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Nach der Krise ist vor der Krise

Waldmeyer und das Toilettenpapier

Was haben ein Meteoriteneinschlag, Kriegswirren, ein Blackout und eine Pandemie gemeinsam? Nun, gemeinsam ist allen, dass dabei als erstes immer das Toilettenpapier ausgeht. Es ist ein Gesetz jeder Krise. Waldmeyer hat dafür eine ökonomische Erklärung.

Roland V. Weber am 29. April 2022

Alle Texte rund um Max Waldmeyer finden Sie hier.

Waldmeyer erinnerte sich an die Geschichten über die Hamsterkäufe von Toilettenpapier während den ersten Tagen der Corona-Krise. Probleme diesbezüglich wurden weltweit rapportiert, sogar aus Australien. Interessant schien ihm dabei insbesondere die Geschichte von Reto Sonderegger, seinem Schwager. Aber dazu später.

Vorab versuchte Waldmeyer zu analysieren, wie es überhaupt zu diesen Lücken in den Verkaufsregalen kommen konnte. Es geht nämlich um eine sehr anspruchsvolle Variante der Spieltheorie aus den Wirtschaftswissenschaften. Für diese Theorien wurden schon verschiedene Nobelpreise verliehen. Die Analyse von komplexen Entscheidungssituationen eignet sich nämlich auch für die Miseren mit dem fehlenden Klopapier. Es geht um die eigenen und die fremden Entschlussfassungen, welche sich gegenseitig in Abhängigkeit bringen. Wie beim Schach eigentlich. Menschen sind nämlich egoistisch. Falls ihr Rollenverhalten nicht so wäre, gäbe es immer gleich viele Rollen im Gestell.

Natürlich hatte sich auch sein Schwager Reto Sonderegger in jenem März 2020 nur als homo oeconomicus verhalten wollen. Oder einfach von Darwin inspiriert: survival of the fittest. Aber dazu eben später.

Waldmeyer begriff damals zum ersten Mal, anhand dieser plötzlichen und erratischen Einkäufe von Toilettenpapier, was mit dieser Spieltheorie gemeint ist. Die Entscheidungssituation für den Kauf, den Nichtkauf und das Volumen des Kaufes hängt also vom Wissen oder Unwissen über das Verhalten der anderen Käufer ab. Zum Beispiel von seinem lästigen Nachbarn Freddy Honegger, dem Anhänger von allerlei Verschwörungstheorien (dessen Verhalten Waldmeyer schon immer suspekt erschien). Ein nicht antizipierbares Verhalten eben, das plötzlich zu erratischen Handlungen führen kann. Vielleicht gerade zu solchen überraschenden Hamsterkäufen.

Waldmeyer Logo

Die Auswirkung dieser erratischen Käufe in Sachen Toilettenpapier ist indessen ein logistisches Phänomen – es geht ganz einfach um ein just-in-time Defizit. Und an diesem Thema war Waldmeyer mental, da mikroökonomisch gestählt, schon wieder näher dran: Niemand verkauft nämlich gerne Toilettenpapier, kein einziges Geschäft. Mühsam im Handling, hohe Transportkosten, hohe Lagerkosten, zu viel Platz im Gestell, tiefe Marge. Der Nettogewinn pro Rolle wäre eine eigene Glosse wert. Konsequenterweise halten alle Verkaufsgeschäfte nur so viel Ware feil, dass es gerade reicht – und der Nachschub erfolgt möglichst knapp und just-in-time eben.

Glücklicherweise wird in der Regel immer gleich viel von diesem Produkt verbraucht. Stuhlgänge sind einzelne Imponderabilien, und wir können deren Anzahl, sagen wir über eine Woche, kaum beeinflussen. In deren Summe – und über das ganze Einzugsgebiet einer Verkaufsstelle hinweg – ergibt sich ein ziemlich konstanter und gut planbarer Papierverbrauch. Aber nur, sofern die Lieferkette nicht gestört wird. Wird plötzlich mehr gekauft (nicht verbraucht, wohl verstanden, denn dazu müsste es zu einem medizinischen Sonderfall in der Region kommen), so entsteht ein unmittelbares Manko im Nachschub. Der Mehrverkauf ergibt sich dabei nur aus einem komischen Herdentrieb, welcher auf dieser Spieltheorie gründet. Damit schliesst sich der Kreis für dieses Rätsel: Die Geschäfte und die vorgelagerten Lieferketten sind schlichtweg nicht vorbereitet auf eine plötzliche und sinnlose Erhöhung der Nachfrage, weil diese Vorbereitung ökonomisch ebenso sinnlos wäre.

Waldmeyers Nachbar Freddy Honegger, Meister der Erratik und wenig nachvollziehbaren Gedankengängen, konnte im Moment leider keine weiteren Erklärungen zur Spieltheorie oder gar zu Klopapier liefern. Deshalb nun zu Waldmeyers Schwager, Reto Sonderegger: Reto spürte die Verknappung einfach kommen. In seinem Fall handelte es sich also nicht um Erratik, sondern um Antizipation. Also handelte er sofort und lud, damals im März 2020, seinen Mercedes Kombi (silbern, innen beige) bis unters Dach mit den kostbaren Rollen. Autarkie war gefragt. Eventuell hatte er gar einen Plan B im Hinterkopf, vielleicht dachte er nämlich, er könnte ein Geschäft daraus machen. Unter Umständen dachte der gute Reto gar an einen Verkauf (mit Agio) an ihn, seinen Schwager, also an Waldmeyer. Oder im Notfall könnte es auch für Covid-29 reichen. Zuhause beim Einräumen der Beute im Luftschutzkeller fragte ihn seine Frau Ursula, was er denn wolle mit diesen vielen Rollen. Reto war nicht verlegen und erklärte sich souverän. Ursula brach jedoch in Tränen aus: „Reto, dieses WC-Papier ist nur zweilagig! Das will ich gar nicht!“ Nun war Reto in der Tat in deep shit. Im wahren Sinne des Wortes eigentlich.

Waldmeyer schloss seinen Gedankenreigen ab und erhob sich von seinem schon im Jahr 2009 installierten Closomaten. Ein Hauch von Schadenfreude huschte über sein Antlitz. Und mit einem Kopfschütteln malte er sich aus, wie Sondereggers im August 2029 die letzte zweilagige Rolle verbrauchen werden.

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Autor/in
Roland V. Weber

Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.

Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.

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