Wer fliegt, liefert sich irgendwie aus, muss ab und zu Turbulenzen in Kauf nehmen und fragt sich vielleicht, wer die Person im Cockpit ist, der man sein Leben anvertraut. «Die Ostschweiz» unterhielt sich mit dem in Bottighofen lebenden Piloten Lennart Bostel.
Herr Bostel, jede Art von Verkehrsteilnahme birgt ein gewisses Risiko. Wo steht da das Fliegen in der Sicherheitsstatistik?
Man liest es immer wieder: Das Fliegen gehört statistisch gesehen zu den sichersten Transportarten überhaupt.
Wer sich in ein Flugzeug begibt, legt sein Schicksal in die Hände einer komplett fremden Person, ist ihr ausgeliefert, ohne die Möglichkeit, situativ eingreifen zu können. Fast ein wenig, als läge man auf dem Operationstisch, oder?
Dieser Vergleich ist gar nicht so abwegig. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Fliegen und dem OP-Tisch ist, dass wir Pilotinnen und Piloten bemüht und dafür geschult sind, die Flugreise für unsere Fluggäste zu einem sicheren und angenehmen Erlebnis zu machen.
Zu wie viel Prozent fliegt heutzutage ein Pilot überhaupt noch selbst und wie viel Prozent übernimmt der Autopilot?
Das kann nicht pauschal beantwortet werden, wie viel der Autopilot übernimmt, hängt unter anderem von der Fluglänge und Wetterbedingungen ab. Schlussendlich ist es immer ein Zusammenspiel zwischen Mensch und Technik. Jeder Start erfolgt nach wie vor manuell, die Mehrheit der Landungen ebenfalls. In Ausnahmesituationen, beispielsweise bei sehr geringen Sichtweiten aufgrund von Nebel, ist es Vorschrift, dass die Landung vom Autopiloten durchgeführt wird. In jedem Fall müssen Informationen, die wir von den Fluglotsen erhalten, in den Autopiloten eingespeist werden.
Wie gehen Sie mit dem Gefühl um, die Verantwortung für so viele Menschenleben zu tragen?
Für mich persönlich ist diese Verantwortung eher ein positiver Ansporn und nicht belastend. Alle Piloten durchlaufen ein intensives psychologisches Assessment, bei dem gewisse charakterliche Voraussetzungen und soziale sowie fachliche Kompetenzen getestet werden.
Der deutsche Schriftsteller Jörg Thadeusz schrieb in seinem Roman «Alles schön» die Geschichte eines Flugkapitäns, der unter Flugangst litt. Wie geht es Ihnen, hatten Sie als Passagier auch schon einmal Flugangst?
Nein, Flugangst kenne ich tatsächlich nicht und als Fluggast musste ich noch nie eine kritische Situation überstehen. Aber natürlich kann ich als Pilot Turbulenzen oder seltsam anmutende Geräusche besser einordnen als die meisten anderen Fluggäste.
Wer fliegt, kennt das: Man hat sich gerade entspannt zurückgelehnt, der Wein ist serviert, auf dem Bildschirm läuft ein spannender Film. Dann gehen plötzlich die «fasten seat belts» Zeichen an, es schüttelt, das Flugzeug sackt in ein Luftloch und ein leicht mulmiges Gefühl keimt auf. Dazu besteht aber eigentlich kein Grund, da noch nie ein Flugzeug wegen Turbulenzen abgestürzt ist, stimmt das?
Turbulenzen alleine führen tatsächlich nicht zu einem Absturz. Wem dabei der Air France Absturz von 2009 in den Sinn kommt: Auch hier waren die Turbulenzen nur eine Begleiterscheinung. Der tatsächliche Grund für den Absturz war, dass es inmitten einer Gewitterzelle zu Vereisungen kam und dadurch die Instrumente falsche Anzeigen lieferten. «Luftlöcher», bei denen das Flugzeug tatsächlich absackt, gibt es eigentlich nur ganz selten. In der Regel hält das Flugzeug die Höhe. Als Passagier nimmt man es nur so wahr, wenn zum Beispiel der Gegenwind abnimmt oder dreht. Das Flugzeug passt sich sofort an diese veränderten Bedingungen an, was zur Folge hat, dass die sogenannten G-Kräfte auf den Körper einwirken.
Welche Gedanken empfehlen Sie Passagieren in solch einer Situation?
Stellen Sie sich einfach vor, dass Sie in einem Auto über Pflastersteine fahren und es dabei ziemlich holprig zu- und hergeht, Sie aber wissen, dass dies die Sicherheit nicht beeinträchtigt.
Haben Sie in Ihrer Laufbahn schon riskante oder besonders schwierige Situationen erlebt?
Zum Glück blieb ich in den 20 Jahren meiner Ausbildung und Tätigkeit als Pilot von technischen Defekten verschont. Lediglich einmal erlebte ich kurz nach dem Start in Genf einen Vogelschlag und musste umkehren. Im Cockpit wurde uns zwar keine Beschädigung angezeigt, aber strukturelle Schäden kann man in so einem Fall nicht ausschliessen, daher gehört es zum Standardverfahren, umzukehren. Ein anderes Mal hatte ich auf einem Flug nach Prag einen medizinischen Notfall. Eine Passagierin wurde ohnmächtig und wir mussten daher in Prag schnell Landepriorität anfordern, um so rasch wie möglich eine medizinische Versorgung zu ermöglichen.
Stichwort medizinisches Problem an Bord: Ab und zu werden während eines Flugs an Bord Ärzte gesucht, die aber über keinerlei medizinische Ausrüstung verfügen und Bedenken wegen Haftpflichtfällen haben könnten.
In so einem Fall ist vonseiten der Swiss ein Haftungsausschluss gewährleistet. An Bord befindet sich immer ein Defibrillator und ein Emergency Koffer. In den meisten Fällen handelt es sich glücklicherweise um eher harmlose Kreislaufprobleme.
Welches Ereignis in der Luft fürchten Sie am meisten?
Fürchten ist das falsche Wort. Ich habe Respekt vor Wetterereignissen, wie zum Beispiel Gewitter oder starkem Schneefall. Ein zunehmendes Problem stellen heutzutage Drohnen dar. Kürzlich mussten die Flughäfen in Frankfurt und London gesperrt werden, weil grössere Drohnen in der Nähe gesichtet worden waren.
Das Jetlag ist für Reisende oft schwierig zu bewältigen. Nach einer Reise in die USA oder zurück zum Beispiel ist man nicht selten erst einmal für zwei Tage etwas «platt». Wie gehen Piloten mit diesem Problem um?
Das ist sehr individuell. Ich versuche, auf meinen Körper zu hören. Gesunde Ernährung, Bewegung und nach Möglichkeit Vorschlafen sind dabei wichtig. Schlafmittel sind in unserem Beruf keine Lösung, da sie nicht nachhaltig sind.
Was, wenn im Cockpit «die Chemie» nicht stimmt? Wie geht man mit einer solchen Situation um?
Als Kapitän versuche ich stets eine gute Arbeitsatmosphäre zu schaffen, um ein professionelles Arbeiten im Team zu ermöglichen. Dennoch kann es schon mal vorkommen, ich selbst habe das jedoch sehr selten erlebt. Stimmt die Chemie nicht, dann sollte man sich auf die Fachebene beschränken. In Ausnahmefällen können Besatzungsmitglieder beantragen, nicht mehr gemeinsam eingesetzt zu werden.
Es kursieren immer wieder Gerüchte, dass viele Piloten ein Alkoholproblem hätten. Tatsächlich nur ein Gerücht? Müssen Piloten vor dem Abflug einen Alkoholtest machen?
Es können unangekündigte Alkoholtests durchgeführt werden. Ich habe in meiner 20-jährigen Laufbahn allerdings noch nie einen Fall von Alkoholmissbrauch erlebt.
Wie steht es mit der seelischen Gesundheit? Wir alle erinnern uns an den erweiterten Suizid des Germanwings Co-Piloten vor rund acht Jahren. Müssen sich Piloten regelmässig psychologisch abklären lassen?
Alle Pilotinnen und Piloten müssen sich jährlich einer medizinischen Untersuchung unterziehen, welche die seelische Gesundheit einbezieht.
Fliegen ist ja heutzutage im Rahmen der Klimadiskussionen «verpönt». Wie vereinbaren Sie diese Problematik mit Ihrem Gewissen? Werden Sie im Bekanntenkreis häufig darauf angesprochen?
Ja, es kommt schon vor, dass dies im privaten Umfeld diskutiert wird. Aber dort ist auch bekannt, dass gerade die Swiss viel Geld unter anderem in eine moderne, energieeffiziente Flotte oder in CO2-neutralere Treibstoffe investiert. Auch ich versuche, meinen Teil dazu beizutragen und möglichst wenig Emissionen zu verursachen. Ich analysiere beispielsweise das Wetter sehr genau oder versuche im Sinkflug die Triebwerke so lange es geht im Leerlauf zu halten.
Warum sind Sie Pilot geworden, was fasziniert Sie an diesem Beruf besonders?
Ich habe mich schon als Schüler für diesen Beruf begeistert und früh beschlossen, Pilot zu werden. Ein gewisses Vorbild dafür war mein Onkel, der ebenfalls Pilot ist. Mich begeistert das Zusammenspiel von Technik, der Arbeit im Team und auch der Möglichkeit, fremde Kulturen kennenzulernen.
Astrid Nakhostin (1959), freischaffende Journalistin, hat Betriebswirtschaftslehre studiert und war 26 Jahre lang als Marketingleiterin bei St.Gallen-Bodensee Tourismus tätig. Die letzten fünf Jahre gehörte sie dem Redaktionsteam des Swissregio Media Verlags an, zuletzt als Redaktionsleiterin der Bodensee Nachrichten.
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