Der Gewerbeverband Kanton St.Gallen hat offen gelegt, welche Kandidaturen im Wahlherbst 2019 seine Unterstützung haben. Die Auswahl sorgt bei einigen Leuten für Kritik. Bemängelt wird, dass nicht alle Anwärter «echte» Gewerbevertreter sind. Beim Verband sieht man das anders.
Die Unterstützung durch das St.Galler Gewerbe bei den Nationalratswahlen am 20. Oktober 2019 ist nicht unwichtig. Der Gewerbeverband ist mitgliederstark und gut vernetzt. Die zwölf Personen, die vom KGV aktiv empfohlen werden, erhalten auf verschiedenen Kanälen zusätzliche Präsenz.
Nun steht fest, wer dieses Privileg erhält; wir haben berichtet, die Namen sind hier zu finden. Einige sind allgemein unbestritten. Aber die Mehrheit der Kandidaten wird hinterfragt. Uns haben zu diesem Thema diverse Leserreaktionen erreicht, die sich kritisch mit der Auswahl befassen.
Es gibt «harte» Kriterien, die man schlecht kritisieren kann, weil sie als Spielregeln gesetzt sind. Kandidierende müssen einer bürgerlichen Partei angehören sowie Mitglied beim KGV oder einem örtlichen Gewerbeverein oder einem angeschlossenen Berufsverband angehören. Wer das nicht vorweisen kann, fliegt raus.
Aber: Darüber hinaus wird ein «gewerblicher Hintergrund» und ein «klares Bekenntnis zu gewerblichen Anliegen» erwartet, wie es beim KGV heisst.
Und hier wird die Trennlinie unscharf.
Konkret moniert wird beispielsweise mehrfach die Unterstützung für den St.Galler CVP-Parteipräsidenten Patrick Dürr und seine Parteikollegin Yvonne Suter. Beide stehen im Sold einer Grossbank - Dürr bei der UBS, Sutter bei der CS - , die man schwerlich als Gewerbe bezeichnen kann.
Mit dem Rorschacher Stadtpräsidenten Thomas Müller (SVP) und dem Tübacher Gemeindepräsidenten Michael Götte (SVP) sind gewissermassen zwei Vertreter der öffentlichen Hand auf der Liste, wobei Götte die Gemeinde in Teilzeit führt und daneben bei der IHK arbeitet. Auch hier wird in diversen Rückmeldungen in Frage gestellt, ob sie mit diesem Profil Gewerbevertreter seien.
Susanne Vincenz-Stauffacher, aktuell als Ständeratskandidatin im Rennen, steht im Oktober auf der Nationalratsliste der FDP. Die Rechtsanwältin betont stets, sie vertrete viele gewerbliche und KMU-Kunden und schöpft daraus Gewerbenähe. Aber auch sie gehört zu den Namen, die in den Rückmeldungen kritisch hinterfragt werden. An Anwälten gibt es keinen Mangel auf den Listen, aber nur eine wird berücksichtigt.
Mit dem Rheintaler Stefan Britschgi (FDP) wird auch ein Landwirt vom Gewerbeverband unterstützt. Allerdings kein gewöhnlicher, Britschgi hat seinen Hof in Diepoldsau zum regelrechten Zentrum des regionalen Gemüseanbaus ausgebaut. Aber auch hier setzen einige Leute ein Fragezeichen bezüglich der Bezeichnung «Gewerbler», vor allem, weil Britschgi ohnehin schon mit starker Unterstützung aus der Landwirtschaft rechnen darf - einer mächtigen Lobby.
Und schliesslich gibt es auch kritische Bemerkungen zur Unterstützung von Olma-Direktor Nicolo Paganini (CVP), dessen berufliche Leistung kaum jemand anzweifelt, bei dem aber ebenfalls moniert wird, dass er kein echter Gewerbevertreter sei. Wobei hier unstrittig ist, dass er es direkt und oft mit dem Gewerbe zu tun hat.
Summa summarum sind es sieben von zwölf Kandidierenden, welche der KGV aktiv unterstützen wird und bei denen verschiedene Beobachter das wichtigste Kriterium in Frage stellen: Die Nähe zum Gewerbe.
Mit der Kritik konfrontiert, weist Felix Keller, Geschäftsführer des Kantonalen Gewerbeverbandes, auf ein weiteres wichtiges Kriteriumfür eine Unterstützung hin: Kandidaten müssen nicht nur Verbandsmitglied sein und dem Gewerbe nahestehen, sondern auch «gewisse Wahlchancen» haben. Keller: «Auf dieser Basis beurteilen wir die Bewerbungen.»
Das Stichwort «Bewerbungen» ist entscheidend: Es werde nicht alle Kandidierenden unter die Lupe genommen, sondern nur diejenigen, die sich aktiv um eine Unterstützung bemühen. Die bürgerlichen Parteien wurden vorab mit dem Konzept des Gewerbeverbands bedient und konnten danach selbst ihre Anwärter darüber informieren – danach lag der Ball bei diesen.
Die Auswertung zeigt: Nicht alle Kandidierenden von CVP, FDP und SVP stellten sich dem Verfahren, und der eine oder andere fiel aus den Traktanden, weil die «harten» Kriterien nicht erfüllt waren. Danach war es eine Beurteilungsfrage. In der Auswahl blieben letztlich 18 Personen, die sich bewarben und die Grundbedingungen erfüllten; sechs mussten also über die Klinge springen, da nur zwölf unterstützt werden können.
Der eine oder andere Kandidat kann seit vielen Jahren auf die Unterstützung des KGV zählen, so beispielsweise Thomas Müller. Dass er nun beim erneuten Antreten nicht einfach aussortiert wird, liegt vermutlich auf der Hand. Bankerin Yvonne Suter wiederum ist Vorstandsmitglied des Gewerbeverbandes. Ob dieser Umstand ihr in diesem Fall «geholfen» hat, kann nur vermutet werden, geschadet hat es kaum.
Der KGV hatte bei der Auswahl vermutlich einen Balanceakt zu absolvieren. Denn es ging nicht nur um Personen, sondern auch um Parteien. Die finale Liste weist exakt je vier Anwärter aus FDP, CVP und SVP auf - perfekt ausgewogen also. Es wäre wohl schlecht angekommen, wenn hier eine Partei besonders bevorzugt beziehungsweise benachteiligt worden wäre. Und es ist anzunehmen, dass diesem Faktor ebenfalls Beachtung geschenkt wurde.
Das heisst: Die Mission «allen recht getan» war nicht ganz einfach. Eine elegante Lösung wäre es vielleicht, keine volle Liste anzustreben und nur Leute zu unterstützen, die nach dem verbreiteten Verständnis Gewerbetreibende sind. Oder aber man gibt auch Leuten eine Plattform, welche dem Gewerbe sichtlich nahestehen, aber nach allgemeiner Einschätzung keine riesigen Wahlchancen haben. Das aber wäre eine Neuausrichtung, die wohl auch nicht bei allen auf Wohlwollen stossen würde.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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