Ralph Weibel hat keine Angst anzuecken. Er sieht Sachen, die andere nicht sehen, und sagt Dinge, die andere nicht sagen. In der Rubrik «Weibel wirbelt auf» nimmt er uns mit auf eine Reise durch die Absurditäten des Alltags. Heute kämpft er mit dem Wahlkopfsalat in seinem Briefkasten.
Mache mir ernsthafte Sorgen um die Gesundheit unserer Müllmänner. Natürlich auch der Müllfrauen, wenn es denn solche gibt. Vielleicht bräuchte es hier endlich ein Frauenförderungsprogramm. Bei mir jedenfalls leeren immer nur Männer die grüne Biotonne, nehmen die nette Einladung auf unseren Güselsäcken an: «Nimm mich mit ins KHK» und werfen in ihre Lastwagen Tonnen meiner «Ich trink mir die absurde Welt schön»-Weinkartons.
Und jetzt müssen sie auch noch die akkurat gebundenen Altpapierbündel mit leeren Versprechungen bis zum Leistenbruch einsammeln. Wir stehen vor dem ersten Wahl- und Abstimmungssonntag in diesem Jahr.
Mein Briefkasten wird geflutet mit einem Kopfsalat. Die Parteien werben damit um meine Stimme. Ausnahmslos alle lächeln mich dabei an. Fühle mich dabei an den Verkäufer auf dem türkischen Bazar erinnert, der mir freundlich einen Tee anbot und mir dann energisch und aufdringlich einen Perserteppich verkaufte.
Erfrischende Ausnahme 13. AHV
Seither traue ich niemandem mehr, der mich anlächelt. Da bilden die einzigen nationalen Vorlagen, zur 13. AHV-Rente, geradezu eine erfrischende Ausnahme. Die beiden älteren, gegnerischen Paare, «Die Rente reicht nicht mehr» und «AHV ruinieren?», blicken beide verzweifelt in die Kamera. Das Entsetzen im Blick lässt nur eine Schlussfolgerung zum Ausgang der Abstimmung zu: Wer verliert, muss sich direkt bei Exit anmelden.
Ganz anders bei den Kantonsratswahlen. Ausnahmslos alle grinsen so, als ob sie gerade vom Arosa Humorfestival kämen. Oder mir einen Teppich verkaufen wollten.
Bildbearbeitungsprogramme haben sämtliche Pickel entfernt, viele Falten geglättet und Biberzähne aufgehellt. Mit anderen Worten: Der Beschiss fängt schon an, bevor das Abstimmungscouvert verschickt wird.
Dass unser Wappen grün ist, reicht schon lang nicht mehr
Und dann diese Versprechungen. Entschlossen «machen wir den Kanton stark» oder schaffen ein «soziales St. Gallen». Dass unser Wappen grün ist, reicht schon lange nicht mehr. Wer die Welt retten will, muss bei der Langhornbiene anfangen. Hauptsache, man signalisiert Entschlossenheit.
Wobei sich viele Parteien gleich selbst konterkarieren. Die meisten sind noch nicht einmal fähig, eine Wahlliste mit den besten Köpfen zu präsentieren. «Masse statt Klasse» heisst das Motto, und so werden wir zugemüllt mit 15 Listen für lediglich neun Parteien. Da muss man doch zum Protestwähler werden!
Ich beispielsweise wähle deshalb meine Lieblingsregierungsrätin Laura Bucher wieder. Die weiss, «die Klimakrise ist real, überall auf der Welt häufen sich Wetter-Extremereignisse», weil sie selber nach Bali und Hawaii fliegt, um sich vor Ort ein Bild vom Weltuntergang zu machen.
Seidene Bänder durchschneiden
Zur CO₂-Kompensation fördert sie für uns dafür «…den Ausbau des öffentlichen und des Langsamverkehrs». Sicher schneidet sie in diesem Jahr auch irgendwo ein seidenes Band zur Eröffnung eines Gemeinschaftskomposts durch.
Leider findet sich im Kopfsalat ohne Dressing kein einziger Müllmann, dem ich meine Stimme geben könnte. Er hätte dies und später etwas mehr AHV verdient.
Der Stadt-St. Galler Ralph Weibel pflügt sich seit über 30 Jahren als Bühnenautor durch die Medienlandschaft. Mehrere Jahre produzierte er zudem die Satirezeitschrift «Nebelspalter».
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