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Freitags-Glosse

Waldmeyer und die elektrische Verschwörung

Bei Fahrzeugen mit herkömmlicher fossiler Verbrennung interessieren sich Männer meistens für die Leistung. Frauen vorab für die Abgaswerte, allenfalls für den Verbrauch. Beide interessieren sich nun jedoch für Elektrofahrzeuge. Aber Waldmeyer entdeckt eine Verschwörung.

Roland V. Weber am 24. Juni 2022

Im Bild: Neurath D, Braunkohlekraftwerk: Auch von hier stammt unsere Elektroenergie

Bei Elektrofahrzeugen geht’s vor allem um die Reichweite. Deren Emissions-Bilanz ist egal, sie wird mit null suggeriert. Die grosse Verdreckung fällt u.a. bei der Produktion der Elektroenergie an – also irgendwo. Das interessiert seltsamerweise niemanden. Aber Waldmeyer schon.

Man lädt den modernen Schlitten einfach wieder auf - was ja nicht viel kostet. Waldmeyer war stolz auf seine Reflexion und entdeckte, dass der ganze Elektrifizierungs-Hype vielleicht nur eine Verschwörung ist. Aber was sollte er nun anstellen mit seiner neuen Erkenntnis …?

Wenn jeder ein Einfamilienhaus hätte, könnte jeder mit seinen Solarpanels das Auto am Tag aufladen – zumindest, wenn die Sonne scheint. Da künftig alle im Homeoffice arbeiten und die Karre unbenutzt in der Garage steht, geht das spielend. Auch für Schichtarbeiter ist das ideal: So könnte beispielsweise ein Securitas-Mitarbeiter tagsüber in seiner Villa schlafen und die private Solaranlage arbeiten lassen, nachts dann mit dem vollgeladenen fetten Tesla ausrücken.

Brave, new world? Leider, so stellte Waldmeyer fest, sieht die Welt anders aus: Erstens besitzt nicht jeder eine Villa. Und zweitens ist oft nicht nur die Produktion der Energie ausnehmend dreckig, sondern auch die Herstellung der Batterien umweltschädigend. Aber das scheint keine Rolle zu spielen. Ebenso wenig, dass nur schon die Rohstoffgewinnung für diese Batterien stark umweltbelastend ist (z.B. im Kongo, wo u.a. die Seltenen Erden abgebaut werden, womöglich mit Kinderarbeit).

In der Schweiz wird die Energie heute zu weniger als 5% dem Wind und der Sonne abgetrotzt. Der überragende Teil der Elektroenergie kommt aus der Wasserkraft, aber ebenso aus der Atomkraft. Viel Energie wird auch importiert - im Winter bis zu 40%. Die saubere Energie aus unseren Steckdosen kommt dann zu einem Teil aus dreckigen Kohlekraftwerken aus Deutschland oder Atomkraftwerken aus Frankreich. Allein das Kohlekraftwerk im deutschen Neurath, so hatte Waldmeyer schon früher hochgerechnet, produziert zehnmal mehr CO2 als der gesamte Schweizer Luftverkehr (Basis: Zeitalter vor Corona).

Bettina Honegger, Waldmeyers Nachbarin, ist der Typ, dem man am Gartenzaun möglichst ausweichen sollte. Leider lässt sich ein Aufeinandertreffen im Raum der Garageneinfahrten manchmal nicht verhindern. Gestern zeigte sie stolz auf ihren neuen Elektro-Golf: „Isch voll elektrisch, weisch!“ Und sie erklärte Waldmeyer, dass wir doch etwas tun müssen. Wegen der Luft, der Energie, Russland, und überhaupt.

Waldmeyer überlegte kurz, ob er ihr ein „du tötest damit aber Kinder im Kongo, weisch!“ entgegenschleudern sollte. Oder etwas feiner: „Ich meinerseits unterstütze ein Kinderhilfswerk im Kongo, weisch.“

Waldmeyer überlegte auch, ob er Bettina die neuesten Erkenntnisse in Sachen Gesamt-CO2-Bilanz eines Fahrzeuglebens näherbringen sollte: Dass ein Elektro-Golf nämlich einem modernen Diesel-Golf unterlegen ist. Der Stromer erreicht ein Break-even in Sachen CO2, über den gesamten Lebenszyklus gemessen, erst nach rund 200‘000 Kilometern – vorher ist der Verbrenner-Golf sauberer. Erst nach dieser hohen Fahrleistung, wenn ein Fahrzeug bei uns also bereits aussortiert und in die Ukraine exportiert wird, fällt die Gesamtrechnung leicht zugunsten des Elektrofahrzeuges aus.

Doch zurück zu Bettina. Kommunikationsmässig entschied sich Waldmeyer nun anders. Bettina hätte seine ökologischen und ökonomischen Überlegungen so oder so nicht verstanden. Andererseits war Bettina, übrigens strenge Veganerin und fundamentalistische Impfgegnerin, immer für alle möglichen und unmöglichen Verschwörungstheorien zu haben. So war Bettina neuerdings auch davon überzeugt, dass man aufgrund der 5G-Antennen (welche ja die ganze Misere mit der Pandemie erst ausgelöst hatten), nun auch mit einem einfachen Smartphone, sofern man geimpft ist, 5G-Empfang erhält. Man muss sein Smartphone zu diesem Zweck nur flach auf die Haut am Oberarm halten: Bist du geimpft, hast du 5G-Empfang! Aber das könnte natürlich eine künftige neue Pandemie nur noch verstärken.

Waldmeyer überlegte also: Der ganze Hype um die Elektrifizierung des persönlichen Verkehrs in der Schweiz könnte ebenso nur eine Verschwörung sein!?

„Bettina, du weisst, dass hinter der ganzen Klimadebatte nur Marxisten stecken? Sie möchten nämlich das Kapital so umverteilen, dass künftig jeder Büezer ein Einfamilienhaus hat. Zum Beispiel auch eine Securitas-Mitarbeiterin (Waldmeyer tippte sich beim Stern* jeweils genderkonform kurz an die Nase). Denn nur mit einer solchen Umverteilung hat jeder eine Solaranlage auf dem Dach, und nur so kann jeder genügend saubere Energie produzieren. Die erzwungene CO2-Reduktion mit einer sauberen Luftsäule genau über der Schweiz ist nämlich nur eine Vorbereitung für den bewaffneten Klassenkampf!“

Bettina war verwirrt, und Waldmeyer war zufrieden mit seinem neuen Ansatz. Er setzte sich in seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch), drehte den Zündungsschlüssel und lauschte dem angenehmen Blubbern des V8-Motors. Aber er ärgerte sich, dass er nun plötzlich, für eine Sekunde nur, ein schlechtes Gewissen hatte. Nicht wegen Bettina, sondern wegen dem V8.

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Autor/in
Roland V. Weber

Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.

Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.

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