Waldmeyer machte eine interessante Entdeckung: Das Desaster in der europäischen und insbesondere deutschen Energie- und Digitalisierungsplanung hat ihre Wurzeln eventuell in Deutschland. Vielleicht begann es gerade dort, schon im vorletzten Jahrhundert, mit ersten staatlichen Managementfehlern!
Waldmeyer war erstaunt: 1886, als der Bau des Schlosses Neuschwanstein des ziemlich irren und verschwenderischen bayrischen Königs Ludwig II. gestoppt wurde, verfügte die prunkvoll geplante Anlage über keine Elektrifizierung. Der erst 40-jährige König fand gleichzeitig mit seiner Absetzung und dem Ende der Bauarbeiten ein unrühmliches Ende in den Tiefen des Starnberger Sees. Prunk, Weltläufigkeit und ein gutes Händchen für die schönen Künste hatten nicht ausgereicht, die teure Anlage auch technologisch up-to-date auszugestalten. Dabei fand die breite industrielle Elektrifizierung in Europa schon ab 1880 statt, Edison lancierte seine Glühlampe bereits 1879, das Hotel Kulm in St. Moritz wusste kurz darauf seine Gäste mit elektrischer Beleuchtung zu begeistern. Unternehmer trieben die technologische Revolution im Monatstakt voran, während die Staatsspitzen noch das Bad in der Historie und dem Nichtstun nahmen. Ludwig hätte übrigens auch auf fliessend Warmwasser verzichten müssen, hätte er je richtig Wohnsitz nehmen dürfen in seiner anachronistischen Bleibe.
Wie meinte doch später der gute alte Gorbatschow: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Das geflügelte Wort entstand 1989 in der DDR. Auch gut 100 Jahre nach Ludwig hatten deutsche Staatsführer offenbar den Zug verpasst.
Waldmeyer sah allerdings ein, dass die historischen technologischen Miseren nicht allein in den Nachbarstaaten zu suchen sind. Wir müssen nicht lange in der Historie grübeln: So bestand z.B. das BAK (das Schweizerische Bundesamt für Krankheit) bis vor kurzem darauf, Daten per Fax rumzuschicken (Anm. der Redaktion für jüngere Leser oder historisch Interessierte: Ein Faxgerät ist eine analoge Übermittlungsmaschine mit niedrigauflösender schwarz/weiss Qualität, ab 1983 breiter vermarktet – in Deutschland etwas verspätet erst ab 1989 -, seit rund zehn Jahren jedoch fast nirgends mehr in Gebrauch).
Aber zurück zu Deutschland: Das Land verfügt heute zwar nur über eine bescheidene Gastronomie, indessen über top Industrien. Deren Erzeugnisse sind oft Weltmarktleader. Eine fortschrittliche Nation also?
Bedingt, dachte sich Waldmeyer, als er kürzlich im bezaubernden bayerischen Allgäu ein Wochenende mit Charlotte verbrachte. Wie konnte es nur sein, dass verschiedene Landstriche kaum über eine vernünftige Internetz-Abdeckung verfügten (Anm. der Redaktion: Internetz = deutscher Term für Internet)? Keine Tageszeitung online, kaum WhatsApp-Meldungen, das Foto von Charlotte an den Gestaden des Alpsees war nicht zu posten (Hintergrund selbstredend Neuschwanstein). Das Wetter für den nächsten Tag blieb unbekannt, der Eurokurs auch, die Börsenkurse konnten nur erahnt werden. Der Anhang in der unnützen E-Mail aus der Firma konnte nicht geöffnet werden, hätte aber vielleicht trotzdem sehr wichtig sein können. „Deutschland ist nicht nur eine kulinarische Wüste, sondern auch eine Wüste in Sachen Internet-Abdeckung!“, empörte sich Waldmeyer.
Stimmt. Es gibt kaum ein Land ausser zurzeit vielleicht in der Ukraine, in welchem es noch dermassen viele Funklöcher gibt, resümierte Waldmeyer. Generell hapert es in Germanien mit der Digitalisierung an der Basis. Wir schaffen das…? Seit Jahren hat sich die deutsche Regierung vorgenommen, hier Abhilfe zu schaffen. Aber sie schafft es nicht. Merkels Regierung hatte es während 16 Jahren nicht hingebracht, auch nicht mit Sekundant Scholz während den letzten vier Jahren. Das betrifft auch die längerfristige Planung von genügend Elektrizität. Die «Energiewende» zeichnet sich heute so ab, dass mangelnd realistischer Planung demnächst nicht genügend Elektrizität zur Verfügung stehen wird. Besonders jetzt, nachdem die Gaslieferungen Putins ins Stocken geraten sind.
Wenn Mutti nichts tat, und Scholz jetzt vermutlich immer noch nichts tut, so müssen sie sich zumindest keine Fehlentscheide vorwerfen lassen. Eine bis anhin ziemlich gut funktionierende Strategie, welche übrigens in vielen heiklen Dingen auch der Schweizerische Bundesrat verfolgt. Tatsächlich ist Nichtstun zuweilen das Beste, was Politiker tun können.
Den Staatsführern und Politikern ist allerdings zugute zu halten, dass sich durch Untätigkeit oder aktive Verschleppung die Probleme oft von selbst erledigen: Den neuen, mit zehn Jahren Verspätung eröffnete Flughafen in Berlin zum Beispiel braucht es gar nicht mehr, weil längerfristig wohl eh weniger geflogen wird.
Staaten, bzw. deren Repräsentanten, waren noch nie gute Manager. Vielleicht ist diesbezüglich beispielsweise Singapur eine Ausnahme: Dort werden nur die besten Manager aus der Wirtschaft in Ministerposten gehievt, und die in der Regel brillanten Köpfe verdienen marktgerechte Saläre. In den meisten Staaten jedoch herrscht eine Klientel-, Beamten- oder generell eine Misswirtschaft.
Waldmeyer versuchte, seine jüngsten Eindrücke so zusammenzufassen: Staaten werden nur während Schönwetterperioden gut verwaltet. Verwaltet, wohl verstanden – nicht geführt, geschweige denn gemanagt. Kommen echte Krisen auf oder stehen nachhaltige Probleme an, versagen diese Setups.
Waldmeyer, als Firmenchef ökonomisch gestählt, meinte zu Charlotte: „Wir brauchen CEOs an der Staatspitze. Die würden den Laden effizienter schmeissen“.
„Max, würdest du dich denn zur Verfügung stellen?“
Nun, das denn doch auch wieder nicht, überlegte sich Waldmeyer.
Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.
Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.
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