«Ja, ich wurde vorübergehend festgenommen für eine Spurensicherung.» Das bestätigt die Juso-Stadtparlamentarierin Miriam Rizvi dem St. Galler «Tagblatt», nachdem sie zuvor jede Stellungnahme abgelehnt hatte.
Schon zuvor hatte der «Blick» berichtet, dass sie im Zusammenhang mit nächtlichen Schmierereien von der Polizei angehalten wurde. Dass die Kantonspolizei dem «Blick» gegenüber ihre Personalien bestätigt habe, sei eine Vorverurteilung, beschwert sich die Jungpolitikerin. Sie sei schliesslich weder angeklagt, noch verurteilt.
Das kann sich noch ändern, aber natürlich gilt ihr gegenüber die Unschuldsvermutung. Während der Pandemie rüpelte Rizvi zum Beispiel: «Gestern marschierten 1400 Corona- Idiot*innen durch St.Gallen. Die Demonstration wurde von den Behörden genehmigt, obwohl es im Zusammenhang mit den Protesten zu zahlreichen gewalttätigen Zwischenfällen gekommen ist.»
Sie meint damit offenbar Kritiker der Corona-Politik, die von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machten, an einer bewilligten Demo teilzunehmen. Das findet sie ziemlich idiotisch, Schmierereien scheinen für sie etwas anderes zu sein. Die Teilnahme an einer illegalen Gegendemo übrigens auch.
Ihre Juso-Präsidentin hält es hingegen nicht so mit der Unschuldsvermutung. Anna Miotto keifte, das OASG biete dem «Täter» der deutschen Punkrockband «Feine Sahne Fischfilet» eine Bühne. Sie bezog sich damit auf anonyme Schmierereien im Internet, wo ihm angebliche «sexualisierte Gewalt» vorgeworfen wurde. Ohne jeden konkreten Beleg; diese Behauptungen sind längst gerichtlich als Verleumdungen abgetischt.
Das Motto der Juso-Präsidentin auf Twitter lautet: «Mindestens eimol pro Tag s System figge». Auf Anfrage, wie sie es denn mit der Unschuldsvermutung halte, auf die ihre Parteikollegin Rizvi so grossen Wert legt, schwieg Miotto dann feige.
Die Jusos in der Ostschweiz fallen immer wieder durch verbale Ausrutscher und Anrempler auf. Sie schrieben im Wahlkampf über die SVP-Ständeratskandidatin, das sei "sexistische, rassistische, menschenfeindliche Kackscheisse". Auf einem Wahlplakat der Juso Wil hiess es: "Heute brennt die Weltwoche, morgen dann Roger Köppel".
Auch die Parteipräsidentin der SP St. Gallen Andrea Scheck findet, dass ihre Kollegin nicht auf eine journalistische Anfrage antworten müsse: «Leider halte ich Ihre Fragen an Frau Miotto für tendenziös und polemisch formuliert, ausserdem enthalten sie an mehreren Stellen nachweislich falsche Behauptungen. Aus diesem Grund kann ich Ihnen keine Aussage geben, da ich die grundlegenden journalistischen Standards dahinter in Frage stelle.
Soweit man das verstehen kann, will Scheck also bestimmen, wie Fragen gestellt werden dürfen, bevor sich die SP allenfalls zu einer Antwort aufrafft: «Falls Sie es mit neutral formulierten, offenen Fragen und offengelegten publizistischen Leitlinien noch einmal probieren wollen, haben Sie vielleicht auch bei Frau Miotto mehr Chancen auf eine Antwort.»
Welche «falsche Behauptungen» die Fragen enthielten, dazu äussert sich Scheck leider nicht. Und nun das. Das «Tagblatt» hat bei der städtischen SP nachgefragt. Schmallippige Antwort: «Wir werden nach den Sommerferien mit ihr das Gespräch suchen», sagt Jenny Heeb, Co-Präsidentin der SP der Stadt St. Gallen.
Die Frage eines allfälligen Parteiausschlusses sei «derzeit» kein Thema. Natürlich verurteile die SP Sachbeschädigungen und Schmierereien, aber eben, die Unschuldsvermutung.
Dass Rizvi bereits 2021 an einer unbewilligten Demonstration teilgenommen hatte und dafür mit einer Busse von 300 Franken plus Übernahme der Gerichtskosten verurteilt wurde, je nun, da gilt dann die Unschuldsvermutung nicht mehr. Das war übrigens eine Manifestation gegen eine bewilligte Manifestation von Gegnern der Corona-Politik.
Bei der SP St. Gallen gilt also offenbar die Unschuldsvermutung nur für Parteimitglieder. Verbale Blutgrätschen gegen politische Gegner, der Wunsch, einmal täglich «s System figge», ein unliebsames Magazin und gar dessen Besitzer brennen sehen, eine mögliche Beteiligung an Schmierereien, Unschuldige als «Täter» beschimpfen, die Weigerung, auf nicht genehme Fragen zu antworten, da scheint doch einiges im Argen zu liegen.
Augen zu und durch, das kann wohl nicht die richtige Politik in Hinsicht auf die kommenden Wahlen sein. Da gilt dann keineswegs die Unschuldsvermutung, sondern die Unfähigkeitsgewissheit.
«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.