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Gourmet-Interview

«Wenn ein Gast meine Mitarbeiter von oben herab behandelt, kann mir das die Laune verderben»

Tobias Funke von der Fernsicht in Heiden auf die Frage, was ihm den Berufsalltag so richtig vermiesen kann.

Marcel Baumgartner am 04. August 2021
Tobias Funke Fernsicht Fernsicht Fernsicht Fernsicht Fernsicht

Tobias Funke, was kann Ihnen den Berufsalltag so richtig vermiesen?

Alle in unserem Team sind Gastgeber aus Leidenschaft. Und wir geben jeden Tag unser Bestes, indem wir auch versuchen Spezial-Wünsche zu ermöglichen. Aber auch wir können manchmal das Unmögliche nicht möglich machen. Wenn nun ein Gast diese Umstände nicht akzeptieren kann/will oder dann auch meine Mitarbeiter (vor allem jene im Service) nicht respektiert, respektive von oben herab behandelt, kann einem das schon die gute Laune austreiben.

Was hingegen machte Sie schon einmal im positiven Sinne sprachlos?

Es gibt immer wieder Komplimente von Gästen unterschiedlichster Art, die mich sehr freudig stimmen. Als Beispiel: Eine Familie, die zu meinen Stammgästen in meinem alten Restaurant in Freienbach (SZ) zählte, hat mit ihrem ältesten Sohn die Erstkommunion bei mir gefeiert. Als der zweite Sohn auch in diesem Alter war, habe ich den Kochlöffel jedoch bereits in Heiden geschwungen. Die Eltern fragten ihren Jüngsten, wo er denn diesen speziellen Anlass feiern möchte. Die Antwort war: «Bei Tobias.» Also sind sie mit der ganzen Familie von Richterswil nach Heiden gefahren und haben bei uns gefeiert. Was für eine Ehre. So etwas macht mich sprachlos.

Als Koch will man begeistern. Mit welcher Kreation ist Ihnen das in besonderem Masse gelungen? Und wieso?

Da wir – und damit meine ich meine Köche vom Incantare und mich selbst – es uns auf die Fahne geschrieben haben, jedes Gericht nur einmal auf die Karte zu nehmen – für vier bis sechs Wochen, je nach Saison und Verfügbarkeit der Produkte – und dadurch ständig neue Kreationen erfinden, ist diese Frage sehr schwierig zu beantworten. Jedes Gericht soll aufs Neue noch besser und präziser werden als das vorherige und dadurch die Gäste noch mehr verblüffen.

Auch wenn nun manch einer vielleicht denkt, dass 230 Franken für ein Menü viel Geld ist – ein Urteil darüber fällen, ob etwas teuer ist oder nicht, ohne es sich einmal zu leisten, sollte man aus meiner Sicht nicht.

Mit Blick auf die Herbst- und Wintersaison: Welche Zutaten werden zwingend Teil Ihres Angebots sein?

Im Herbst und Winter sind das natürlich die saisonalen Produkte, von Kürbis über Rosenkohl und alles, was unter der Erdoberfläche wächst und gelagert werden kann.

Weiter kaufen wir jeweils im Sommer grössere Mengen von diversen Produkten ein und machen sie in Einmachgläser ein, um sie haltbar zu machen. So können wir auch im Winter unseren Gästen ein abwechslungsreiches Menu anbieten und haben gleichzeitig einen nachhaltigen Fussabdruck, weil wir nur mit lokalen Produkten arbeiten – und dies das ganze Jahr über.

Wie viel Aufwand stecken Sie in die perfekte Weinbegleitung?

Sehr viel, denn auch das gehört zu meiner Arbeit. Wir lagern die Weine selbst, bis sie trinkreif sind. Ich serviere ja auch kein Fleisch, das nicht perfekt gelagert ist.

Die Weinbegleitungen werden immer von meinem Sommelier Stefan Weise und mir zu den neu entwickelten Gerichten probiert. Nur wenn wir beide zu 100 Prozent überzogen sind, bieten wir diese auch unseren Gästen an.

Kommt es vor, dass Sie in Ihrer eigenen Küche umgestimmt werden?

Eigentlich nicht, denn auch wenn ich je nach Saison ein Team von 30 bis 60 Mitarbeitern habe, soll der Gast das Essen serviert bekommen, wie ich es mir vorstelle.

Mein Team ist aber in alle Prozesse involviert: Meine Küchenchefs machen sich Gedanken für die neuen Gerichte, genauso wie mein Patissier, Sommelier und meine Chef de Bar. Wenn mir ein Vorschlag dann aber nicht passt, wird alles so angepasst, bis es für meinen Geschmack und für mein Auge perfekt ist. Obwohl: richtig perfekt sind wir noch lange nicht.

Konnte Sie auch schon einmal ein Gast umstimmen?

Ja. Und spannenderweise vor allem die Gäste, die kommen und sagen: «Oh, ich habe übrigens dies und das nicht gerne.» So als Beispiel vor ein paar Monaten eine Dame, die sich aus Überzeugung vegetarisch ernährt. Eigentlich wollte ich ihr nur erklären, wie sorgfältig wir mit allem umgehen, egal ob tierischer oder pflanzlicher Herkunft und, dass wir vor allem Respekt haben und auch alles so behandeln müssen. Würden wir unseren Foodwaste nämlich um 30 Prozent reduzieren – das ist der Anteil, der im Abfall der Schweizer Haushalte und Gastronomie landet –, wären wir bezüglich Nachhaltigkeit an einem ganz anderen Punkt.

Und ohne, dass ich dies eigentlich beabsichtigte, hat diese Dame dann mein ganzes Menè, das nebst vegetarischen auch mit Fleisch- und Fisch-Gängen bestückt war, gegessen.

Die Betriebe können erst seit geraumer Zeit wieder besucht – und auch neu entdeckt – werden. Hat sich in der «Fernsicht» etwas massgeblich verändert?

Im Grossen und Ganzen nicht, ausser, dass wir unsere Speisekarte nun mit einem Tablet anbieten. Dies wäre vor der Pandemie undenkbar gewesen. Spannende Nebensache: Gemäss einer Schweizer Studie hinterlassen wir dadurch einen besseren ökologischen Fussabdruck, als wenn wir alles auf Papier drucken. Auch wenn Papier als natürliche Ressource nachwächst und die Edelmetalle in unseren Geräten nicht.

Genuss-Tipp: Das gestaltet sich hier sehr schwer. Funke und sein Team nehmen jedes Gericht nur einmal auf die Karte. Entsprechend ist es nur für vier bis sechs Wochen «verfügbar».

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Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

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