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Dürfen wir überhaupt noch fliegen?

Waldmeyers Reisepläne

Waldmeyer versuchte, seine Gedanken in Sachen Energieverbrauch kurz zu synchronisieren. Er stellte einmal mehr fest, dass der Aspekt der Umweltverträglichkeit in Sachen Fliegen zu sehr verpolitisiert wird. 

Roland V. Weber am 19. November 2021

Alle Waldmeyer-Glossen finden Sie hier.

Nun wird für ihn das Thema plötzlich hoch-aktuell, da Charlotte und er beschlossen hatten, nach einem optimalen zweiten Lebensmittelpunkt (einem „2.LMP“) Ausschau zu halten. Aber die Sache ist tricky.

Wenn der Ort für ein «Second Home» nämlich zu weit weg zu liegen käme, könnte der ganze Plan unweigerlich zu einem heiklen Umweltthema werden. Waldmeyer wollte sich deshalb Argumente für eine kluge Verteidigungs-Strategie zurechtlegen - denn auch ferne Ziele sollten noch erreicht werden können. Ohne schlechtes Gewissen.

Waldmeyer dachte in der Causa Fliegen nicht zuletzt an seine ältere Schwester Claudia (früh-pensionierte Lehrerin, Otelfingen, SP, Kurzhaarfrisur, lustige farbige Brille, impfkritisch, altes Nokia, fliegt nie). Wie sie wohl reagieren würde, wenn sich die Waldmeyers nun plötzlich zeitweise nach Miami, Dubai oder Bali absetzen würden?

Jeder Flug wird heute als Sündenfall dargestellt. Fakt ist aber, so hatte Waldmeyer recherchiert, dass die Luftfahrt nur für rund 2% des weltweiten CO2-Ausstosses verantwortlich ist. Und die weltweite Digitalisierung produziert aufgrund ihres hohen Stromverbrauches allein so viel CO2 wie der ganze Flugverkehr. Fräulein Thunberg, so Waldmeyers Gedanke, sollte also vielleicht ein bisschen weniger streamen und posten – obwohl er ihr zugutehalten musste, dass es in letzter Zeit angenehm ruhig wurde um sie.

Die USA, China und Indien sind die Hauptverantwortlichen für die weltweite Luftverdreckung – und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für den Klimawandel. Die hiesigen Emissionen dagegen sind Pipifax und völlig unerheblich. Da helfen auch ein paar zusätzliche Lastenräder nicht, die unsere Autos ersetzen sollen.

Echte Sündenfälle finden wir bereits in unserer europäischen Nachbarschaft. Da sind zum Beispiel die Kreuzfahrten und die grossen Frachter. Die dicken Dampfer verbrennen tatsächlich noch schmutzigstes Schweröl, mit einem Verdreckungsgrad, welcher pro Liter Treibstoff 1500-mal höher liegt als der eines modernen Dieselfahrzeuges.

Ganz schlimm sind auch die polnischen oder die deutschen Kohlekraftwerke. Zum Beispiel Neurath, die grösste deutsche CO2-Schleuder: Sie stösst genau zehnmal mehr Schadstoffe aus als der gesamte Schweizer Luftverkehr – nämlich über 50 Millionen Tonnen pro Jahr. Und das sind die Vorpandemie-Zahlen von 2018 und 2019, als noch tüchtig geflogen wurde. Pikant dabei ist ebenso, dass auch die Schweiz einen Teil dieses Dreckstroms aus Deutschland bezieht (Anm. der Redaktion: Die Schweiz importiert im Winter rund 40% ihres gesamten Strombedarfs). Die kontaminierte elektrische Energie wird anschliessend hier in unser Netz eingespeist, und Claudia, Waldmeyers Schwester, verbraucht dann vermutlich genau diesen schmutzigen Strom mit ihrem E-Bike. Vermutlich wird der Saft indessen vorher noch „gewaschen“: In der Nacht bezieht Helvetien bekanntlich billigen Überstrom aus diesen Kohle-Dreckschleudern, pumpt damit Wasser wieder in die Stauseen hoch und produziert am Tag darauf sauberen Stauwasser-Strom. Spätestens dann kommt Claudias E-Bike in den Genuss dieser cleanen, weil „gewaschenen“ Energie. Claudia hat bei ihrem Stromanbieter – in einer kafkaesken Entscheidungsfindung sozusagen – «grünen» Strom abonniert und bezahlt deshalb gerne ein bisschen mehr. Die Axpo hat Freude, der CEO von Neurath wird sich totlachen, und die Polen klatschen sich auf die Schenkel.

Waldmeyer versuchte ein Fazit zu formulieren: Im Vergleich zum Strombezug aus einem schmutzigen Kraftwerk oder dem Verzehr eines brasilianischen Steaks könnte Fliegen vielleicht doch nur ein Gentleman‘s-Delikt sein!?

Waldmeyer Logo

Waldmeyer amüsierte sich zudem über eine interessante wissenschaftliche Abhandlung: Sogar der Entscheid, Kinder zu kriegen ist letztlich ein CO2-Entscheid! Jeder zusätzliche Mensch auf der Erde wird unsere Ressourcen- und Klimaprobleme vergrössern. Fünf Flüge im Jahr zu einem etwas weiter entfernt liegenden zweiten Ort, so rechnete Waldmeyer, würden jährlich dreimal weniger CO2 verbrauchen als ein einzelnes Kind. Ohne die täglichen Fahrten des Zöglings zur Schule gerechnet, welche die Mutter am Zürichberg mit dem SUV zurücklegen würde. Es stünde also 1 Kind in Konkurrenz zu 3 zusätzlichen fernen Second Homes, die es mit je 5 Flügen jährlich zu erreichen gälte – total also 15 Flüge. Contra 1 Kind eben.

Aber sollten wir nicht mit gutem Beispiel vorangehen und allenfalls dieses komische Lastenrad anschaffen? Nun, damit würden wir bestimmt einen Chinesen in Shanghai oder einen Inder in Mumbai beeindrucken. Letzterer müht sich übrigens mit einem Lastenrad ab und träumt von einem SUV.

Waldmeyer ist sich absolut bewusst, dass seine arithmetischen Gedankenspiele heikel sind. Auch liegen seine Kinderentscheide schon weit zurück. Und er weiss durchaus, dass gewisse CO2-Vergleiche mitunter politisch nicht korrekt sind. Aber so sind eben die Fakten. Er darf also seine nächsten Flüge beruhigt buchen und auch seine Suche in Sachen Second Home ohne schlechtes Gewissen fortsetzen.

Allerdings behält Waldmeyer alle diese Gedanken vorerst mal für sich. Vor allem wird er seiner Schwester Claudia nichts davon erzählen. Es sind alles nur Reserve-Argumente.

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Roland V. Weber

Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.

Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.

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