Sie leiden, die Künstler dieses Landes. Sie haben denkbar ungünstige Voraussetzungen in der herrschenden Krise. Dafür unser Verständnis - und unser Mitgefühl. Aber: Wären Kunstschaffende nicht in dieser Zeit gefragter gewesen als je? Und was haben sie genau gemacht?
Der aktuellste Streich: Eine Spendensammlung auf einer Crowdfundingplattform. Für Künstler in der ganzen Schweiz. Kann man machen. Schliesslich versuchen auch private Unternehmen, auf diese Weise zu Geld zu kommen. Was war da noch? Eine Art schweizweite Lichtinstallation, um auf die Situation nachgelagerter Branchen aufmerksam zu machen. Eventtechniker, Künstleragenturen und so weiter. Sie haben hartes Brot gefressen in den letzten Monaten, keine Frage. Wer auch immer auf Publikum angewiesen ist, tut sich seit geraumer Zeit schwer. Und hat kein Einkommen.
Lustig daran ist eigentlich nur, dass uns viele Künstlerinnen und Künstler in den Zeiten vor Corona stets zu erklären versuchten, dass sie dieses Geld nicht brauchen. Zumindest nicht das Geld der potenziellen Konsumenten. Fördergelder vom Bund und vom Kanton und Preisgelder irgendwelcher Stiftungen taten es völlig. Die waren hochwillkommen. Etwas zu tun, das zahlende Kundschaft anlockt: Dafür waren sich weite Teile der Kunstszene zu schön. Denn echte Kunst darf nicht etwa anlocken, sondern muss fast schon abstossen. Was den Mechanismen des freien Marktes natürlich zuwider läuft.
Das kann man akzeptieren. Aber umso mehr gilt dann ja: Die Kunst ist nicht da für den Kommerz, sondern um uns als Gesellschaft weiterzubringen. Um uns herauszufordern, dem Konsens die Stirn zu bieten, frech zu sein, anders.
Aber war da denn was? In den letzten Monaten?
Nein, da war nichts. Wirklich, wirklich nichts.
Wieviele Künstler fallen uns ein, die seit Mitte März offensiv auf die Krise reagiert haben? Die sich beispielsweise gegen die geltenden Schutzmassnahmen gestellt haben, und sei es nur aus Prinzip, eine wichtige Disziplin in der Kunst? Wer hat sich getraut, in Kraft gesetzte Verordnungen zu hinterfragen? Wer hat den Bundesrat in den Senkel gestellt, wer hat sich über den drögen Ober-Virus-Papst Koch lustig gemacht? Es fällt mir niemand ein. Es bleibt der Eindruck: Keiner der Kunstschaffenden, die sich sonst als Gegenentwurf zur Norm sehen, wagte es, Gegensteuer zu geben. Denn immerhin könnte irgendwann ja doch mal noch Geld von Väterchen Staat kommen. Da will man doch keine Risiken eingehen.
Kabarettisten beispielsweise. Der Stachel im Fleisch der Mächtigen: So sehen sie sich. Wo waren sie, als die Mächtigen fast täglich neue Direktiven herausgaben? Keine Masken, ein bisschen Masken, total Masken: Was für eine herrliche Spielwiese für Wortkünstler. Es war ja Realsatire in Reinkultur, man hätte fast nichts mehr beifügen müssen! Aber nichts war zu hören. Harmlose Unterhaltungsvideos aus dem Homeoffice und Wehklagen über abgesagte Auftritte war alles, was da kam.
So viele Jahre lang haben wir gehört, wie wichtig die Kunst für unsere Gesellschaft ist. Dass wir an ihr wachsen, dass es diese Gegenstimme zu den Konventionen braucht. Mag ja sein. Aber jetzt hätten wir sie gebraucht, diese mutigen Nonkonformisten. Wo wart ihr denn, Ihr Poetryslammer, Ihr Wort-Punks, Ihr Liedermacher mit Botschaft? Wo habt Ihr Euch eingebracht in die Coronadebatte, mal abgesehen vom Wehklagen über entfallene Einnahmen? Wenn Ihr Euch dem Mammon wirklich so entzieht, wie Ihr das immer sagt, wäre das die Chance gewesen: Zu zeigen, dass es Euch nicht ums eigene Überleben, sondern um die Entwicklung der Menschheit geht. Aber: Da war nichts.
In Deutschland stand der eine oder andere Bühnenkünstler hin und sprach Klartext. Mit schmerzhaften Folgen und Abstrafung in den sozialen Medien. Aber ist das nicht die Butter auf Eurem Brot - dass Ihr weh tut, dass man Euch bekämpft, dass man Euch missversteht?
Was wir lernen: Künstler sind unbequem, solange alles läuft. Förderpreis X kommt rein und sichert das Auskommen für die nächsten Monate, und irgendeine Stiftung finanziert auch die neueste Produktion, für die sich kein Publikum interessiert. Aber dann, wenn wir von einer Krise historischen Ausmasses heimgesucht werden, dann, wenn Eure Zeit da wäre - nichts. Kein kritisches Wort, kein Einfall, kein Widerwort. Einfach nichts. Die einzigen, die sich getrauten, etwas zu sagen, waren leider Gottes die üblichen Verschwörungstheoretiker, die überall den grossen Skandal wittern und nicht ernst genommen werden können. Aber Ihr hättet ja mehr drauf als die, richtig? Und Ihr schweigt?
Und dafür brauchen wir Künstler? Ja dann. Erinnern wir uns daran, wenn es wieder normal läuft.
Nachtrag: Und warum weisen keine anderen Medien auf diesen Widerspruch hin? Ah ja, richtig: Weil sie dasselbe Problem haben wie die Künstler: Der Stachel im Fleisch der Mächtigen - solange es um nichts geht.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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