Waldmeyer staunte, als er das CV von Ursula von der Leyen genauer studierte. Seit er sich vom aktiven Unternehmerleben zurückgezogen hatte, vermisste er es, Leute anstellen zu können – und vorab eben CVs zu lesen.
Nicht, dass Waldmeyer nun von der Leyen, derzeit noch in der Position einer Präsidentin der Europäischen Kommission, eine Stelle offerieren wollte. Er googelte ihren Lebenslauf nur so aus Neugierde.
Also erfuhr er: Von der Leyen hatte einen prominenten Vater, Ernst Albrecht, den bekannten niedersächsischen Ministerpräsidenten. Auch ihre Vorfahren zeugten bereits von Status, denn da waren auch schon mal Plantagenbesitzer aus den USA dabei. Also old money, analysierte Waldmeier. Von der Leyen studierte während 11 Jahren Archäologie, Politologie und Medizin. 2001 beendete sie ihre Ausbildungskarriere mit einem Master of Public Health – nur 25 Jahre nach Studienbeginn. Sie arbeitete allerdings nie richtig in allen diesen Disziplinen (ausser einmal kurz als Assistenz-Kinderärztin), gebar jedoch sieben Kinder und ging in die Politik - wo sie es sich heute nicht nehmen lässt, auch mal über Digitalwährungen, makroökonomische Theorien und über geostrategische Einsätze von Kriegsgerät zu sprechen.
Waldmeyer beeindruckte vor allem diese beachtliche Kinderschar: 7 (sieben!). Er erinnerte sich noch an die Schmerzen, die er bei Laras Geburt durchstand und versuchte vergeblich, diese Folter mit sieben zu multiplizieren.
Aber zurück zu Ursulas CV: Sie war sogar kurz einmal deutsche Verteidigungsministerin. Allerdings verliess sie das Schlachtfeld mit Fliegern, die nicht fliegen konnten, Panzern, die kaputt brach lagen und Gewehren, deren Läufe nach ein paar Schuss runterhingen. Die diversen NachfolgerInnen (Nachfolger*innen?) konnten inzwischen noch nicht ganz aufräumen. Trotz diesem Verteidigungsdesaster schaffte es Ursula anschliessend, Präsidentin der Europäischen Kommission zu werden. Nun orchestriert sie Euroverschuldungen in Billionenhöhe, verhandelt komplexe Brexitverträge und debattiert in Sachen europäischer Rechtsstaatlichkeit. Sie kennt sich auf den Schlachtfeldern in der Ukraine aus und moniert die Unterversorgung der deutschen Armee – und blendet so einen früheren Posten in ihrem CV einfach aus. Zumindest politisch ganz beschlagen.
Ist Ursula ein Übermensch? Ein Universalgenie? Intelligent ist sie ja, zweifelsohne – und ehrgeizig auch. Aber kann man denn auf so vielen Gebieten derart beschlagen sein? Waldmeyer ist überzeugt, dass sie auch virtuos Harfe spielen und eine Medaille in Synchronschwimmen holen könnte.
Waldmeyer seinerseits kann immerhin auf ein profundes Ökonomiestudium, eine bescheidene Offizierskarriere, ein paar Sprachaufenthalte und eine einigermassen erfolgreiche Laufbahn als Unternehmer zurückblicken. Was sich allerdings, im Vergleich zu unserer ewigen Studentin, ziemlich unspektakulär anhört. Aber sein CV erschien ihm nicht weniger zielführend, was die Voraussetzung für eine Topposition in der Politik anbelangen könnte. Wenn man es mit einem doch so zerfledderten Lebenslauf wie dem von der Leyens in solche Spitzenpositionen schafft, warum nicht auch mit Waldmeyers CV …?
„Charlotte, sollte ich nicht auch in die Politik?“, fragte Waldmeier.
Nur, man müsste eben sofort oben reinkommen. Zum Beispiel gleich Bundesrat Berset, Parmelin oder Simonetta Sommaruga ersetzen und sich auf eine echte Krisenführung vorbereiten. Und dann, z.B. nur, diesen BAG-Laden endlich aufmischen, dort erst mal die Faxgeräte rauswerfen. Mit anderen Worten: Management-Methoden einführen. Dazu gehört ebenso, nicht im letzten Moment erst einen echten Krisenplan für Blackouts zu erstellen und konsequent mit dem Ausbau von Speicherkraftwerken in den Alpen beginnen. Also endlich ein paar zünftige Staumauern hochziehen in der Schweiz, damit wir energiemässig autark werden.
Charlotte antwortete immer noch nicht, sodass Waldmeyer sein Reflektieren jetzt abschloss, sich nochmals ein Glas Terre Brune einschenkte und beschloss, nichts zu beschliessen. Ganz staatsmännisch eben - als Politiker bereits.
Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.
Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.
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