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Freitags-Glosse

Waldmeyer und wie man die Wirtschaft runterfährt

Waldmeyer beobachtet die deutsche Wirtschaftspolitik seit Jahren. Nur schon, weil diese eben direkten Einfluss auf die Schweiz hat. Sehenden Auges scheint unser nördlicher Nachbar mit zahlreichen Fehlanreizen und Fehlentscheiden auf einen teutonischen Crash hinzulaufen.

Roland V. Weber am 28. Oktober 2022

Schuld an diesem ökonomischen Niedergang auf Raten ist nicht nur die pitoyable Bilanz des Nichtstuns in der Ära Angela Merkel, die fatale Abhängigkeitsstrategie von Russlands Energielieferungen oder die hektische und zum Teil unbedarfte Wirtschaftspolitik der neuen Ampelregierung. Schuld ist nämlich auch die ehemalige Kinderärztin Ursula von der Leyen, welche heute als Präsidentin der EU-Kommission ziemlich weltfremde und unrealistische Klimaziele – und damit zum Beispiel die Entwicklungsstrategie der deutschen Autoindustrie - vorgibt.

Waldmeyer versuchte Gegensteuer zu geben, indem er bisher keinen Vollelektrischen kaufte. Er wollte ja nicht mit einem Auto durch Meisterschwanden schleichen, welches die Energie zum Teil aus dreckigem Kohlestrom aus Deutschland bezog.

Erst kürzlich entdeckte Waldmeyer in einer Tiefgarage, welche er, auf der verzweifelten Suche nach seinem Porsche Cayenne (schwarz, innen auch), systematisch durchkämmen musste, etwas, was ihn tatsächlich perplex machte: ein unbekanntes Modell, auch schwarz, auch SUV, sehr schön geformt. Er tigerte mehrmals um das rätselhafte Fahrzeug rum. Und da stand es dann, bescheiden am Heck: „Lynk & Co.“

„Ich habe heute den Porsche nicht mehr gefunden. Aber die Chinesen kommen“, stellte Waldmeyer beim Abendessen gegenüber Charlotte vielsagend fest. Charlotte suchte vergeblich nach dem Kausalzusammenhang, antwortete aber trotzdem: „Aber die Chinesen sind doch schon überall. Auch in deinem Porsche, nur schon mit den Seltenen Erden.“ Stimmt, China kontrolliert diese edlen Rohstoffe global zu 80% und wird uns so einmal erpressen damit, wie Putin uns jetzt mit seinem Gas drangsaliert.

Lynk & Co ist eine Automarke, die jetzt auch auf den europäischen Markt drängt. Sie gehört zum chinesischen Geely Konzern (welcher sich auch Volvo geschnappt hatte). Die Chinesen sind clever genug, nicht nur auf elektrische Antriebe zu setzen. Sie wissen genau, dass es dafür auf dem Weltmarkt gar nicht genügend Strom gibt – und schon gar nicht sauberen Strom, welcher nicht aus fossiler Energie produziert wird. Sie sind also „technologieoffen“, wie auch die USA oder Japan.

Für die Europäer, aber insbesondere die Deutschen, welche blind auf eine Elektrifizierung des Privatverkehrs setzen, brechen damit strube Zeiten an. Die Vorgabe, dass ab 2035 produzierte Fahrzeuge keine Abgase mehr ausstossen dürfen (gemessen wird dabei groteskerweise nur am Auspuff, nicht bei der Produktion des Fahrzeuges oder bei der Stromgewinnung) führt zu einer fatalen einseitigen Ausrichtung der Autoindustrie. In die Entwicklung sauberer Verbrennerfahrzeuge wird so nämlich nicht mehr investiert, und Deutschland wird sich damit den Weltmarkt verbauen.

Das Problem ist, dass die deutsche Autoindustrie nun mal das Herz der gesamten Wirtschaft des Landes darstellt. Und wenn man am Herzen operiert, wird’s brenzlig. Andere Länder mussten das auch schon bitter erfahren.

Waldmeyer dachte kurz an die venezolanische Wirtschaft: Das Land mit den weltgrössten Erdölreserven schaffte es, dank einer völlig verqueren Wirtschaftspolitik, in nur zehn Jahren 90% seines Bruttoinlandproduktes zu vernichten und eine Inflation von mehreren tausend Prozent hinzulegen. Oder an Simbabwe. Oder Libanon. Oder an Russland, welches seinen ökonomischen Niedergang vielleicht genau am 24. Februar 2022 einläutete.

Aber bleiben wir in Europa und blenden wir zurück: Die Industrienation England brachte es fertig, eine einst blühende Fahrzeugindustrie dank Schlendrian, Arroganz und Dauerstreiks niederzumachen. Das war in den 70er Jahren. Seither wird nicht mehr viel produziert im Königreich, und die erfolgreichen Marken Jaguar oder Land Rover gehören den Indern. Waldmeyer findet es ganz amüsant, dass es früher gerade die Inder in den heruntergekommenen britischen Produktionsstätten waren, welche die Fahrzeuge zusammenschraubten. Die Kontraktion der Autoindustrie hat zu einem langanhaltenden Rückgang der industriellen Wirtschaftsleistung des ganzen Landes geführt. Dass nun ein indischstämmiger Premierminister das Land aus dem Sumpf holen muss, findet Waldmeyer übrigens ebenso amüsant.

Auch Frankreich wurde von diesem Phänomen nicht verschont: In den 50er und 60er Jahren lieferte la Grande Nation einst Spitzentechnologie und liess die französische Autoindustrie auf Erfolgswellen reiten. Scheibenbremsen für die Serienproduktion, hydropneumatische Federungen, etc. waren wegweisende und brillante Innovationen. Der 2CV (Döschwo) war ein Vorreiter des Leichtbaus, mit nur 500 kg Fahrzeuggewicht konnten die französischen Bauern damit auch mal mit einem Korb Eier unbeschadet über einen Acker segeln. Die Fahrzeuge verkauften sich in alle Welt. Bis auch hier der Schlendrian einsetzte, die Franzosen wollten plötzlich nur noch 35 Stunden arbeiten, die Produktionskosten stiegen. Zuweilen setzte sich gar der Staat ans Steuer, indem er sich bei der Autoindustrie zwangsbeteiligte. Das Resultat entsprach demjenigen Grossbritanniens: Nicht nur die Fahrzeugindustrie selbst, sondern der ganze riesige Zulieferbereich kränkelte sehr rasch, und Zug um Zug de-industrialisierte sich Frankreich. Ein Jammer. Und heute? „Einen Renault würde ich nie und nimmer kaufen. Kennst du jemanden, der einen Renault hat?“, fragte Waldmeyer. Charlotte war froh, nicht mehr über die Chinesen debattieren zu müssen, und ein Lächeln fuhr ihr über das Antlitz: “Mein erster Freund hatte einen R4, wir fuhren bis nach Italien runter, ans Meer!“

„Aber die Italiener haben es auch nicht besser gemacht“, meinte Waldmeyer und war froh um den Hinweis betreffend das Bel Paese. „Ein Alfasud beispielsweise rostete schon auf dem Prospekt.“

In der Tat liess auch Italien seine Autoindustrie verrotten. Sanierungen scheiterten, die Produktionsqualität wurde immer schlechter, und die italienische Autoindustrie vernichtete sich sozusagen von selbst. Auch hier: Die ganze italienische Industrie, zu einem grossen Teil abhängig von dem einst blühenden Automobilzweig (mit den schönen Lancias, Alfa Romeos, usw.), musste mitleiden und einen selbstverschuldeten Niedergang verzeichnen. Heute erfreut uns einzig noch dieser knuffige Cinquecento von Fiat. Die ganze Autoindustrie ist ein Schatten ihrer selbst und gehört jetzt dem nicht sehr erfolgreichen Weltkonzern Stellantis. „Sollten wir einen Stellantis kaufen, Charlotte?“ Charlotte liess sich nicht provozieren und antwortete nicht.

Aber zurück zu Deutschland: Die von der EU vorgegebene Ausrichtung für die Autoindustrie wird sich wohl als folgenschwerer Fehler erweisen. In Europa am schwersten davon betroffen wird die deutsche Autoindustrie sein, die einzige verbliebene, erfolgreiche des Kontinentes. Weltweit wird die Innovationsreise jedoch weitergehen, nur in Europa meint man, den globalen Klimawandel aufhalten zu können, indem jetzt elektrisch zwangsgefahren und elektrisch zwangsproduziert wird. Woher der Strom kommt und wie fossil und dreckig er ist, bleibt sekundär. Das Herz der deutschen Industrie wird damit langsamer schlagen, und das der weitverzweigten, koronar zusammenhängenden Betriebe ebenso.

Waldmeyer stellte sich plastisch vor, wie wir dann irgendwann einmal, vielleicht in der Schweiz, in einem chinesischen, modernen Fahrzeug hocken, und unsere armen deutschen Nachbarn auf ein bisschen Sonnenlicht am wolkenverhangenen Himmel warten, um die Batterie ihres Fahrzeuges – für einmal ganz sauber – aufladen zu können. Ja, und dann müsste Charlotte allenfalls diese Nahrungspakete nach Deutschland schicken, wo ein Heer von Arbeitslosen, welche keine Anstellung mehr in der Industrie findet, darben. Allerdings wird er selbstverschuldet sein, dieser Niedergang. Vielleicht würde Waldmeyer dann sogar etwas Mitleid aufbringen.

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Autor/in
Roland V. Weber

Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.

Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.

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