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Praktischer Feminismus

Warum auch die Schweiz eine Sahra Wagenknecht brauchen könnte

Als unabhängige Denkerin zeigt Sahra Wagenknecht in Deutschland eindrücklich: Meinungspluralismus ist auch im linken Spektrum möglich. Und ihr Naturell verdeutlicht: Eine selbstbewusste Frau braucht keinen staatstragenden Feminismus.

Artur Terekhov am 17. März 2023

Noch nie die Beliebteste in ihrer eigenen Partei, ist Sahra Wagenknecht aktuell das „enfant terrible“ der orthodoxen Linken in Deutschland. Was ist passiert? Anfang März kündigte Wagenknecht an, eine Kandidatur für die LINKE, der wichtigsten deutschen Partei links von SPD und Grüne, bei den nächsten Bundestagswahlen auszuschliessen. Dies, während sie die Gerüchte, allenfalls eine eigene Partei zu gründen, nicht klar dementierte. Ein Kolumnist im FOCUS sah sich sogleich veranlasst, in einem Meinungsbeitrag festzuhalten, „eine neue Partei mit rot-braunem Appeal“ sei wohl kaum ein Gewinn für die deutsche Demokratie. Mut zur Kontroverse – und schon schlägt die teutonische Nazikeule zu.

Den einzigen „Fehler“, den Wagenknecht gemacht hat, ist wohl das Selberdenken. Ablehnung der einrichtungsbezogenen Covid-Impfpflicht und diverser anderer Corona-Massnahmen als bekennende Ungeimpfte, Distanzierung von Neu-Gender und sprachlichen Vorgaben, Hinterfragen der einseitigen Fokussierung auf Diskriminierungsfragen als Luxusproblem der Linken, Kritik am zu wenig harten Umgang mit Asylsuchenden, die in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln diverse sexuelle Übergriffe auf Frauen verübt hatten – und einiges mehr. Diese Positionen passen nicht ins Weltbild vieler staatstragender Linker, für welche auch nur schon punktuelle Kritik an der Parteilinie verpönt ist. Jüngst kam Ende Februar noch das Friedensmanifest dazu, welches Wagenknecht zusammen mit der Frauenrechtsaktivistin Alice Schwarzer initiiert hat. An deren Friedensdemo in Berlin sind über 10‘000 Menschen erschienen – mitunter, um gegen weitere Waffenlieferungen Deutschlands in die Ukraine zu demonstrieren. Wagenknechts „Fehler“ war also, dass sie sich klar zum Pazifismus, einem traditionell linken Anliegen, bekannt und deutlich darauf hingewiesen hat, dass eine bewusste Anheizung des Konflikts durch den Westen die Situation nicht entschärfe. Die Parteileitung der LINKE hat sich sehr deutlich von Wagenknecht distanziert – und es fragt sich ernsthaft, wer sich hier von wem bzw. welchen Werten entfernt hat. Ist Wagenknecht denn mit ihrer Kritik an staatlichen Corona-Massnahmen und dem aussenpolitischen Interventionismus in der Ukraine-Situation zu einem rechtsliberalen Roger Köppel deutscher Prägung geworden? Hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Weiterhin bekennt sich Wagenknecht zu einem ausgebauten Sozialstaat. Und als promovierte Ökonomin – einer der wenigen Linken, die etwas von Wirtschaft versteht – tritt sie für eine „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ sowie zugleich einen „Sozialismus ohne Planwirtschaft“ ein. Dies mag zwar utopisch sein, illustriert aber, dass Wagenknecht wirtschaftspolitisch weit von klassisch-liberalen bzw. minimalstaatlichen small-government-Ansätzen entfernt ist. Damit ist sie oftmals mit dem Autor dieser Zeilen nicht auf einer Linie. Und trotzdem würde dieser viel lieber eine (unabhängig denkende) linke Sahra Wagenknecht auf seinen Wahlzettel schreiben als einen pseudobürgerlichen Lobbyvertreter, der nur genau so lange für Wirtschaftsfreiheit ist, bis ein Branchenverband ihn für seine wettbewerbsfeindlichen Partikulärinteressen einspannt.

Unabhängiges Denken innerhalb der etablierten Parteien ist eine Rarität. Es fehlt nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz. Gerade bei linken Parteien ist das Meinungsspektrum sehr eng, wie auf Smartvote bei fast allen Wahlen aufs Neue ersichtlich: Kandidaten bürgerlicher Parteien auf einen Quadranten verteilt, jene der Linken nahezu auf einem Fleck. Insbesondere fehlt eine schweizweit bekannte Politikerin vom Format Sahra Wagenknecht. Stromlinienkarrieren der neuen bzw. jungen Linken fernab der wirtschaftlichen Realität werden hingegen immer häufiger: „Kreissaal, Hörsaal, Plenarsaal“ als ungeschriebene Musterbiografie. Dabei würde eine „Sahra Wagenknecht 2“ die Schweizer Politik beleben. Nicht nur würde das Meinungsspektrum innerhalb der Linken breiter, was das Politspektrum bereichern würde, zumal die Alt-68er-Generation oft berechtigte Standpunkte gegen überbordende staatliche Machtansprüche vertritt, von welchen bei den neuen Linken etatistischer Prägung leider eher wenig zu spüren ist. Zugleich würde verdeutlicht, dass glaubwürdiger Feminismus allem voran eine Frage der gelebten Praxis ist. Eine Frau mit Selbstbewusstsein einer Sahra Wagenknecht hat es gar nicht nötig, nach staatlichen Regulierungen zu rufen. Denn Hand aufs Herz: Männer ohne Selbstwertprobleme finden selbstbewusste Frauen ohnehin attraktiv. Und Männern mit Selbstwertproblemen zu helfen ist keine Staatsaufgabe.

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Autor/in
Artur Terekhov

MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.

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