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Die Freitags-Glosse

Waldmeyer und die Prozentillusion

Die CS-Aktie dümpelt bei fünf Franken rum. Waldmeyer hatte sie vor 25 Jahren bei rund 40 gekauft. Verlust: fast 90 Prozent. Es bräuchte also mindestens rund fünf Jahre, um in 20 Prozentschritten wieder zum Einstandspreis zu gelangen. Wirklich?

Roland V. Weber am 09. September 2022

Vor dem Kaminfeuer sitzend, liess Waldmeyer (zum wiederholten Male) diese Bankagonie Revue passieren. Die UBS-Aktie beispielsweise, einst bei über 70 Franken, ist heute noch rund 15 Franken wert. Die Deutsche Bank liegt heute bei 8 Euro, früher waren es mal fast 90. Den Vogel schiesst indessen eindeutig die CS-Aktie ab – deshalb auch Waldmeyers Versuch, sein persönliches Investitionsdesaster zu verarbeiten. Einst als vorsichtige, langfristige Anlage bei 40 Franken gekauft (es mag vor rund 25 Jahren gewesen sein), erreichte die CS-Aktie 2007 einen Peak von rund 90 Franken. Heute ist sie noch kümmerliche  5,0 Franken wert. Waldmeyer rechnete nach: 87,5 Prozent unter Einstand und 94 Prozent unter dem Allzeithoch. Für diesen dramatischen Wertezerfall müsste, zum Vergleich, sogar die Türkische Lira herangezogen werden: In Relation zum Schweizer Franken verlor diese binnen 15 Jahren ebenso rund 94 Prozent. Die ganze westliche Welt belächelt dabei Erdogans Misswirtschaft – bei der CS lächelt indessen niemand. Die Sache ist zu peinlich. Zu peinlich, weil wohl zu nah. Ein helvetisches Flaggschiff einst, heute ein im Fegefeuer brutzelndes, abgetakeltes Finanzinstitut.

Waldmeyer seufzte und schenkte sich etwas Cognac nach. Gerade bei der CS zeigt sich nämlich sehr plakativ dieses bekannte Prozentdrama: Aufholen ist immer schwieriger als Verlieren. Eine theoretische Aufholjagd bis rauf, wieder zu Waldmeyers Einstand, würde nicht fünf Jahre à gut 20 Prozent Kurssteigerung jährlich voraussetzen, sondern es müsste ein Wachstum von insgesamt über 700 Prozent hingelegt werden, um von den peinlichen  5 wieder auf die 40 Franken zu kommen. Zurück zum Peak von 90 Franken würde es gar einer fetten Steigerung von 1700 Prozent bedürfen, zu schaffen vielleicht mit 20-Prozentsprüngen in gefühlt einer ganzen Generation. Good luck. Waldmeyer schenkte sich gleich nochmals etwas nach. Das Unterfangen schien hoffnungslos. Aber er rechnete weiter.

Eine solche Aufholjagd zeichnet sich also durch eine komplette Aussichtslosigkeit aus – Waldmeyer war sich dessen sehr bewusst. Vor allem, wenn sich dazwischen wieder mal ein kleiner Crash einordnen würde, zum Beispiel von 40 Prozent, der sich im folgenden Jahr nur mit einem Plus von 67 Prozent ausbügeln liesse. Aber eigentlich nur mit einem Gewaltssprung von 100 Prozent, um auf den ursprünglichen 20-Prozentpfad zurückzukehren. Prozente können manchmal sehr gemein sein.

Es müssten also grössere Sprünge her, reflektierte Waldmeyer weiter. Zum Beispiel eine Verdoppelung jedes Jahr: Dieses Jahr noch von den 5 auf 10, nächstes auf 20, dann auf 40, dann auf 80 Franken! In fünf Jahren hätte man sogar das Allzeithöchst überschritten. Wenn man jedes Jahr einen frischen CEO einstellt. Mit neuen Ideen, könnte man das Ganze vielleicht noch beschleunigen. Dann wären Waldmeyers 25 verlorene Jahre wieder ausgebügelt.

Verloren waren die 25 Jahre allerdings nicht für alle: Das oberste Bankenkader konnte in diesem Zeitraum sehr schöne Millionenboni einstreichen. Wie konnte es nur zu diesem Desaster kommen? Der Fisch stinkt bekanntlich am Kopf – und so war es wohl auch bei der Credit Suisse. Salär- und bonigetriebene Manager ordneten über Jahre Gesetze, Regeln und Ethik ihren eigenen Bedürfnissen unter. Das beste Asset – nämlich das des Schweizer Images – löste sich vorsätzlich in Rauch auf, weil in der Regel ostentativ Nicht-Schweizer die Führungsetagen besetzten. Der kühl rechnende Amerikaner Brady Dougan, der intelligente schwarze Mann von der Elfenbeinküste, Tidjane Thiam oder der gefeierte Manager Antonio Horta waren schlichtweg Fehlbesetzungen, weil sie kulturell alle, weder gegen innen noch gegen aussen, eine Schweizer Bank glaubwürdig vertreten konnten.

Bei der Swiss mag das Kursdesaster ähnlich sein. Deren Aktie - also die der Lufthansa, denn die Swiss gehört ja nicht mehr zu uns - stand schon mal bei 30 Euro, zurzeit werden bescheidene 6 Euro bezahlt. Immer noch beachtlich, bei diesen Milliardenverlusten. Wenn Mutti Merkel und ihr Adlat und Finanzminister Scholz, der sich schon damals bar jeder Finanzkenntnisse gezeigt hatte, sich 2021 nicht als finanzielle Copiloten ins Cockpit der maroden Lufthansa gesetzt hätten, hätte der Kurs wohl den Boden berührt. Waldmeyer hatte schon zu Beginn der Pandemie geraten, die Swiss, diesen Kranich mit dem Schweizer Kreuz, zu grounden, anstatt ihr noch Milliarden nachzuwerfen. Niemand wollte auf ihn hören. (Scholz hatte sich später übrigens nochmals als Finanzgenie geoutet, als er die Restaurants während den Lockdowns mit sagenhaften 80 Prozent des Umsatzes entschädigte – nicht 80 Prozent der Kosten, der Betriebsmarge oder auf Basis einer anderen betriebswirtschaftlich sinnvollen Grösse, sondern tatsächlich 80 Prozent des Umsatzes! Die deutschen Restaurants fuhren in der Folge sensationelle Gewinne ein, die Pandemie war für sie ein wahrer Segen.)

Doch zurück zur Swiss, beziehungsweise zur Lufthansa. Hier wäre, nur schon kursmässig, ein mehr als sportlicher Aufholpfad vonnöten, um die alten Kursziele wieder zu erreichen. Mit Waldmeyers 20-Prozentschritten, und ohne der Prozentillusion zu verfallen, könnten die 30 Euro von einst immerhin in neun Jahren wieder erreicht werden. Mit einer 400-Prozentsteigerung insgesamt eben. Dann dürfte allerdings nichts dazwischenkommen, kein Covid-27, beispielsweise.

Den Gipfel an Aussichtslosigkeit stellt für Waldmeyer indessen nach wie vor die CS dar: Diese elf Jahre mit 20-Prozentschritten, wären, angesichts seines Alters und seiner Restlebenszeit, einfach unverhältnismässig. Ein Drama. Waldmeyer seufzte erneut. Ein solcher Plan würde wohl zu einem Irrweg ins Nirwana verkommen.

«Charlotte, die CS sollten wir verkaufen, es ist hoffnungslos!», meldete Waldmeyer zum andern Fauteuil vor dem Kamin rüber. «Ja, wer sollte denn so eine Bank kaufen?», fragte Charlotte ratlos.

«Wir fragen den Scholz», entgegnete Waldmeyer und schenkte sich nochmals Cognac nach.

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Autor/in
Roland V. Weber

Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.

Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.

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