Politiker haben es gut: Sie könnten in ein Amt gesetzt werden, ohne auch nur die geringste Ahnung von der Materie zu haben. Fachleute in Behörden haben es schwer: Wenn sie eine Ahnung haben, müssen sie gehen. Der Fall Appenzell Ausserrhoden.
Irgendjemand oder irgendetwas muss Yves Noel Balmer, seines Zeichens Ausserrhoder Regierungsrat, Mitglied der SP und und Vorsteher des kantonalen Departements für Gesundheit und Soziales, zumindest eine Weile lang ziemlich stark auf der Leitung gestanden sein. Erst sehr spät entdeckte er, was sich später zu einer Art Mini-Eklat im Kanton auswuchs.
Es geht um Rainer Fischbacher, früherer mehrere Jahre Kantonsarzt von Appenzell Ausserrhoden, in den letzten zwei Jahren nach personellen Umstrukturierungen noch stellvertretend im Amt . Der hat seinen Platz unlängst geräumt. Technisch gesehen freiwillig, er hat seinen Posten im Rahmen eines Gesprächs mit Regierungsrat Balmer niedergelegt, wie das «Tagblatt» vor einigen Tagen berichtet hat.
Wie freiwillig das war, ist nicht übeliefert. Leider war kein Mäuschen dabei, das berichtet, wie das Gespräch verlief. Aber in der Regel tun sie das immer gleich: Man erklärt dem Untergebenen, wieso aufgrund eines bestimmten Vorfalls keine Zusammenarbeit mehr möglich ist, es sei denn, dieser verleugne seine persönliche Überzeugung bis zur Unkenntlichkeit. Will er nicht? Dann geht es nicht mehr. Und tschüss.
Was ist geschehen? Fischbacher hatte in der Schweizerischen Ärztezeitung einen satirischen Text aus der fiktiven Perspektive von Bundesrat Alain Berset geschrieben. Das war am 3. Februar. «Die Ostschweiz» hat den Artikel – der übrigens ziemlich gelungen ist – gleichentags mit Erlaubnis der Ärztezeitung übernommen. Trotz der humoristischen Form wurde darin klar, dass der Herisauer Arzt kein Anhänger sämtlicher Coronamassnahmen von Berset und Co. ist.
Aber neu war das nicht. Schon im Mai 2020 hat Fischbacher in einem anderen Beitrag in der Ärztezeitung klargemacht, was er von der aktuellen Coronapolitik hält. Wer in Bezug auf bestimmte Massnahmen, in erster Linie dem Lockdown, kritisch eingestellt ist, dem war Rainer Fischbacher seit langem ein Begriff. Der versteckte seine Meinung nicht, seit Monaten nicht. Er war immer transparent. Jedenfalls, wenn man seine Haltung kennen wollte.
Aber der Ausserrhoder Gesundheitschef Yves Noel Balmer brauchte zuerst einen Artikel in der «Weltwoche», der das Thema aufgriff, bis er das erkannte und ihm das Gipfeli im Halse stecken blieb. Dafür handelt er danach umso überstürzter, wobei das im Fall von Politikern meist «entschlossen» genannt wird. Jedenfalls: Rainer Fischbacher «mussdurfte» sozusagen gehen. Weil er sich in seiner satirischen Form unter anderem indirekt für das Referendum gegen das Corona-Notrecht ausgesprochen habe.
Ein Referendum zu unterstützen, das war einst mal ein grundlegendes Recht eines Schweizer Bürgers. Theoretisch ist es das immer noch. In der Praxis kostet es offenbar schnell mal das Amt.
Im «Tagblatt» erklärte sich Yves Noel Balmer sinngemäss so: Man könne sich als stellvertretender Kantonsarzt nicht gegen Regierungsmassnahmen stellen. Man dürfe diese nicht öffentlich kritisieren.
Von welcher Regierung sprach Balmer eigentlich? Von seiner eigenen? Kaum. Denn wo hatte sich Fischbacher gegen die Ausserrhoder Regierung gestellt? Ist die Rede also vom Bundesrat? Ist die Zustimmung zu einem Referendum auf Bundesebene jemandem, der für einen Kanton tätig ist, grundsätzlich verboten? Oder moralisch untersagt? Steht das irgendwo? Auf welcher Grundlage wurde Fischbacher sanft rausgedrängt?
Der Arzt aus Herisau trägt keinen Aluhut. Er leugnet weder die Existenz des Coronavirus noch spricht er sich grundsätzlich gegen Massnahmen gegen dessen Verbreitung aus. Vermutlich wäre seine Haltung so manchem Massnahmenskeptiker sogar zu milde. Was Fischbacher tat, war lediglich das: Er befand, dass ein Lockdown ein untaugliches Mittel gegen das Virus und umgekehrt sogar eher kontraproduktiv sei, weil Social Distancing die Entstehung von Mutationen fördere.
Es ist eine Position, die man im Wesentlichen auf eine erwünschte Herdenimmunität verkürzen könnte. Diesen Kurs vertreten viele Experten, nur leider wurden sie inzwischen unisono zu «umstrittenen Wissenschaftlern» befördert, weil dieser Weg nicht der Haltung des Bundesrats entspricht. Der will bekanntlich das Virus auf Null ausmerzen, was nach gängiger Lehre schlicht nicht möglich ist, aber natürlich besser klingt.
Nun hätte Fischbacher, wie Regierungsrat Balmer dem Tagblatt zu Protokoll gibt, solche Dinge als Allgemeinmediziner durchaus sagen können. In grenzenloser Grossmut befindet der SP-Politiker, ein einfacher Arzt dürfe sich durchaus gegen die staatlichen Massnahmen stellen. Immerhin etwas, manchmal sind Regierungen ja gnädig. Aber gleichzeitig durfte Fischbacher das eben auch nicht tun, weil diese kritische Haltung nicht mit seiner zweiten Rolle vereinbar sei, derjenigen als stellvertretender Kantonsarzt.
Weder in der Schweizerischen Ärztezeitung noch bei «Die Ostschweiz» hatte der Leserbriefschreiber und Gastautor Rainer Fischbacher auf seine Kantonsarztrolle hingewiesen. Er war dort einfach Dr. med. (Ärztezeitung) und «Arzt in Herisau» (Die Ostschweiz). Er hatte seinen kantonalen Titel also in keiner Weise «missbraucht», um seine Botschaft zu verbreiten. Wenn es dem Allgemeinmediziner Fischbacher erlaubt ist, sich so zu äussern, dem stellvertretenden Kantonsarzt Fischbacher aber nicht, hatte dieser formal alles richtig gemacht.
Wenn es aber egal ist, wie er sich bei einem Leserbrief selbst deklariert und er sowieso gehen muss, was soll dann die angebliche Freiheit, als Arzt dürfe er? Eine solche Konstellation kann man eigentlich nur in der öffentlichen Verwaltung kreieren.
Der zuständige Regierungsrat Balmer befand jedenfalls, Beschlüsse des Bundes oder des Regierungsrats seien von seinem Personal loyal umzusetzen. Das kann man so definieren. Es ist aber nicht bekannt, dass Fischbacher das nicht getan hat. Er hat weder die Arbeit verweigert noch intern gegen solche Beschlüsse geweibelt. Er hat lediglich als Arzt ein satirisches Schreiben aufgesetzt und darin seine persönliche Haltung preisgegeben. Das reichte aber bereits, um ihn genügend unter Druck zu setzen für einen Rücktritt.
Fischbacher ist weg, Balmer ist noch da. Wer ist der Mann, der den verdienten langjährigen Kantonsarzt zu einem Abgang gedrängt hat, für den der beschönigende Wortlaut der «Einigung» gewählt wurde? Vor seiner Wahl war Balmer fürs Marketing eines Kleiderlabels zuständig, dessen Broschüren einem gern den Briefkasten verstopfen. Das Thema Gesundheit kannte er wie wir alle in erster Linie in seiner Eigenschaft als Krankenkassenkunde. Er besetzt seit 2019 den Regierungsstuhl, der historisch der SP «gehört». Erobert hat er ihn nicht gerade im Wortsinn, damals standen bei den Wahlen zwei Kandidaten für zwei vakante Sitze zur Verfügung. In der notorisch personell blutarmen Ausserrhoder SP hatte er, zuvor Präsident der Kantonalpartei, leichtes Spiel.
Die Frage war vor der Regierungswahl also nicht «wen nehmen wir?», sondern eher «wen haben wir überhaupt?»
Das ist nicht despektierlich gemeint, manchmal läuft es so bei Wahlen. Entscheidend ist ja nicht, unter welchen Voraussetzungen man ins Amt kommt, sondern was man danach damit anstellt. Balmer sprach im Zusammenhang mit dem Fall Fischbacher von einer grundsätzlich offenen Diskussionskultur und wichtiger Kritikbereitschaft. Um dann zu beweisen, dass bei ihm beides sehr enge Grenzen hat.
In diesem Sinn müsste sein nächstes Ziel heissen: Ab in den Bundesrat. Dort hat man bekanntlich dasselbe Verständnis von Meinungsfreiheit und Selbstverantwortung. Und auch dort mag man Ärzte nur, wenn sie einen leichten Hang zur Panik haben. Aber sicher keine satirische Ader.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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