logo

Die Kreativität der Task Force

Wenn man daneben haut, war es eben nur ein «Modell»

Der Teufel, den die wissenschaftliche Task Force vor zwei Wochen an die Wand gemalt hat, ist vorbeigezogen. Lag sie also daneben? Nicht doch. Denn sie stellt schliesslich keine Prognosen, sie präsentiert nur Modelle. Wie praktisch!

Stefan Millius am 05. Mai 2021

Was bekommt man, wenn man einen Meteorologen und einen Politologen kreuzt und noch einen Schuss Uriella beifügt? Die wissenschaftliche Task Force zu Covid-19 der Schweiz.

Ihnen allen ist eines gemeinsam: Sie sagen, was demnächst passieren wird, beklatschen sich, wenn es eintritt – und suchen Ausreden, wenn nicht. Die Task Force steht aktuell vor diesem Problem. Unmissverständlich liess sie im Vorfeld wissen, dass sie mit den (bescheidenen) Lockerungen vom 19. April nicht glücklich ist, weil sie einen Anstieg der Ansteckungen befürchtete. Stattdessen hat sich die Lage an allen Coronafronten seither entspannt. Was natürlich gut ist. Aber irgendwie, ist zu vermuten, doch auch ein bisschen enttäuschend.

Wobei das natürlich nicht heisst, dass sich die Task Force geirrt hat, nein, auf keinen Fall. Vielmehr hat das Volk eine völlig falsche Vorstellung von ihrer Arbeit. Die Task Force mache keine Prognosen, hiess es auf entsprechende Fragen, sondern präsentiere nur Modelle, die künftige mögliche Entwicklungen aufzeigen.

Der Unterschied zwischen einem Modell und einer Prognose ist allerdings nicht so frappant, wie es uns die Task Force glaubhaft machen will. Die beiden Begriffe stehen in direktem Zusammenhang. Mit einem Modell berechnet man den Zusammenhang zwischen mehreren Grössen. Wenn A passiert und B dazu kommt, erhält man Y, sollte aber C noch wegfallen, ist es eben Z.

Was bedeutet: Ein Modell ist nichts anderes als die Grundlage für eine Prognose, die daraus hervorgeht. Wenn keine solche resultiert, was soll dann das Berechnungsmodell überhaupt? Wofür stellt man es dann an? Auch bei Szenarien, dem dritten verwandten Begriff, werden Zusammenhänge berechnet, und auch sie zeigen am Schluss, von welchem Resultat man ausgeht. Und das ist nichts anderes als eine Prognose, ein Wort übrigens, das ja bereits eine gewisse mögliche Unschärfe beinhaltet.

Wer ein Modell aufstellt und daraus eine wahrscheinliche Entwicklung ableitet, gibt zumindest in der breiten Wahrnehmung damit letztlich eine Prognose ab und sollte sich dessen auch bewusst sein. Hätten die Lockerungen wirklich zu mehr Ansteckungen geführt, würde sich die Task Force heute ohne Zweifel für ihre brillante Prognose selbst beklatschen und das Wort ohne Hemmungen verwenden. Nun ist es anders gekommen – und deshalb ist alles nur noch ein «Modell».

Wirklich erklären könnte sich die Beratertruppe, wenn parallel zu der leichten Öffnung ein ausserordentliches Ereignis eingetreten wäre, das sich nicht vorhersehen liess. Politologen machen das gerne, wenn sie sich gröber verschätzen bei einer Abstimmung oder bei Wahlen. Dann verweisen sie auf eine plötzliche Entwicklung, die zu einem Meinungsumschwung geführt habe.

Nur: Was bitte soll das im konkreten Fall sein? Ist etwas passiert in den letzten zwei Wochen?

Die Bevölkerung trage die Maske inzwischen disziplinierter, das sei ein möglicher Grund für die positivere Entwicklung, hiess es vor den Medien. Also: Schlag 19. April, als unter anderem die Terrassen der Restaurants aufgingen, beschlossen alle Schweizerinnen und Schweizer, nun die Maske konsequenter zu tragen? Und deshalb sanken danach die Fallzahlen und die Hospitalisationen umgehend? Obwohl allgemein eine Massnahmenmüdigkeit festzustellen ist und die Menschen im Land tendenziell lockerer mit der Situation umgehen im Alltag?

Das glaubt vermutlich nicht mal der Mann, der das gesagt hat. Aber die Karriere der Maske wird immer erstaunlicher. Zunächst war sie überflüssig, dann war sie sinnvoll, dann war sie überaus wichtig – und nun rettet sie ein ganzes Land trotz Öffnungsschritten im Alleingang.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Task Force Panik verbreitete, ohne dass das Beschriebene danach eintrat. Aber bisher liess es sich immer einigermassen verwedeln. Dieses Mal ist die Diskrepanz zwischen Aussage und Ergebnis, sei es nun aufgrund eines Modells oder einer Prognose, zu gross. Deshalb brauchte es auch im gleichen Atemzug ein schnelles Ablenkungsmanöver. Alle Zahlen sinken, das ist schwer zu erklären, aber es spielt eigentlich auch keine Rolle, denn nun droht der grosse Exodus der jüngeren Bevölkerungsanteile. Wie aus dem Nichts.

Die eingangs erwähnte Uriella hat mehrfach den Untergang der Welt vorhergesagt, und als am nächsten Tag die Sonne doch wieder aufging, hatte das immer gute Gründe, und ein neuer Termin wurde angesetzt. Irgendwie klingen Uriellas Erklärungen im Nachhinein sogar noch überzeugender als die Ausführungen der wissenschaftlichen Task Force.

Kleiner Nachtrag. Auf die Frage, ob die Task Force zu pessimistisch gewesen sei, hiess es, man werde lieber positiv überrascht als negativ. Dieser Satz bringt die Politik von über einem Jahr auf den Punkt. Man geht gerne vom Schlechtesten aus, nur um dann festzustellen, dass dieses nicht eintritt. Wer so durchs Leben geht und sich mit den Massnahmen danach ausrichtet, richtet nachhaltigen Schaden an.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.