logo

Zensur in den sozialen Medien

Wie ein Zeitungsartikel bei Facebook zur «Gesundheitsgefährdung» wurde

Beda Stadler ist emeritierter Immunologieprofessor und hat viel Ahnung von der Materie. Eine Zusammenfassung eines Interviews einer Wochenzeitung auf Facebook wurde aber gelöscht, verbunden mit einer Sperre für den Absender. Dieser wehrte sich. Mit Erfolg. Aber die Zensur ist kein Einzelfall.

Stefan Millius am 23. April 2021

Der «Bernerbär» ist eine Wochenzeitung in, nun ja, Bern. Man kann ihn im Briefkasten haben, man kann das E-Paper online lesen, und diverse Texte sind auch direkt in der Onlineausgabe verfügbar. So wie die Titelgeschichte der jüngsten Ausgabe, ein ausführliches Interview mit dem emeritierten Professor für Immunologie Beda Stadler. Der ist immer gut für kernige Aussagen, nicht erst seit Corona. Auch früher schon sprach er gerne Klartext, vor allem dann, wenn es darum ging, mit weit verbreiteten Vorurteilen über Gesundheit und ihre Erhaltung aufzuräumen. Unbekümmert legte er sich auch schon ins Zeug für üppige Kost nach Art der Grossmutter oder Genfood. Vielen Berufskollegen wird es da jeweils schwarz vor Augen.

Stadler, der selbst bereits an Corona erkrankte, kennt bei diesem Thema keine Tabus. Auch nicht im «Bernerbär». So sagt er dort beispielsweise, der PCR-Test könne ein positives Resultat aufweisen, sei aber unbrauchbar, um eine Erkrankung nachzuweisen. Er wiederholt die Forderung, ausschliesslich die Risikogruppen zu schützen, «doch man schickt ja lieber 20-Jährige in Quarantäne und legt eine ganze Gesellschaft lahm.» Wer im Freien mit Maske herumlaufe, sei «Opfer einer falschen Kommunikation», so Stadler, und die Maske diene vor allem dazu, «die Bevölkerung auf eine bestimmte Linie zu trimmen.»

Dass er sich damit nicht nur Freunde macht: Keine Frage. Aber sind seine Aussagen gesundheitsgefährdend für die Öffentlichkeit?

Das sind sie – befand Facebook. Und zwar, nachdem Stephan Sembinelli dort eine Kurzfassung des Interviews publiziert hatte. Sembinelli liefert seit vielen Monaten akribisch Zahlen, Fakten und Statistiken rund um die Coronasituation, unter anderem auch für Wikipedia. Sein besonderer «Service» auf Facebook: Er liefert Zusammenfassungen von Beiträgen aus Zeitungen und anderen Medien, die er für interessant und erhellend hält. Das wissen inzwischen viele Nutzer, seine Veröffentlichungen erreichen immer sehr schnell ein grosses Publikum.

Das war auch im Fall des «Bernerbär»-Interviews der Fall – bis Facebook einschritt. Der Beitrag wurde gelöscht.

Löschung Sembinelli

Auch Beda Stadler, von Stephan Sembinelli informiert, war perplex. «Hat FB wenigstens einen Grund angegeben?», so seine Rückfrage. Er staune, «wer da wohl eine Falschmeldung gefunden hat?»

Für Sembinelli hatte das Ganze – zunächst – noch weitreichendere Konsequenzen. Nicht nur war seine Arbeit verschwunden, Facebook strafte ihn gleich auch noch mit einer Sperre von 30 Tagen ab.

Sperrung Sembinelli

Sembinelli beschwerte sich über den Entscheid via Supportseite von Facebook. Der Beitrag wurde wiederhergestellt, «allerdings mit einer meines Erachtens gar läppischen Begründung», wie er findet.

Rückruf Sembinelli

Unterm Strich, das könnte man nun sagen, ist nicht viel passiert. Allerdings weist Stephan Sembinelli darauf hin, dass er «bei weitem nicht der einzige» sei, dem so etwas widerfahre. Die Sperrung über eine solch lange Zeit sei «jenseits von Gut und Böse und wiegt zusätzlich». Das Vorgehen von Facebook sei aus seiner Sicht straf- und zivilrechtlich relevant. Eine Anwältin bestätigte ihm das und empfahl, ausdrücklich nach dem Verursacher der Sperrung zu fragen, da man diesen strafrechtlich angehen könne. Zivilrechtlich wird der Vorwurf der Gesundheitsgefährdung mit anschliessender Sperrung als Persönlichkeitsverletzung qualifiziert.

Auch den bekannten deutschen Medienrechtsanwalt Ralf Höcker kontaktierte der Solothurner. Dessen wohl bemerkenswerteste Aussage mit Blick auf das, was derzeit vorgeht: Man könne grundsätzlich helfen, sei aber im Moment komplett überlastet.

Dass Facebook rigide vorgeht, wenn es um Corona geht, ist längst nicht mehr zu übersehen. Beiträgen, die sich um das Virus drehen, wird standardmässig ein Link zu weiteren Informationen eingeblendet – natürlich offiziell abgesegneten. Immer wieder stellen Nutzer fest, dass sie vor der Veröffentlichung eines Beitrags in einem Zwischenschritt gefragt werden, ob sie das wirklich tun wollen, denn es gehe ja offenbar beim Geschriebenen um Corona. Und Löschungen sowie Sperrungen sind an der Tagesordnung, wenn jemand die offizielle Darstellung kritisch hinterfragt oder anzweifelt oder Links zu Webseiten postet, die nicht dem Kurs der Regierenden folgen.

Beda Stadler selbst zieht mit Blick auf den Vorgang eine Bilanz, die wie immer kurz und knackig ausfällt: «Zu viel Macht und zu wenig Kompetenz.»

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.