Die St.Galler Kellerbühne ist nicht mehr gefragt, seit ein Zertifikat Voraussetzung für einen Besuch ist. Überraschung? Kaum. Das Publikum von Kleinbühnen ist ganz einfach ziemlich wählerisch. Und findet es nicht lustig, was geschieht.
«Die St.Galler Kellerbühne sagt die Vorstellungen von Peter Pfändler und Anet Corti in der nächsten und übernächsten Woche ab. Dies 'aufgrund der aktuell mangelnden Bereitschaft des breiteren Publikums, Kleintheater zu besuchen', wie es in einer Mitteilung vom Freitag heisst.»
Das schreibt das St.Galler Tagblatt in der aktuellen Ausgabe. In nackten Zahlen ausgedrückt: Die aktuellen Reservationszahlen bewegen sich zwischen vier und zwölf pro Vorstellung. Das sind sogar für Kleinkunstverhältnisse sehr wenige bis gar nichts. Oder anders ausgedrückt: Kein Mensch hat Lust, sich eine Vorstellung angesichts der aktuellen Vorgaben zu geben.
Der Zusammenhang ist offensichtlich. Die Kellerbühne legte einen guten Start hin nach der Eröffnung der neuesten Spielzeit. Nach Einführung der Zertifikatspflicht brachen die Zahlen ein. Oder um den Kellerbühne-Leiter Matthias Peter im Tagblatt zu zitieren: Seit der Einführung der Zertifikatspflicht würden keine Reservationen mehr getätigt. «Die Zahlen stagnierten auf tiefem Niveau. Eine rationale Erklärung dafür gibt es für Matthias Peter keine», heisst es weiter.
Natürlich gibt es eine Erklärung. Es will sie nur niemand in Worte fassen. Das Publikum der Kellerbühne hat keine Lust auf die Zertifikatspflicht. Viele der Besucher haben kein Zertifikat, und offenbar finden auch viele derer, die eines haben, dass es nicht besonders lustig ist, eine Vorstellung zu besuchen, die auf diskriminierende Art und Weise einer bestimmten Gruppe von Menschen vorbehalten ist. Vielleicht sind Kleinkunstliebhaber eben doch eine mitdenkende Gruppe von Leuten.
Die Kellerbühne-Leitung scheint das Problem woanders zu orten. Sie glaubt offenbar, die Leute hätten Angst, eine Vorstellung zu besuchen. Man verzichte daher auf eine Vollbelegung, die Kellerbühne sei nur zu zwei Dritteln belegt, heisst es weiter. Was den Paranoiden unter den Besuchern offenbar vermitteln soll, dass das Virus keine Chance habe. Wobei sich die Frage stellt, was man denn noch mehr machen will als eine Zertifikatspflicht. Denn Genesene, Geimpfte und Getestete sind laut der Lesart des Bundes ja die «Guten», was will denn da schon passieren?
Es tritt ein, was zu erwarten war. Rund 40 Prozent der Menschen werden mit der Zertifikatspflicht schon mal ausgeschlossen, und unter den Verbleibenden gibt es viele, die derzeit keine Lust haben, sich Kleinkunst zu geben. Denn diese sollte für alle da sein. Das ist sie aktuell nicht. Ohne echte Evidenz.
Aber was interessiert das schon die Leute, die das entschieden haben.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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