Waldmeyer betrachtet sich als privilegiert – zumindest was seine ökonomische Absicherung anbelangt. Auch hält er immer eine stattliche Bargeldreserve. Als Plan B sozusagen, man weiss ja nie. Aber genau hier liegt die Krux. Vielleicht sollte er doch noch mehr diversifizieren…?
Max Waldmeyer hatte eigentlich keine richtigen Geldprobleme. Als Ökonom und ehemaliger Unternehmer hatte er es verstanden, etwas auf die Seite zu legen und zumindest in pekuniären Dingen einigermassen vernünftig zu bleiben.
Was ihn indessen spätestens seit 2010 (der Griechenland- und der Zypernkrise) irritierte: Es kann in wirtschaftlichen Krisen durchaus vorkommen, dass Bankomaten plötzlich kein Geld mehr ausspucken oder Banktresore nicht mehr zugänglich sind. Vielleicht blüht demnächst das Gleiche den Russen. Ergo sollte man die Scheine eben doch besser im privaten Tresor lagern? Nur, was ist, wenn das Bargeld plötzlich abgeschafft wird? Die Schweden zum Beispiel sind ja bald so weit.
Verwirrend sind auch die neuen digitalen Währungen, Bitcoin zum Beispiel. Diese Kryptowährungen waren Waldmeyer noch nie geheuer. Allerdings, der Reiz an ihnen: Eigentlich kann jeder eine solche lancieren. Nebst ein bisschen Informatik brauchte es dazu offenbar nur ein gesundes Mass an Unverfrorenheit und genügend Überzeugungskraft. Die digitale Währung muss auch nicht mit irgendeiner Reservewährung hinterlegt oder abgesichert werden - man schafft sie einfach. Aus dem Nichts.
“Vielleicht sollten wir auch eine eigene Kryptowährung kreieren?”, meinte Waldmeyer zu Charlotte. Ein „Waldmeyer“ könnte z.B. einem Euro entsprechen. Und ein „Waldmeyer“ würde sich in 100 „Draghis“ aufteilen. (Ein Draghi wäre also nicht viel wert, was die Schuld Draghis, des ehemaligen Chefs der Europäischen Zentralbank, an der Entwertung des Euros symbolisieren würde, herbeigezwungen mit seiner zinslosen mirakulösen Geldvermehrung). Da ein Euro heute ein paar wenige Prozente mehr wert ist als ein CHF, wäre mit dem Bezahlen in „Waldmeyers“ vielleicht auch gleich das Problem mit dem blöden Trinkgeld im Restaurant gelöst – der „Waldmeyer“ enthielte es bereits!
Als Waldmeyer am Freitagabend seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) Richtung Zürich zum Tre Fratelli navigierte, meinte er zu Charlotte, triumphierend: “Heute werden wir mit „Waldmeyer“ bezahlen!” Charlotte amüsierte sich: “So, hast du jetzt also deine Kryptowährung lanciert?”
Das Scaloppine al Limone war etwas trocken, dafür der Preis etwas hoch, der Terre Brune jedoch wie immer hervorragend, der Grappa wurde von Luigi offeriert. Waldmeyer fragte Luigi, beinahe beiläufig: “Kann ich heute mit „Waldmeyer“ bezahlen?” “Certo, non c’è problema”, antwortete dieser und kritzelte etwas auf einen Zettel.
Charlotte war verblüfft. Luigi akzeptierte also tatsächlich die neue Währung - einfach so? “Klar”, meinte Waldmeyer, “ich akzeptiere sie selbst ja auch. Das nächste Mal, wenn wir hier sind, konvertiere ich seine „Waldmeyers“ in CHF und nehme sie zurück.”
“Und das Trinkgeld?”
Stimmt, reflektierte Waldmeyer, vielleicht sollte ein „Waldmeyer“ doch besser einem CHF entsprechen. Das wäre eh sicherer, bei diesen gewaltigen Staatsschulden in den Euroländern.
Was Charlotte nun einleuchtete: Eine Kryptowährung lässt sich offenbar sehr einfach lancieren. Es reicht, wenn man sie selbst akzeptiert, angereichert mit der Akzeptanz von ein paar wenigen Anderen. Sie dachte kurz an die Lancierung von „Charlotten“, unterteilt in 100 „Liras“ (als Symbol für Erdogans serbelnde türkische Währung). Sie verwarf den Gedanken jedoch wieder. Waldmeyer schien ihr doch sicherer.
Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.
Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.
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