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Hanspeter Krüsi im Porträt

Wenn der Tod Teil des Berufs ist

Ein breit gebauter Rocker, der mit den Emotionen kämpft. Ein Bauer, der seine Katze rettet. Solche Situationen prägen den Alltag von Hanspeter Krüsi, Kommunikationschef der Kantonspolizei St. Gallen.

Manuela Müller am 20. Februar 2022

Immer wieder hört man von Unfällen auf der Stadtautobahn. Oder man ist gleich selbst mittendrin im Stau wegen eines Unfalls. In diesem Moment kommen nicht nur Feuerwehr, Sanität oder Polizei zum Einsatz, sondern auch der Polizeisprecher. Er bringt Ruhe in die hektische Unfall-Situation und beantwortet die wichtigsten Fragen der Medienschaffenden. Auch schreibt er die Mitteilungen, die Interessierten vermitteln sollen, was in der Region passiert. «Es geht dabei um den Bürgerkontakt», erläutert Hanspeter Krüsi, Kommunikationschef der Kantonspolizei St.Gallen. «Dadurch können zum Beispiel Informationen einer Umfahrung der Unfallstelle kommuniziert werden.»

Details, die zurückgehalten werden

Krüsi weiss aus seiner Erfahrung, wie sich die Funktion des Polizeisprechers im Verlauf der Jahre verändert hat. Früher traf er an einem Unfallort bereits die Medienschaffenden an, die darauf warteten, von ihm informiert zu werden. Damals sei man wirklich noch «Sprecher» gewesen. Heute haben die Kommunikationsverantwortlichen ein mit WLAN ausgestattetes Auto, in dem sie die Medienmitteilungen direkt vor Ort verfassen und versenden.

Natürlich darf der Polizeisprecher nicht immer alles kommunizieren, was im Kanton St. Gallen passiert. Dann wären die Medien innert Stunden von der Flut an Meldungen zugedeckt. Auch geht es immer um rechtliche Vorgaben, was publiziert werden darf und muss – oder eben nicht. Die Meldungen der Polizei werden beispielsweise dann unterlassen, wenn es um Details eines Falles geht. «Wir wollen dann genau diese Details bei einer späteren Festnahme vom Beschuldigten wissen. Würden wir sie bereits publizieren, kämen wir der Täterschaft zuvor», erklärt Hanspeter Krüsi. «Damit könnte man einen ganzen Fall zerstören.»

Kameras sind schnell zur Stelle

Für die Polizeisprecher sei es daher auch immer eine Gratwanderung zwischen Information und Sensation. Natürlich interessiere es immer, wenn jemand einen schweren Unfall habe. Und ebenso, wie es demjenigen gehe oder um wen es sich handle. Jedoch gehe es zuerst immer um die Unfallbeteiligten und nicht um die Berichterstattung der Medienhäuser. «Man erlebt es immer wieder: Kaum passiert etwas, hält schon jemand die Kamera drauf», erläutert Krüsi. «Das verschafft uns als Polizeisprecher natürlich einen enormen Druck, dass die Informationen auch richtig weitergegeben werden.»

Der Kampf gegen die falschen Meldungen

Und Krüsi weiter: «Was die Polizei meldet, muss zwingend der Wahrheit entsprechen. Deshalb wollen wir mit der Berichterstattung auch so schnell wie möglich sein.» Es gehe auch darum, den Fake News vorauszueilen. «Es ist sehr schwierig, eine falsche Information, die bereits in der Öffentlichkeit kursiert, wieder richtigzustellen.» Natürlich sei auch hier die Kommunikation das A und O. «Deshalb sind wir immer so schnell wie möglich vor Ort, um der Bevölkerung und auch den Medienschaffenden so gut wie möglich Auskunft zu geben.»

Nicht jede Meldung wird mitgeteilt

Die Kantonspolizei St. Gallen erfasst täglich um die 250 Fälle. Eine stattliche Anzahl, gerade auch, wenn man sie auf eine einzelne Stunde herunterrechnet. In diesen Fällen geht es zum Beispiel um Ausweisverluste, Brände oder Diebstähle. Diese werden in einem Journal zusammengefasst. Jeden Morgen wird das rund 150 Seiten umfassende Journal durchgelesen, die wichtigsten Meldungen herausgepickt und in einem Mail für die Medienschaffenden verschickt.

Details beachten

Hanspeter Krüsi betitelt sich selbst als Perfektionisten. Jede Meldung und wie sie gegen aussen kommuniziert wird, sei akribisch in einem Medienhandbuch dargestellt – mit Angaben zur Titellänge und -inhalt sowie den weiteren Textelementen. Auch das Erwähnen der Nationalität des Täters bei einem schweren Delikt ist im Kanton St. Gallen geregelt. «Wir müssen die Angabe aus gesetzlichen Gründen dazu machen.»

Die Social-Media-Plattformen bezeichnet Krüsi als «den Stammtisch». «Da wird dem Frust gegenüber Ausländern, dem Frust gegenüber Randgruppen aber auch dem Frust gegenüber der Polizei freien Lauf gelassen. Wir schauen alle Kommentare durch, und greifen wo nötig ein.»

Vorgaben bei schweren Delikten

Schwere Fälle, in denen es darauf ankommt, schnell zu berichten und die ersten Informationen mit der Bevölkerung zu teilen beginnen in der Regel mit einer sogenannten Auftaktmeldung. Die ersten Informationen werden per Mitteilung verbreitet. Mit dieser Mitteilung geht auch immer eine Information für eine Medienkonferenz einher. «Wir geben die ersten Informationen bekannt und melden uns dann beispielsweise 90 Minuten vor der Medienkonferenz, um dann die Folgeinformationen zu vermitteln.» Das nehme den Polizeisprechern schon viel Druck, in der sonst schon hektischen Situation. Die Meldung werde dann nach und nach mit den entsprechenden Informationen ergänzt.

24 Stunden für die Medien da

250 Fälle pro Tag. Ist Krüsi demnach im Dauereinsatz? Teilweise durchaus. Sobald im Kanton ein schwereres Ereignis passiert ist, klingelt das Telefon des Polizeisprechers Sturm. «Die Anrufe werden nicht an die Notrufzentrale weitergeleitet, sondern landen direkt bei uns. Die Notrufzentrale hat sonst schon genug zu tun.» So will Krüsi den Druck von der Notrufzentrale nehmen und zudem auch immer für die Medienschaffenden erreichbar sein.

Polizeisprecher sind allerdings nicht bei jedem Unfall vor Ort. Sie wirken bei schwerwiegenden Unfällen oder Taten mit, um den Druck von den Polizisten zu nehmen, die in dieser Phase keine Zeit haben, auch noch Medien Auskunft zu geben. «Wir arbeiten mit den Medien in allen Phasen Hand in Hand zusammen, führen sie beispielsweise an jene Stellen, an denen sie Fotos machen dürfen», erklärt Krüsi. Zu Auseinandersetzungen mit Journalisten komme es dabei sehr selten. «In meiner ganzen Karriere habe ich bis jetzt erst fünf Mal erlebt, dass man sich am Telefon unfreundlich und unverstanden verabschiedet hat.»

Der Mensch im Fokus

Menschen haben Hanspeter Krüsi schon immer interessiert. Er sei ein sehr kommunikativer Mensch und habe Freude an Sprachen. Ebenso liegt Krüsi die Weiterbildung am Herzen. Dies in den verschiedenen Bereichen Psychologie, PR oder auch Kommunikation. Aus dieser Lust heraus, ständig Neues zu entdecken, sei auch das Interesse für die heutige Tätigkeit entstanden. «Als die Stelle bei der Kantonspolizei St. Gallen ausgeschrieben war, wusste ich: Das ist mein Job. Denn die Polizeiarbeit ist wirklich sehr spannend. Man hat mit allen möglichen Arten von Menschen zu tun», schwärmt Krüsi. So erlebe er als Polizeisprecher immer wieder neue Fälle, die die Arbeit interessant aber manchmal auch hektisch machen würden.

Emotional anspruchsvoll

Und ja, natürlich wird man bei der Polizei auch immer wieder mit dem Tod konfrontiert. Für Hanspeter Krüsi bleiben aber nicht die Erinnerungen an die tote Person präzise im Kopf, sondern andere Bilder. So etwa, wie sich die Umgebung präsentierte. An einem Unfallort, an dem ein Brand stattgefunden hat, ist ihm zum Beispiel ein Bauer mit einer Katze, die dieser retten konnte, noch stark im Gedächtnis verankert. Oder dann das Beispiel eines Verkehrsunfalls mit Todesfolge: «Bei meinem Eintreffen sah ich einen breit gebauten Rocker am Boden sitzen und weinen. Man denkt immer, diese harten Kerle weinen nicht. Dem ist aber nicht so. Hier treffen sämtliche Emotionen zusammen», erzählt Krüsi mitfühlend. Und was ihn zum Beispiel bei einem Gewaltdelikt am meisten beschäftigt ist die Tatsache, in eine Wohnung zu kommen in der alles kurz und klein geschlagen wurde. «Ich frage mich dann, was das Opfer vorher alles mitmachen musste.» Krüsi ist erschüttert, zu was Menschen heutzutage alles fähig sind. Taten, die auch an den Polizisten nicht spurlos vorbei gehen. Entsprechend werden Angebote zur psychologischen Betreuung immer häufiger in Anspruch genommen. Denn eine Uniform mag Eindruck machen. Sie schützt aber nicht vor Eindrücken.

(Bild: Keystone/Gian Ehrenzeller)

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Autor/in
Manuela Müller

Manuela Müller (*1994) aus Marbach war bis Ende März 2022 als Redaktorin für «Die Ostschweiz» tätig.

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