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Unsere grosse Umfrage

Weniger Distanz zwischen Politik und Bürger – Demokratie als Herzensangelegenheit

Am Sonntag, 28. April, findet in Appenzell die Landsgemeinde statt. Tausende Hände schnellen dann bei zwölf Sachgeschäften auf dem Landsgemeindeplatz in die Höhe. Elf Persönlichkeiten äussern sich zu diesem traditionellen Event.

Urs Oskar Keller am 27. April 2024
Bruno Inauen

Bruno Inauen

Bruno Inauen, 55, seit 2019 Leiter Landwirtschaftsamt Kanton St. Gallen

«Die Landsgemeinde hat mit dem Frauenstimmrecht ganz klar gewonnen»

Bruno Inauen, Leiter Landwirtschaftsamt Kanton St. Gallen (von 2001 bis 2018 Leiter des Landwirtschaftsamtes des Kantons Appenzell-Innerroden): «Ich bin nicht mehr in Appenzell tätig, aber die Landsgemeinde bedeutet uns Innerrhoderinnen und Innerrhodern immer noch sehr viel. Ich habe noch nicht oft gefehlt...

Für die Bäuerinnen und Bauern ist die Situation nicht anders, wenn man die Landsgemeinde mit der direkten Demokratie gerne hat, so geht Mann und Frau dorthin. Speziell dünkt mich jedes Jahr, wie vor auch die jüngeren Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich ‹herausputzen›. Mit Jeans sieht man zwar schon auch Personen, wenn es wirklich ‹schöne› Jeans sind geht es noch, das nehmen die jüngeren fast wörtlicher als die älteren.

Ich glaube kaum, dass man (noch) viele antrifft, die der alten Zeit nachtrauern. Die Landsgemeinde hat mit dem Frauenstimmrecht ganz klar gewonnen, das war schon vor dem ‹Zwang› zwar meine Meinung, sie hat sich aber auch bewahrheitet. Das sagen sogar viele, die damals eher dagegen waren.

Den Landsgemeindedegen halten auch viele hoch, auch die Jüngeren tragen diesen mit Stolz an die Landsgemeinde. Da bin ich persönlich eher flexibler, der Ausweis ist halt einfach handlicher, vor allem nach der Landsgemeinde, wenn in der Regel noch ein Umtrunk genommen wird.»

Josef Mösler

Josef Mösler

Josef Mösler, 39, Bauer, Blüem- und Gurt-Züchter aus Leimensteig AI

«Politik ist nicht mein Ding. Ich bin ein Chüehni»

«Ich war als 18-Jähriger in den Jahren 2003 und 2004 an der Landsgemeinde in Appenzell gewesen, seither nicht mehr. Es war schön, doch Politik ist nicht mein Ding. Ich bin ein Chüehni. Mir gefällt die Tradition des Überfahrens, des Alpabzugs. Für mich war immer klar: Frauen haben die gleichen Rechte wie wir Männer. Viele Bauern gehen an die Landsgemeinde. Es gibt sehr konservative Innerrhödler, Querulanten und Eigenbrötler, die seit der Einführung des Frauenstimmrechts 1990 nicht mehr an die Landsgemeinde gehen. Wie gesagt, es ist nicht meine Sache.»

Joan Sindall

Joan Sindall

Joan Sindall (80), pensionierte Lehrerin aus Cambridge bei Boston, USA

«Es ist ein sehr berührendes Ritual. Die Landsgemeinde ist sehr bedeutungsvoll.»

«Mein 2022 verstorbener Mann und ich waren von der Landsgemeinde in Appenzell sehr angetan», erzählt Joan Sindall (80), pensionierte Lehrerin aus Cambridge bei Boston in den USA, während ihres aktuellen Besuches in Appenzell.

In dieser momentanen Weltlage fällt es ihr schwer, über das Konzept der Landsgemeinde etwas zu sagen. «Mein Herz ist schwer. Nur soviel:

Die Musik und der Prunk hier in Appenzell an der Landsgemeinde waren für mich, einer Amerikanerin aus Neuengland, spektakulär. Die Prozession, sowohl feierlich als auch freudig, war anders, als alles was ich zu Hause gesehen habe. Bei uns wird zwischen Trennung zwischen ‹Kirche und Staat› getrennt. Dass die Tradition mit Anpassungen – beispielsweise der Einbeziehung von Frauen – so lange überdauert hat, zeugt von ihrer anhaltenden Kraft, ihrer symbolischen, zentralen Bedeutung für den Kanton Appenzell-Innerrhoden.» Joan und ihr Mann Mac kamen seit 20 Jahren fast jedes Jahr ins Appenzellerland. «Wir empfanden immer grossen Respekt vor diesem traditionellen politischen Anlass der gelebter Demokratie mit jeweils vielen Menschen. Die Stimmung war besonders. Es ist ein sehr berührendes Ritual. Die Landsgemeinde ist sehr bedeutungsvoll.»

Christian Lienhard

Christian Lienhard

Christian Lienhard, 64, Hotelier, CO-CEO, Hotel Hof Weissbad, Weissbad

«Am besten isst man vor der Landsgemeinde»

«Ich bin jedes Jahr an der Landsgemeinde. Es ist ein grosser Anlass», sagt Christian Lienhard, 64, Hotelier, CO-CEO des renommierten Hotels Hof Weissbad in Weissbad. Der Zusammenhang Landsgemeinde und Gastronomie sei schwer zu finden, da es ihn nicht wirklich gebe. «An diesem Sonntag wird man als auswärtiger Gast kaum Platz in einem Restaurant finden. Am besten isst man vor der Landsgemeinde. Das typische Gericht ist die Appenzeller Siedwurst mit Chässpätzli.»

Paddy Schai

Paddy Schai

Paddy Schai, 47, Präsident Gastro Appenzell AI und Wirt vom PUB Appenzell

«Nur die bestehende Gastronomie darf ausschenken und aufrüsten»

Paddy Schai, 47, Jahre alt, Präsident von Gastro Appenzell AI und Wirt vom PUB Appenzell: «Dieser politische Anlass ist eine der wichtigsten gastronomisch Veranstaltung für die Restaurants und Hotels im Zentrum von Appenzell. Unser Kantonsverband Gastro AI zählt 74 Mitglieder. Zur Landsgemeinde gibt keine zusätzlichen Bars und Stände. Nur die bestehende Gastronomie darf ausschenken und aufrüsten.»

Mechtild Grubenmann

Mechtild Grubenmann-Kern

Mechtild Grubenmann-Kern, 46, seit 2019 Präsidentin Bäuerinnen- und Landfrauenverband Appenzell Innerrhoden, Bäuerin in Appenzell Meistersrüte

«In Innerrhoden arbeiten zirka zwölf Prozent in der Landwirtschaft, das heisst rund 1'900 Personen»

«Die Landsgemeinde ist für die Appenzeller Bevölkerung, Frauen und Männern von jung bis alt, ein wichtiger Tag. An diesem Feiertag tragen die Frauen keine Tracht, es wird aber auf eine schöne festliche Ankleide geachtet. Für die Landwirtschaft ist heuer das Geschäft 10, Revision des Landwirtschaftsgesetzes LaG, ein wichtiges Traktandum. Nebst kleineren Anpassungen wird neu der Herdenschutz, auf Kantonsebene, gesetzlich geregelt. In Appenzell Innerrhoden arbeiten zirka zwölf Prozent in der Landwirtschaft, das heisst rund 1'900 Personen.»

Guido Buob

Guido Buob

Guido Buob, 59, seit 2000 Geschäftsführer von Appenzellerland Tourismus AI in Appenzell

«Wenn Gäste sich interessiert an dieser Demokratieform zeigen, sind sie herzlich eingeladen»

Guido Buob, 59, seit 2000 Geschäftsführer von Appenzellerland Tourismus AI: «Sowohl für die Innerrhoderinnen und Innerrhoder wie auch für Appenzellerland Tourismus AI ist die Landsgemeinde kein touristischer Anlass und schon gar kein «Event». Wir versuchen in unserer Kommunikation grundsätzlich auf englische Wörter zu verzichten, erst recht im Zusammenhang mit der Landsgemeinde. Auf «Schaulustige» können wir ebenfalls verzichten, weil es keine ‹Schau› ist. Die Landsgemeinde ist der wichtigste Tag im politischen Jahr der Innerrhoder Bürgerinnen und Bürger. Wenn Gäste sich interessiert an dieser Demokratieform zeigen, sind sie herzlich eingeladen – ausserhalb des Rings und mit dem nötigen Respekt – dem Anlass beizuwohnen. Aber wir bewerben den Tag nicht speziell, sondern konzentrieren uns auf die korrekte Information derjenigen, die schon hier sind. Natürlich freut es uns, dass Gäste nach Appenzell kommen und an der Landsgemeinde interessiert sind. Die Landsgemeinde hat schon immer Interessierte angezogen, vorwiegend unserem Zielmarkt entsprechend aus der Schweiz. Eine steigende Tendenz ist nicht festzustellen.

Für die Gastronomie im Dorf ist es ein ganz wichtiger Tag und zwar wegen den Einheimischen, nicht wegen den Gästen. Es gehört bei vielen Freunden und Gruppen zur Tradition, dass man im Anschluss an die Gemeinde gemeinsam Essen geht und über die abgestimmten Beschlüsse und Wahlen noch einmal intensiv diskutiert. Für alle stimmberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner im Kanton ist es ein wichtiger Tag.»

Walter Mock-Kobler

Walter Mock-Kobler

Walter Mock-Kobler, 52, Präsidenten des Bauernverbands Appenzell-Innerrhoden, Landwirt, Gontenbad

«Die Landsgemeinde ist kein Trachtentag»

«Die Landsgemeinde ist kein Trachtentag. Es ist ein politischer Anlass und Männer und Frauen kommen schön gekleidet, aber mehrheitlich ohne Tracht», sagt Walter Mock-Kobler, 52, Präsident des Bauernverbands Appenzell-Innerrhoden aus Gontenbad. Im Kanton gibt es 420 direktzahlungsberechtigte Bauern. «Die Landsgemeinde ist für die bäuerliche Bevölkerung ein bedeutender, schöner und hoher Sonntag, aber auch ein geselliger Tag. Wir nehmen die Geschäfte sehr ernst und die Teilnahme ist auch ehrenvoll.

Matchentscheidend bei der Teilnahme ist das Wetter, auch für die Tagestouristen. Wir hatten immer unglaublich viel Glück mit dem Wetter. Die Freinacht geht oft bis vier Uhr in der Früh. Die meisten kommen traditionell zu Fuss nach Appenzell und essen dann vor den Diskussionen und Abstimmungen im Ring in einem Gasthaus eine Südwurst mit Herdöpfelsalat. Nach Ende des Landsgemeinde beginnt der gemütliche Teil mit Musik, Tanz, Essen, vielen Begegnungen und Schwatzen. Man besucht ein Beizli und trifft Freunde, Kollegen und auch mal Heimweh-Appenzelerinnen und -Appenzeller. Zwischendurch gehen ich für die Stallarbeiten heim nach Gontenbad. Die Landsgemeinde ist ein unheimlich schöner Anlass.»

Adalbert Fässler

Adalbert Fässler

Adalbert Fässler, 65, Restaurator und Kunsthandwerker, Appenzell

«Historische Säbel kosten bis zu 6'000 Franken und sind eigentlich Museumsstücke.»

Adalbert Fässler, 65, Restaurator und Kunsthandwerker, Appenzell: «Ich restauriere und verkaufe alte Degen und Säbel zum Gebrauch an der Landsgemeinde. Für den Standespfarrer Lukas Hidber stellte ich einen neuen Säbel her. Auch sein Vorgänger, Pfarrer Stephan Guggenbühl, hat einen von mir. Es gibt seit 1403 die Landsgemeinde bei uns. Bis ins 19. Jahrhundert gehörte der Degen zur Tracht – auch bei Adeligen wie Mozart. Die alten Seitengewehre werden bis heute mit Stolz gezeigt. Historische Säbel haben einen Wert von bis zu 6'000 Franken und sind auch Museumsstücke. Ich habe auch französische Degen von 1830, Griff mit Perlmutt, restauriert und verkaufe sie für 1'100 Franken. Ein originalgetreu restaurierter Eisenschnittdegen mit Goldunterlage, um 1740 hergestellt, in einem ausgezeichneten Zustand, kostet rund 1'200 Franken.

Die Landsgemeinde ist ein politischer Anlass, eine gelebte Demokratie. Jeder Bürger und jede Bürgerin kann reden. Anschliessend wird es zu einem Volksfest. Ich gehe anschliessend gerne ins Gasthaus ‹Linde› und ziehe mit Freunden weiter.»

Stefan Müller

Stefan Müller

Stefan Müller, Landeshauptmann, Kanton Appenzell Innerrhoden, Land- und Forstwirtschaftsdepartement, Appenzell:

«Ich gehe aber davon aus, dass eine ansehnliche Anzahl Bäuerinnen und Bauern die Landsgemeinde nicht entgehen lassen werden»

Stefan Müller, Landeshauptmann, Kanton Appenzell Innerrhoden, Land- und Forstwirtschaftsdepartement, Appenzell: «An der diesjährigen Landsgemeinde ist das kantonale Landwirtschaftsgesetz traktandiert (Traktandum 10). Bei der Revision des Landwirtschaftsgesetzes geht es in erster Linie um die Herstellung einer Grundlage für den Herdenschutz. Zudem werden noch einzelne Mängel und überholte Formulierungen in diesem Erlass korrigiert. Aus forstlicher Sicht ist zudem das Geschäft Nummer elf erwähnenswert. Mit der Revision des Jagdgesetzes werden neue Wildruhezonen erlassen.

Wie hoch die Beteiligung der landwirtschaftlichen Bevölkerung ist, kann man kaum einschätzen, dies weil wir ja keine personellen Erhebungen machen. Ich gehe aber davon aus, dass sich dieses Jahr doch eine ansehnliche Anzahl Bäuerinnen und Bauern die Landsgemeinde nicht entgehen lassen werden, da eben diese erwähnten Geschäfte von Interesse sein werden.»

Roland Inauen

Roland Inauen

Roland Inauen, 69, Regierender Landammann, Vorsteher Erziehungsdepartement, Kanton Appenzell Innerrhoden, Appenzell

«Über eine gute Appenzeller Südwooscht geht nichts und Hedepfelsalood hat jede und jeder gern»

Roland Inauen, 69, Regierender Landammann, Vorsteher Erziehungsdepartement, Appenzell: «Appenzell Innerrhoden hat rund 11'700 Stimmberechtigte. Alle, die an die Landsgemeinde kommen haben im Ring Platz. Notfalls kann der Ring zu Lasten des Platzes, der den Zuschauern zur Verfügung steht, vergrössert werden. Bei einer Stimmbeteiligung von 45 Prozent ist der Ring sehr voll. Unsere politischen Themen und die Wahlen vermögen in seltenen Fällen über die Grenzen der Ostschweiz hinaus zu interessieren. Es sind die vielfältigen Traditionen rund um die Landsgemeinde, die faszinieren.» Auf was freut sich Roland Inauen nach der Landsgemeinde? «Über eine gute Appenzeller Südwooscht geht nichts und Hedepfelsalood hat jede und jeder gern.»

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Urs Oskar Keller

Urs Oskar Keller (*1955) ist Journalist und Fotoreporter. Er lebt in Landschlacht.

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