen. Im Krisenfall schaffen wir es immerhin, beispielsweise nur, unsere Leute aus Afghanistan rauszuholen – aber wir tun das natürlich nicht selbst (der Job wurde elegant an die Deutschen delegiert).
Echte und nicht ganz unwahrscheinliche Krisenszenarien sind Terrorangriffe. Taliban-Terroristen sind bereits im Besitz von schnellen Kampfjets (die Amis waren nämlich ein bisschen liederlich bei ihrem Abzug in Afghanistan); solche Terroristen könnten also, theoretisch, in den Schweizer Luftraum eindringen. Oder wahrscheinlicher, weil einfacher: Terroristen könnten einen Learjet buchen und, von Hand, eine Bombe über dem Bundeshaus oder über einem Bundesamt abwerfen (bedauerlicherweise zum Beispiel über dem BAG). Der Learjet, so rechnete Waldmeyer, würde beispielsweise mit 900 km/h bei Basel einfliegen, in Bern sich seiner risikobehafteten Bombenlast entledigen, dann wieder zurück ins Elsass stechen. Dauert auch nur 15 Minuten. Dann starten unsere zwei Jets. Vielleicht nur einer, denn das relativ uninteressante BAG-Ziel war eventuell nur ein Ablenkungsmanöver, also würde Viola den zweiten Flieger besser noch zurückhalten – für einen Worst Case.
Das macht alles ja gar keinen Sinn, resümierte Waldmeyer. Denn wenn unser erster Flieger (der zweite, wie wir wissen, würde noch in Emmen warten) in der Luft ist und bei Basel wieder scharf abdrehen müsste, wären die illustren Passagiere des Learjets bereits in Colmar – vielleicht gerade schon beim Gänseleber-Essen, beispielsweise.
Waldmeyer hatte im Herbst 2020 zwar für Violas neue Kampfjets gestimmt. Nun stellte er jedoch, mit der neuen Erkenntnis des Einsatzplanes dieser Geräte (mit der bedauerlichen Abflugverspätung von 15 Minuten), die Einmalinvestition von sechs Milliarden plötzlich in Frage. Ob F-35, F/A-18, Rafale oder Eurofighter: Das spielt dabei keine Rolle. Konsequenterweise müssten sogar die ebenso rund sechs Milliarden, die die Schweiz jedes Jahr für die gesamte Landesverteidigung ausgibt, hinterfragt werden. Zumindest müssten die Mittel adäquat einsatzbereit sein. Aus Waldmeyers unternehmerischer Sicht lag hier also entweder eine Fehlentscheidung bei der Investition vor, oder es handelt sich um eine fehlerhafte Nutzung dieser Investition. Das hat nichts mit Politik zu tun, sondern mit einer mangelhaften Mittelallokation.
Waldmeyer erinnerte sich an die neue EDV-Anlage in seiner Firma, es war im September 1998, die nie zum Laufen kam. Oder an das verfluchte SAP-Programm für die Bestellabwicklung 2005 - alles vergleichbare Mittelverschwendungen. Was die Schweizer Luftwaffe betrifft: Alles andere, als sich nur verspätet einsatzfähige Kampfjets zu leisten, wäre günstiger. Man könnte, für viel weniger Geld (nur um ein Beispiel zu nennen, das sich vielleicht ganz gut in andere helvetische Absurditäten einreihen könnte), alle Schweizer Militärpiloten einmal wöchentlich ins Elsass fliegen, zum Gänseleber-Essen. Das wäre immer noch günstiger, als alle diese zu spät abfliegenden Vögel instand zu halten.
«Eigentlich ist Gänseleber gar nicht so teuer, Charlotte», meldete Waldmeyer zu seiner Frau rüber. «Relativ gesehen, meine ich.» Charlotte antwortete nicht, da sie einerseits keine Gänseleber ass, andererseits heute keine Lust verspürte, Waldmeyers neue Relativitätstheorien anzuhören. Waldmeyer fühlte sich wieder einmal sehr allein gelassen mit seinen Überlegungen. Die ökonomischen und politischen Rätsel häufen sich in letzter Zeit.
Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.
Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.
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