logo

Huber & Senn

Warum die Akzeptanz schwindet

Wir müssen einmal mehr über dieses Virus reden, Covid-19. Seit Tagen werden wir medial bombardiert mit sogenannt neuen Rekord-Infektionszahlen. Oft genug sind die Meldungen allerdings blanker Unsinn. So wie gestern auf der Frontseite des St. Galler Tagblatts. 

Huber & Senn am 24. Oktober 2020

Da steht beispielsweise: «Gestern meldete das Bundesamt für Gesundheit mehr als 6600 Infizierte innerhalb von 24 Stunden. Damit sind seit dem Frühjahr in der Schweiz über 100’000 Personen an Corona erkrankt.»

Nein, liebes Tagblatt, eben genau nicht. Erkrankt ist nur ein Bruchteil dieser Leute, denn der Test misst nicht die Erkrankungen, sondern diejenigen Personen, bei denen nachgewiesen werden kann, dass sie mit dem Virus in Kontakt gekommen sind. – Wie viele von ihnen tatsächlich erkrankt sind, weiss man genau so wenig, wie, ob sie zum Zeitpunkt des positiven Tests noch ansteckend sind. Klar ist nur: ein Anteil der positiv Getesteten hatte nie irgendwelche Symptome, oder vielleicht solche, die nicht über ein kurzfristiges Kratzen im Hals hinaus gingen.

Kommt hinzu, dass die Tests, anders als viele Medienberichte vorgaukeln, nicht die «Neuinfektionen» oder «Neuansteckungen» messen. Auch das ist blanker Unsinn, denn der zugrundeliegende PCR-Test schlägt auch noch an, wenn jemand schon vor Wochen infiziert wurde und einfach noch Virus-Material bei ihm gefunden wird. Die Zahlen gehen auch hier je nach Quelle auseinander: Einige verweisen auf Studien, die davon ausgehen, das bis zu drei Wochen nach einer Infektion noch ein positives Resultat erfolgen kann, andere sprechen gar von sieben Wochen.

Wenn jetzt aber sogar der Leiter der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes, Martin Ackermann, wie an der letzten Pressekonferenz des Bundes am Freitag von «Neuansteckungen» spricht, dann verletzt er damit nicht nur die wissenschaftliche Redlichkeit, sondern schadet der Glaubwürdigkeit seines Gremiums und der Wissenschaft schlechthin, welche durch die vielen widersprüchlichen Wortmeldungen von vielen Menschen ja sowieso schon nicht mehr ernstgenommen wird.

Aber gehen wir einen Schritt zurück und fragen uns: Worin besteht eigentlich aktuell die Zielsetzung des Krisenmanagements? Ist es die Eindämmung oder die Verlangsamung der Virus-Verbreitung? Falls das die Zielsetzung ist, würde die Hysterie ja noch einigermassen Sinn machen – und auch die rigorosen Massnahmen. Aber ist diese Zielsetzung sinnvoll?

Wir meinen: Nein. Sinnvolle Zielsetzungen können eigentlich nur sein, erstens die Risikopatient/innen zu schützen, also diejenigen Personen, bei denen Corona schwere Verläufe macht. Und zweitens sicherzustellen, dass die Kapazitäten das Gesundheitswesens nicht überfordert werden.

Frage deshalb: Was bringen die ganzen täglichen dramatischen Darstellungen der BAG-Fallzahlen?

Nichts, wenn man vernünftigen Medizinmännern und -frauen zuhört. Viel wichtiger wären Daten wie die Auslastungszahlen der Spitäler: Wie viele Intensivpflege-Betten stehen zur Verfügung? Wie wiele von ihnen sind besetzt? Wie hat sich diese Belegung entwickelt? Wie lange verweilen die Corona-Patient/innen auf den Intensivpflegestationen? Und welche Projektionen gibt es für die nächste Zeit?

Das sind die relevanten Zahlen. Allein: Bis eben noch fand man nichts dazu. Immerhin hat aber Martin Ackermann an der letzten Bundesmedienkonferenz ein wenig Einblick in die Zahlen gewährt. Er sprach von Verdoppelungen innerhalb einer Woche sowohl bei den Hospitalisationen wie auch bei der Belegung von Intensivpflegebetten durch Corona-Patient/innen. Und zeigte eine Folie, auf der am Ende dramatisch und exponentiell steigende Kurven stehen, welche auch die maximale Intensivbetten-Kapazität von 1'400 Betten übersteigt: Die Kurven sind Berechnungsmodelle der wissenschaftlichen Taskforce, wenn die Verdoppelungen so rasch weitergehen.

Neu ist auch, dass die Zahlen jetzt (endlich!) publiziert werden, wie der Delegierte des Bundesrates für den Koordinierten Sanitätsdienst, Andreas Stettbacher, anlässlich der letzten Medienkonferenz des Bundes preisgab. Man findet Sie unter diesem Link, immer noch gut versteckt allerdings und kaum verlinkt. Was vielleicht damit zusammenhängen mag, dass die Zahlen, so wie sie präsentiert werden, immer noch wenig aussagekräftig sind. Gezeigt wird nämlich nur eine Momentaufnahme, keine Entwicklung. Und: Weiter aufgeschlüsselt werden die Spitaldaten nicht. Keine Aussagen über die Alterszusammensetzung bei den Hospitalisationen und Intensivbetten-Belegungen, geschweige denn über Vorerkrankungen der Patient/innen. Genau solche Daten wären aber nötig, um eine vernünftige Diskussion darüber zu führen, welche Massnahmen es braucht, um die Kapazitäten der Spitäler zu schützen.

Ob man die Daten nur vor der Öffentlichkeit versteckt oder sie gar nicht erhebt?

Screen1

Die durchgezogene schwarze Linie zeigt die Auslastung der Intensivpflegestationen mit Covid-19 Patienten im Zeitverlauf und bis gestern. (Quelle: www.icumonitoring.ch)

Screen2

Wir recherchieren weiter und stossen auf eine Internetseite der ETH Zürich. Ein Team rund um Professor Thomas van Boeckel publiziert hier mehr Daten des Sanitären Koordinationsdienstes als dieser selbst. Auf einer Internetseite allerdings, die ausschliesslich in englischer Sprache verfügbar ist. Wer nicht weiss, dass ICU für «Intensive Care Unit» und das wiederum für «Bett auf der Intensivstation» steht oder «Ventilator» für Beatmungsgerät, ist auf der Seite ziemlich verloren. Die Zahlen sind dann pro Kanton und auch auf Regionen zusammengefasst für alle einsehbar. Informationen zu einzelnen Spitälern hingegen sind nicht öffentlich. Sie können nur mit Username und Passwort abgerufen werden. Was zum Geier haben sie denn zu verstecken, fragt man sich da? Dabei wäre grösstmögliche Transparenz doch das Gebot der Stunde.

Gemäss den letzten verfügbaren Daten von icumonitoring.ch, bei Redaktionsschluss denjenigen vom 23. Oktober 2020, also vom Freitag, lag die Belegung von Intensivpflegebetten total und inklusive Covid-19 Patient/innen schweizweit bis zuletzt und trotz dem Anstieg der gemeldeten Fälle mit nachgewiesenem Viruskontakt nicht höher als schon im Juli und August dieses Jahres.


«Die Ostschweiz» als Clubmitglied unterstützen und von verschiedenen Angeboten profitieren. Mehr dazu hier.


Nun, das muss nichts heissen in Bezug auf die Zukunft. Aber es relativiert.

Zurück zu den Bundeshysterikern. Task-Force-Leiter Martin Ackermanns Schlussfolgerungen aus seinen Projektionen lautete: «Wir müssen die Epidemie stoppen.» (Was schon als Aussage Blödsinn ist und ihn disqualifiziert: er sollte wissen, dass sich die Pandemie nicht stoppen, sondern höchstens eindämmen lässt – ausser man mauert alle ein, wie das die Chinesen gemacht haben). Dafür wollen er und seine Taskforce eine Reihe von Massnahmen beliebt machen, die er dann allerdings nicht so ganz konkret ausformulieren mochte. Klar wird nur: Es sollen erneut Massnahmen sein, die giesskannenmässig über die gesamte Gesellschaft ausgeschüttet werden.

Zwar sagt Ackermann auch, es müsse sich um Massnahmen handeln, die von der Gesellschaft akzeptiert würden. Nur scheinen die Wissenschafter in ihrem Elfenbeinturm noch nicht verstanden zu haben, dass die gesellschaftliche Akzeptanz sich verändert hat. Und dass viele Restaurant-betreiber, Hoteliers, Kulturschaffende, Eventveranstalter, Freiberufler, Sportler etc. nicht bereit sind, ihre Existenz zu opfern, nur weil die Behörden nicht den Mut haben, konsequent und zielgerichtet dort Massnahmen zu setzen, wo die Risikogruppen sind. Und das ist in Gottes Namen nun einmal die älteste Bevölkerungskohorte und Personen mit Vorerkrankungen. Sie müssen geschützt werden.

Dafür ist es allerdings nicht nötig, viele tausend Existenzen zu zerstören. Wir alle haben in diesem Jahr viel Solidarität gezeigt. Man sollte sie nicht überstrapazieren.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Huber & Senn

Roger Huber (1964) und Patrick Senn (1969) sind ehemalige Ostschweizer Journalisten, die lange Jahre bei nationalen Medientiteln gearbeitet haben. Heute unterstützen Sie Organisationen und Führungskräfte in der Krisenkommunikation und sind Gründungsmitglieder des Verbandes für Krisenkommunikation vkk.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.