Die Staatsgründerin verliert den Touch zu dem, was einen Staat ausmacht: Die Bürgerinnen und Bürger. Die FDP wirft alle Grundsätze über Bord, die sie einst gross gemacht haben. Parteipräsidentin Petra Gössi geht. Es ist höchste Zeit.
Das hier sollten Gedanken zum schleichenden Niedergang einer grossen Partei werden. Unter anderem mit einer Ursachensuche, die eng mit einer Person verknüpft ist. Mitten in der Arbeit platzte die Bombe: FDP-Präsidentin Petra Gössi kündigte ihren Rücktritt an. Die Zahl der Tränen wird spätestens nach den letzten Wochen überschaulich ausfallen.
Aber es geht nicht nur um Personen. Es geht um Haltungen. Deshalb zuerst doch ganz grundsätzlich.
Es gab in der langen Geschichte der Schweiz schon oft Vorlagen, die diametral allem gegenüber standen, was den Liberalismus auszeichnet. Das soll auch so sein, dafür haben wir die Demokratie. Aber der gestrige Abstimmungssonntag war mit solchen Vorlagen gepflastert – und gleich drei Mal setzte sich die FDP mit grosser Entschlossenheit für diese ein. Am augenfälligsten für die meisten war das beim CO2-Gesetz der Fall, auch wenn es für das Covid-19-Gesetz und die PMT-Vorlage ebenfalls galt.
Was zur Hölle ist mit der FDP los? Das fragten sich viele im Vorfeld. Dank dem Nein zum CO2-Gesetz müsste diese Frage inzwischen auch in der FDP-Zentrale selbst angekommen sein.
Nichts von dem, was da hätte beschlossen werden sollen beim grössenwahnsinnigen Versuch, von der Schweiz aus das globale Klima zu retten, war in irgendeiner Weise liberal. Das Gesetz war ein Generalangriff auf die Eigenverantwortung, eine massive Belastung von Eigenheimbesitzern, ein Angriff auf den Mittelstand. Alles Schlüsselwörter des ehemaligen Freisinns. Aber in diesem Fall legten sich Parteipräsidentin Petra Gössi und ihr innerer, brav auf Kurs gebrachter innerer Zirkel, mit Entschlossenheit gegen diese Werte ins Zeug.
Gegen diese Werte – und wohl auch gegen ihre Basis. Die Analyse steht noch aus, aber wer mit Menschen gesprochen hat in den letzten Wochen, die sich seit Jahren oder Jahrzehnten für die FDP engagieren, der weiss: Mit dem, was die Partei aktuell repräsentiert, können viele nichts mehr anfangen. Das Benzin hätte teurer werden sollen, Flugreisen ebenfalls, Hausbesitzer hätten absurde Vorgaben für viel Geld umsetzen müssen: Das alles ist so weit weg vom liberalen Grundgedanken, dass man sich fragt, wozu es eine Grünliberale Partei braucht, wenn die FDP alles schon im Alleingang erledigt.
Und nun zieht Petra Gössi ihre Konsequenzen. Wobei nein, natürlich nicht. Offiziell. Der Grund für ihren plötzlichen Abgang ist nur, dass wir zwischen zwei Wahlen stehen und es deshalb ein idealer Zeitpunkt ist für einen Wechsel. Was man vor dem Montag nach den Abstimmungen natürlich nicht geahnt hat. Wer weiss denn schon frühzeitig, dass das Jahr 2021 die Mitte zwischen den Wahlen 2019 und 2023 markiert? Das ist schon fast höhere Mathematik. Mit dem Nein zum CO2-Gesetz hat Gössis Verschwinden natürlich rein gar nichts zu tun, wie könnte es auch.
Allerdings interessiert Petra Gössi schon Sekunden nach ihrer Ankündigung niemanden mehr. Die Frage ist, wer nachrückt. Allenfalls sogar jemand, der in Geschichte aufgepasst hat und weiss, wofür die FDP eigentlich stehen müsste? Und gibt es noch solche Leute im inneren Zirkel?
Es gibt sie. Den St.Galler FDP-Nationalrat Marcel Dobler beispielsweise. Aber vermutlich hat er sich bereits disqualifiziert innerhalb der Partei, weil er liberal ist. Was früher Voraussetzung war für eine tragende Rolle in der FDP, das ist heute ein Hindernis.
Aber hier doch noch die offizielle Verkündigung von Gössi. Sie stellte sich vor eine Kamera und sagte, was ihr niemand abnimmt: Dass es eine Art geordneter Abgang ist. Der Verlust des Vertrauens in die Politik hat auch viel damit zu tun, dass man uns für dumm hält. Plötzlich hat die Parteipräsidentin gemerkt, dass ihre berufliche Karriere unter dem politischen Engagement gelitten hat. Das muss sie jetzt dringend ändern. Klar doch.
In den vergangenen fünf Jahren habe ich mich als FDP-Präsidentin intensiv mit meiner politischen Karriere beschäftigt. Wir sind jetzt auf halbem Weg zwischen zwei Wahlen (2019 und 2023) und wir haben eine liberale Strategie zu wichtigen Themen entwickelt. pic.twitter.com/VIoxmkoh4T
— Petra Gössi (@PetraGoessi) June 14, 2021
Eine Antwort auf den Tweet sagt eigentlich alles, was es zu sagen gibt:
«Ihre Arbeit ist gut, das muss ich auch als Grüner schreiben. FDP ist eine volksnahe, demokratische Partei unter Ihrer Führung geworden, die nicht zum Steigbügelhalter der SVP dient. Bravo.»
Ein Lob von grüner Seite: Das ist die FDP im Jahr 2021.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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