logo

Freitags-Glosse

Waldmeyer rückt in die RS ein

Anfangs 2022 rückten die neuen Rekruten nur virtuell ein, denn es war Homeoffice angesagt. Kombattante Verteidigung lernt man nun also allein und von zuhause aus. Von diesem irren Vorgang war nun plötzlich auch Max Waldmeyer, Jahrgang 1966, betroffen!

Roland V. Weber am 17. Juni 2022

Wie die Schweizer Armeeführung auf diese aberwitzige Idee kam, ist schleierhaft. Es gibt einfach Berufe und Vorgänge, die lassen sich schlecht von zuhause aus erledigen. Ein Coiffeur oder ein Metzger beispielsweise kann seinen Job einfach unmöglich im Homeoffice verrichten. Eigentlich wäre das auch bei einer Soldatenausbildung so: Da geht es, vor allem in den ersten Wochen, um Disziplin, Ordnung, kontrolliertes Verhalten. Führung muss gefühlt, Teambildung andererseits erlernt werden. Eine kafkaeske Vorstellung also, dass 20-jährige Boys das alles von zuhause aus selbst in sich reinprügeln.

Hoffentlich erfährt das der Putin nie, dachte sich Waldmeyer, er würde einen Lachanfall kriegen ob dieser belustigenden Nachricht aus dem kleinen und fernen Helvetien. Und Waldmeyer überlegte noch: Ob die tapferen Ukrainer wohl auch im Homeoffice ausgebildet wurden? Oder gar die Navy Seals …?

Andererseits, so reflektierte Waldmeyer weiter, könnten wir dergestalt, auch längerfristig, viel Geld einsparen. Man könnte doch gleich auch die Wiederholungskurse künftig im Homeoffice absolvieren! Alles mit Distance Learning. Dazu braucht es nur diese gescheiten E-Learning-Programme der Armee. Bis jetzt liefen sie noch nicht so richtig, es gab zu viele Pannen. Aber binnen einem Jahr würde unsere digital gestählte Armeeführung das vielleicht hinkriegen. Allerdings bestünde vielleicht Gefahr, dass diverse Mütter eine Sammelklage gegen die Armee einreichen könnten (es ginge um eine Kompensation für die Landschäden, die die vielen Gefechtsparcours anrichten, die in den Gärten angelegt werden).

Überhaupt: Konflikte wie in der Ukraine liegen weit weg; ein richtiger Krieg in der Schweiz ist sehr unwahrscheinlich. Also könnte man doch die ganze Armee nur virtuell aufstellen. Auf jeden Fall liesse sich ein grosser Teil der fast 6 Milliarden Franken, die wir jährlich für die Armee ausgeben, hervorragend einsparen. Über 10 Jahre ergäbe sich ein Einsparungspotential von vielleicht 50 Milliarden – das entspräche rund der Hälfte der Schweizer Staatsverschuldung. Ab 2032 könnten wir dann auf Normalbetrieb umschalten und wieder klassisch Armee und somit auch RS spielen. Das Timing wäre ideal, denn dann wären vielleicht die neuen Flieger und die neue Luftabwehr eingetroffen – vorher könnten wir uns so oder so kaum verteidigen. Sofern diese Geräte unsere Viola tatsächlich bestellen darf. Waldmeyer fragte sich, ob er einfach Nachsicht üben sollte mit diesem Zeitlupen-Konzept. Wie meinte doch Korporal Mosimann, damals, 1986 in der RS: „Numme nid gsprängt!“

Nun also dieser RS-Marschbefehl für Noa. Waldmeyers Sohn hatte allerdings überhaupt keine Lust, in eine Homeoffice-RS einzurücken. Noa wollte noch dringend in die Stadt, hatte Diverses schon mit Bekime (seine albanische Freundin) geplant, und es befanden sich bereits verschiedene Partys – mit entsprechenden Erholungsphasen – in der Pipeline. Er wollte auch die Reifen an seinem alten BMW wechseln. Also schlichtweg keine Zeit. Noa provozierte Waldmeyer zudem mit der Idee, vorübergehend formell sein Geschlecht zu ändern – was jetzt bei den Behörden spielend leicht geht und ihn sofort von einer Armeepflicht befreien würde.

Das war zu viel für Waldmeyer. Und so geschah es, dass er sich tatsächlich erweichen liess: Rekrut Max Waldmeyer rückte an Noas Stelle in die RS ein! Das heisst, in diese Homeoffice-RS. Waldmeyer setzte noch als ultimative Bedingung durch, dass er dafür auch den Sold einstreichen durfte.

Noa machte also sein Ding, und Waldmeyer hockte sich an den PC mit den komischen Armee-Programmen. Vorher zog er noch seine alte Uniform an (obwohl sie etwas gar eng geworden war). Charlotte zuliebe liess er seine Armeewaffe im Schrank. Bei den Lernprogrammen war allerlei Lustiges dabei. So zum Beispiel ein Tutorial zum Krawattenbinden, eine Tetris-Anleitung zum Zerlegen und wieder Zusammensetzen von allerlei Waffen und Geräten. Waldmeyer frischte seine Kenntnisse im Erkennen von wichtigen Armeeabzeichen auf (Grad, Waffengattungen, etc.). Er legte auch einen ersten Marsch in seinen alten Militärschuhen im Garten zurück. Gekonnt scannte er den QR-Code für das Erlernen der Nationalhymne und lud die verschiedenen absolvierten Tests virtuos in die Militärwolke rauf.

Charlotte wunderte sich, wieviel Knie- und Rumpfbeugen Waldmeyer plötzlich in seinem Büro machte. Auf die Frage, warum er dafür in seiner alten Uniform stecke, meinte Waldmeyer nur: «Manchmal darf man nicht den einfachsten Weg gehen.» Für den Moment reichte das, und Charlotte liess ihn kopfschüttelnd allein.

Die Homeoffice-Periode verstrich im Nu. Nach deren Ablauf drückte allerdings die Frage, wie jetzt Noa – völlig unvorbereitet – physisch einrücken sollte.

«Dad, du musst gehen! Ich hab diesen Scheiss überhaupt nicht intus.» Stimmt, Noa wäre der Situation gar nicht gewachsen – auch mental nicht. Es fehlte eindeutig die Disziplin, der Drill.

Waldmeyer stellte sich in der Folge vor, dass er tatsächlich einrücken würde. Mit Noas Dienstbüchlein und der zuvor im Zeughaus bezogenen Ausrüstung.

Aber was, wenn der Korporal ihn dann nach dem Jahrgang fragen würde? «Rekrut Waldmeyer: Mütze weg!». Waldmeyer stellte sich vor, dass er dann allerlei Begründungen parat haben müsste. Zum Beispiel: «Ich kann alles erklären!» oder «Es ist nicht so, wie es aussieht.» Oder ganz einfach die nackte Wahrheit: «Ich habe schon immer älter ausgesehen». Dann, als situative Vorbereitung, sollte der Korporal (vielleicht ein Soziologiestudent) etwas intellektueller rüberkommen: «Machen Sie sich keine Sorgen, ich bin nur ein Darwin’scher Querschläger».

Waldmeyer wusste nicht mehr, wie die Geschichte weiterging – oder besser: wie sie weitergegangen wäre. Auf jeden Fall wäre der Ausgang vermutlich nicht so spektakulär gewesen. Vielleicht hätte er einfach ein ÖV-Billett zweiter Klasse erhalten, Kaserne Bülach-Meisterschwanden einfach.

Oberleutnant a.D. Waldmeyer, immer lösungsorientiert, entschied sich anders: Er würde eine Home-Kaserne errichten und Noa armeetauglich machen!

Charlotte schaute entsetzt aus ihrem Bürofenster in den Garten und sah Waldmeyer in Uniform und Stiefeln. Er hielt ein kleines rotes Buch in der Hand, und sie hörte ihn brüllen: «Noa, wir haben nun noch ein langes Wochenende vor uns. Zeit genug, um alles nachzuholen! Also, Rekrut Waldmeyer: Jetzt ist vorbei mit Digital. Beginnen Sie schon mal mit den Liegestützen. Ich bereite den Gefechtsparcours vor!»

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Roland V. Weber

Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.

Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.