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Freitags-Glosse

Waldmeyer und wie man verhandelt – Was Aschenputtel mit dem CS-Deal zu tun hat

Die Schweiz verfügt neu über ein Schulbeispiel, wie man nicht verhandeln sollte. Oder wie man eben verhandeln sollte. So konnte die UBS den fettesten Fisch ever an Land ziehen, während unsere Behörden mit ihrem dilettantischen Handeln eine neue negative Benchmark setzten.

Roland V. Weber am 14. April 2023

Das Psychogramm eines Schweizers weist Züge auf wie „langweilig“, „zuverlässig“, „risikoscheu“, „vorsichtig“ – oder tendenziell gar eher „rückwärts orientiert“. Wir sind keine Dealmaker. Wir können nicht pokern. Wir können zwar opportunistisch sein, auch egoistisch. Wir sonnen uns auch in einer heilen Scheinwelt, wir schotten beispielsweise unsere Märkte ab, weil wir der hehren Überzeugung sind, dass wir alles besser machen und können als alle andern.

Der UBS/CS-Deal wird in die Geschichtsbücher eingehen. Ein ausgebuffter Banker (der UBS VR-Präsident, der Ire Colm Kelleher) konnte einen kompletten Bundesrat, inklusive Finma und unseren Notenbanker, über den Tisch ziehen.

Waldmeyer versuchte nun zu analysieren. Die Ursache dieses peinlichen Ablaufs des Verhandlungspokers lag vermutlich nicht nur in der Überlegenheit des cleveren Iren, welcher sich wohl die berühmte Spieltheorie zu eigen machte. Bei der Spieltheorie werden künftige Entscheidungsschritte in Szenarien antizipiert – eine wissenschaftlich untermauerte Disziplin, welche Waldmeyer schon in Sachen Toilettenpapier während der Coronazeit analysierte.

Die Ursache des jüngsten CS-Verhandlungsdesasters lag in der Unbedarftheit unserer Bundesratstruppe, welche nicht einen einzigen richtigen Ökonomen in ihren Reihen hat. Keines der Mitglieder hat auch nur einen Hauch von Finanzwissen, Erfahrung im Geldmanagement oder aus dem normalen Leben der Wirtschaft. Wie wir wissen, besteht unser Bundesrat u.a. aus Winzern, Ärzten, DolmetscherInnen oder Sozialarbeiter:innen.

Eine andere Ursache liegt in der falschen Annahme, dass schweizerische Lösungen immer besser sind. Es geht also nicht nur um schieres Unvermögen, sondern auch um beharrliche Rückwärtsorientierung, eine erschreckend weltfremde kognitive Wahrnehmung des globalen Geschehens, auch um mangelnde strategische Finesse.

Das Resultat des grössten Finanzdeals aller Zeiten liegt nun vor: Es ist ziemlich kontraproduktiv, weil ein zu grosser Finanzkoloss entsteht und die Überschneidung der kombinierten Bank zu einem viel grösseren Abbau von Arbeitsplätzen führen wird. Deutsche Bank, HSBC, etc., als Alternative zur UBS, wären zwar Topkandidaten gewesen, die den Wettbewerb in Helvetien wohl munter aufgemischt hätten – sie waren indessen nicht genehm. Weil eben ausländisch. Ein Glück für die UBS, der einzigen Gewinnerin in diesem Trauerspiel.

Die Variante, dass die Nationalbank vorübergehend den kontaminierten CS-Haufen hätte übernehmen können, ihn dann elegant filetieren und wieder geschickt hätte platzieren können, wurde mit Inbrunst verworfen. Aufgrund der „Risiken“. Jordan, unser Notenbanker, hatte wohl kalte Füsse, hatte er im letzten Jahr doch bereits schwindelerregende 132 Milliarden Franken verbraten, mehr als der gesamte Schuldenberg der Eidgenossenschaft. Jordan wollte nicht. Damit war auch das illustre Grüppchen mit den sieben Bundesräten und der Finma sofort der gleichen Meinung. Heute hat die Staatsführung einem Deal zugestimmt, welcher der UBS insgesamt erschreckende 209 Milliarden Risikogarantien gibt. Waldmeyer googelte gleich nach einem sinnvollen Vergleich: Die Summe entsprach ungefähr dem BIP Griechenlands. Oder zweihundert Mal dem BIP des Kantons Appenzell Innerrhoden. Der Kauf der CS dagegen hätte nur eine lächerliche Fraktion davon gekostet, und die Risiken dabei wären überschaubar geblieben. „Da hätten wir doch gleich Griechenland kaufen können“, meinte Waldmeyer zu Charlotte. Charlotte antwortete nicht.

Die dritte Ursache dieser Malaise liegt im offensichtlichen Unvermögen, zu verhandeln. Damit kam Waldmeyer nun zu dem Lehrstück, das eben in die Geschichte eingehen wird: wie dieser raffinierte Ire das Fähnlein der sieben Aufrechten um den Finger wickeln konnte, mitsamt ihren Finanz-Adlaten und den Geldverbrennern der Notenbank.

Nummer eins in diesem Lehrstück: Kein Interesse zeigen. Obwohl die UBS natürlich gierig nach der CS trachtete, vor allem nach deren Filetstücken, zeigte der kluge Ire kein Interesse. Also erst mal mürrische Ablehnung vortäuschen. „Nein, kein Interesse“, liess der Banker verlauten.

Nummer zwei: Entnervt eine provokativ tiefe Offerte vorlegen. Kelleher warf also, während eines Restaurantaufenthaltes offenbar, salopp mal telefonisch eine Milliarde für den Kauf der ganzen CS in den Ring. Angesichts der vermutlichen Bilanzwerte von 20 bis 40 Milliarden eine lächerliche Summe. Damit konnte man Entsetzen produzieren – bei der CS und bei unseren Staatsdienern. Der Schock war offenbar derart gross, dass man nicht mal prüfte, zu welchem Wert denn der Bund selber eine Kaufofferte hätte machen können.

Nummer drei: Die Offerte leaken. Die Presse nahm die Information betreffend der Ein-Milliarden-Offerte dankend auf. Sofort entstand der Eindruck, dass die gebeutelte CS vielleicht tatsächlich nichts mehr wert war.

Nummer vier: Den Wert des Kaufgegenstandes erhöhen. Der Ire, nun immer noch Leiden vermittelnd angesichts des Damoklesschwerts einer „Forced Marriage“, schlug offenbar vor, die AT1-Anleihe der CS von 16 Milliarden einfach als wertlos zu erklären. Damit verbesserte sich die Bilanz der CS-Braut auf einen Schlag.

Nummer fünf: Offerte kurz vor Ablauf des Zeitfensters etwas verbessern. Kelleher wusste, dass die Schweizer Truppe unbedingt den Deal mit der UBS wollte - und möglichst keinen andern. Und es war klar, dass dieser Deal unbedingt rechtzeitig vor der Börseneröffnung am Montagmorgen stehen musste. Kelleher warf also, in einem Anflug von Grosszügigkeit sozusagen, nun erst mal zwei, dann ganze drei Milliarden in den Ring. Er tat dies, indem er immer noch wenig Interesse mimte, sozusagen aus reiner Pietät. Und so wurde der Sack zugemacht und der Deal stand.

Dabei ging ganz vergessen, dass die Besitzer der CS kalt enteignet wurden. Aber bei einem solchen Deal darf das keine Rolle spielen. Kelleher ging es einzig um ein maximales Verhandlungsresultat, welches er tatsächlich brillant erzielen konnte. Nun darf nicht der Bund oder die Notenbank die CS filetieren, sondern die UBS. Im Sinne einer Umkehr des Aschenputtel-Systems: die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen.

Waldmeyer überlegte, was wir in der Schweiz daraus lernen könnten. Bessere Leute wählen in unsere Staatsführung und -verwaltung? Wir sind nun mal, leider, ein ausgeprägter Schönwetterstaat. Unsere Bedächtigkeit hatte dabei, immerhin, über Jahrhunderte Fehler verhindert. Das Gute an Politikern ist doch, dass sie oft nicht entscheiden – und damit nicht falsch entscheiden. Aber wenn’s brennt, funktioniert das nicht mehr. Unser System ist damit nicht krisenresistent. Sei es in einer Pandemie, einer Strommangellage, dem Umgang mit einem Krieg mitten in Europa, der notwendigen Auslegung unserer Neutralität – oder eben einer plötzlichen Finanzkrise. Desillusioniert stellte Waldmeyer fest, dass wir kaum lernfähig sind und es künftig auch kaum sein werden.

Alternativ reflektierte Waldmeyer nun, was er denn selbst lernen könnte aus diesem Lehrstück. Er könnte zum Beispiel zum Steuerkommissär in Meisterschwanden gehen, bluffen und sagen, er sei bankrott. Er hätte zum Beispiel eine amerikanische Sammelklage am Hals und könnte so die Steuern für das laufende Jahr nicht bezahlen. Aber er könne einen Deal anbieten: 20% der Steuersumme bezahlen, und das sofort. 80% Nachlass.

Charlotte war nicht überzeugt von dem Deal: „Du musst bessere Argumente finden, Max. Sag doch einfach, du seiest enteignet worden, durch den Bundesrat. Er war es ja, der dir den Aktienkurs der CS in den Keller geschickt hatte. Dein Vermögen hat sich damit drastisch reduziert.“

Charlotte hatte recht: Man sollte mehr und bessere Deals machen. In der Hoffnung einfach, dass die Gegenseite unbedarft ist. Er dachte an diesen Herrn Vonlanthen, den Steuerkommissär von Meisterschwanden. Er beschloss, einen Versuch zu wagen.

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Autor/in
Roland V. Weber

Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.

Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.

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