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Freitags-Glosse

Waldmeyer und die Permutation

Permutation ist etwas, was eigentlich fast niemanden interessiert. Unter dem mathematischen Begriff versteht man bekanntlich die Anordnung und Kombination von Objekten. Wie viele Varianten können aus x Möglichkeiten kombiniert werden?

Roland V. Weber am 10. Juni 2022

Alle Glossen von Max Waldmeyer finden Sie hier.

Waldmeyers persönliches Permutations-Problem ist allerdings viel komplexer.

Waldmeyer überlegte: Wenn seine Tochter Lara nun einen Serben heiraten würde, dieser wiederum fünf Geschwister und 12 Cousins hätte: An wie vielen Geburtstagen und Hochzeiten in wieviel verschiedenen Gästezusammensetzungen er wohl erscheinen müsste? Korrekterweise müssten allerdings die verfemten Hochzeiten zwischen Cousins und Cousinen vom Total der Kombinationsmöglichkeiten subtrahiert werden. Doch dazu später.

Henry Ford würde sich im Grabe umdrehen

Mehr noch fesselte Waldmeyer nämlich seine nächste Fahrzeugbestellung: Motorenauswahl, Getriebe, Farbe, Innenausstattung, elektronische Gadgets, usw. Eine endlose Konfiguration.

Dank intelligenter Prozess-Steuerung ist produktionsmässig heute fast jede Kombination spielend möglich. Armaturenbrett in Kevlar? Oder Walnuss? Oder doch Klavierlack? Aber es muss zum Leder des Gestühls passen. Dann kommen noch die komplizierten Fragen betreffend die Varianten von Soundsystemen hinzu. Darunter gibt es auch derart starke Ausführungen, welche wattmässig einer SVP-Veranstaltung im Albisgüetli oder der Lautsprecherdurchsage in einer spanischen Flughafenhalle genügen würden.

Die Kombinationsvarianten führen letztlich dazu, dass kaum mehr ein Auto dem andern gleicht. Alles ist tailor-made. Das ist eine unglaubliche Errungenschaft der digitalen Industrialisierung. Henry Ford würde sich allerdings im Grabe umdrehen: „You can order any color as long as it‘s black.”

Die Optionenliste reicht bis zum Mond

Waldmeyer reflektierte kurz, ob Henry Fords Satz auch heute noch, im Rahmen von black lives matter, durchgehen würde. Seine Gedanken trugen ihn jedoch sofort zurück zu profanen betriebswirtschaftlichen Überlegungen: Warum nur braucht es, der Permutation folgend, mehrere Tausend Fahrzeugvarianten?

Ausgedruckt nimmt die Optionenliste bei der Fahrzeugbestellung gewisser Marken gefühlt wohl den Umfang von Goethes Faust ein, und die Auflistung aller möglichen und unmöglichen Kombinationsmöglichkeiten – eben der Permutation – würde vermutlich bis zum Mond reichen.

Charlotte meinte dazu nüchtern, dass das doch normal sei, auch Sofa-Kombinationen von angesagten Herstellern seien fast unbeschränkt möglich.

In Sachen Konfigurationsgeschmack sind die Briten schmerzfrei

Doch es gibt auch Eingrenzungen: Bei deutschen Fahrzeugherstellern z.B. sind besonders scheussliche Farbkombinationen (Aussenfarbe hellblau, rotes Leder, Kevlar-Armaturenbrett) gesperrt. Die britischen Hersteller sind hier wesentlich schmerzfreier: Auch die grässlichsten Kombinationen lassen sie durchgehen, sie erkennen diese nämlich gar nicht.

Tatsache ist nun mal, dass dank perfekter digitaler Produktionssteuerung zwar fast jede Konfiguration möglich ist, diese individualisierte Herstellung jedoch die ganze Produktion ungemein verteuert. Es entstehen die besonders toxischen „hidden cost“: In den Erfolgsrechnungen explodieren dann zum Beispiel die IT-Kosten. Diese müssen leider auf alle Produkte relativ gleichmässig umgelegt werden, und in der Folge ist einfach alles teurer, auch ein nicht-konfiguriertes Standardprodukt.

Kein Hersteller würde es wagen, die Investitionen in IT in Frage zu stellen, die Analysten würden dies sofort als mangelndes Bekenntnis zu Artificial Intelligence interpretieren. Versteckte Zusatzkosten entstehen auch bei der Beschaffung und Logistik von allerlei Einzelteilen, die es in mannigfaltiger Form zu kombinieren gilt. Alle diese Produktionsverteuerungen werden von der nackten Angst der Hersteller verdrängt, dass ein Wettbewerber noch mehr Modellvarianten anbieten könnte.

Simplify your life

Charlotte wollte ihren neuen Audi Kombi einfach schwarz, innen auch. „Simplify your life.“ Die restlichen Fahrzeug-Attribute waren ihr völlig egal. Sie wünschte sich also ein Standard-Auto - dementsprechend sollte auch der Preis geringer sein.

Aber das klappte nicht: Bei der Bestellung wurde sie zu genau 122 Fragen verdonnert: Dachhimmel dunkel oder in Standardfarbe elfenbein? Rückspiegel abblendbar oder nicht? Spurhaltesystem oder nicht? Ein Wunder, dass sie nicht zu ihrem Sexualleben befragt wurde.

Das Resultat war bedauerlicherweise so, dass ihre Konfiguration trotz der einfachen Optionen sehr teuer ausfiel. Charlotte war entsetzt: „Das heisst, dass wir mit diesem Standard-Kauf quasi die anderen Fahrzeuge subventionieren?“

Vermutlich hatte Henry Ford doch recht

Waldmeyer war weniger schockiert: „Dafür hast du nun die perfekte Individualisierung!“ Aber er wusste schon: Diese ad absurdum getriebene Individualisierung kostet zu viel. Vielleicht hatte Henry Ford doch recht? Zumal Charlotte eh nur schwarz wollte. Vermutlich hatte Waldmeyer damals für seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) auch zu viel bezahlt. Was ihn in der Tat störte: Eine Variantenreduktion könnte die Wettbewerbsfähigkeit vermutlich erhöhen, da preislich günstiger. Und logistisch wäre man eh noch flexibler bei den Auslieferungen.

Man sollte das ändern

„Man“. Also nahm sich Waldmeyer vor, mit einem CEO der Automobilindustrie zu sprechen. Zum Beispiel mit Akio Toyoda, dem Chef von Toyota. Aber wie kommt man an den Kerl ran?

Das Gespräch erübrigte sich, als Waldmeyer versuchte (nur spasseshalber natürlich), einen Toyota Landcruiser zu konfigurieren. Es gab nämlich kaum Varianten! Eigentlich war in allen Fahrzeugen schon alles drin. Er konnte mehr oder weniger nur die Farbe wählen, und der Innenraum war bereits so darauf abgestimmt, dass es eigentlich 99% der Kundschaft gefallen musste. Die Opportunität und die Versuchung zur mühsamen Konfiguration erübrigten sich. Also erübrigte sich auch das Gespräch mit Mister Toyoda. Ob die westliche Industrie wohl auf dem Holzweg ist?

Auf jeden Fall beschloss Waldmeyer, sofort Toyota zu kaufen. Aber nicht das Fahrzeug, sondern die Aktien. Und an der Heiratsfront gibt es Entwarnung: Laras neuer Freund ist Brasilianer.

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Autor/in
Roland V. Weber

Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.

Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.

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