Wäre der rumänische Autor Eugène Ionesco ein Schweizer gewesen, spräche unser Gastautor nicht von woken Nashörnern, sondern von woken Hornochsen. Was das mit Reparationszahlungen an Afroamerikanern zu tun hat, erläutert er in seinem Beitrag.
Reparationen in Höhe von fünf Millionen US-Dollar pro Person für ausgewählte Afroamerikaner - diese Forderung hat ein Regierungskomitee aus San Francisco vor einem Monat publik gemacht. Reparationen bedeuten, jemanden für ihm entstandenen Schaden auszugleichen. Interessant ist es dementsprechend zu lesen, für welche Schäden das Regierungskomitee die infrage kommenden Personen entschädigen will.
So soll jedermann Reparationen erhalten, der, nebst den Kriterien in San Francisco zu wohnen oder geboren worden zu sein, entweder selbst aufgrund eines Drogendeliktes im Gefängnis sass oder dessen Vorfahren aufgrund eines Drogendeliktes im Gefängnis sassen. Auch soll jedermann fünf Millionen US-Dollar bekommen, der ein direkter Nachfahre eines amerikanischen Sklaven zurzeit vor 1865 ist. Zusätzlich solle sich die Person bereits seit zehn Jahren selbst auf ihrem Pass als Afroamerikaner identifizieren.
Wer es in boyband-mässiger Sprache ausdrücken möchte, könnte Vorschläge wie jenen als das Comeback nach dem Break-Up der Rassengesetze auslegen. So zieht die aus den USA stammenden, sich selbst benennende woke Bewegung, mit Volldampf vorwärts, um die Leute endlich wieder nach Rasse, Geschlecht, oder sonstigen Kriterien einteilen zu dürfen. Was klingt, wie ein Fiebertraum der starken Männer mit Glatze oder zu kleinem Schnurrbart der Zwischenkriegsjahre, wird heutzutage von woken Aktivisten wie beispielsweise Yusra Khogali wieder aufgenommen. Yusra Khogali, Mitbegründerin der Black Lives Matter Bewegung in Toronto, sieht «Weisse», sprich ethnisch kaukasische Personen, als Leute mit «rezessiven genetischen Defekten». Auf Twitter veröffentlicht die lokale Meinungsführerin der Bewegung, dass sie Allah darum bitte, ihr die Kraft zu geben, heute dem Drang «Weisse» zu töten doch zu widerstehen vermöge.
Solche Äusserungen sind selbstverständlich haarsträubend, jedoch ist es wichtig, dass richtig mit ihnen umgegangen wird. So wäre es völlig falsch, auf solche Äusserungen mit Trotzreaktionen zu reagieren, und sich auf die offenkundig rassistischen Äusserungen der woken Aktivisten einzulassen. Auch wäre es völlig falsch, nun jene woke Aktivistin als Repräsentantin für eine grössere Masse an Afroamerikanern oder Muslimen zu sehen. Stattdessen müssen die zuvor berichteten Geschehnisse als Kern einer Bewegung angesehen werden, die es zum Ziel hat, Menschen wieder in Kasten einzuteilen, die Kasten zu beschriften, und sie daraufhin hierarchisch zu stapeln. Die liberale, demokratische und freiheitliche Gesellschaft ist jedoch farben- und geschlechterblind, und muss, um jene Adjektive zu verdienen, resistent gegen solche Vorschläge sein.
Denn, die woke Bewegung bringt viele Vorschläge, da sie sich selbst gerne als radikal fortschrittlich sieht. Dabei ist sie leider meist nicht so fortschrittlich, wie sie es von sich selbst zu glauben mag. Um ihre Ziele zu erreichen, greifen auch die woken Aktivisten auf die klassischen Mittel anderer, zu vorhergehenden radikalen Bewegungen zurück.
Wie bei älteren radikalen Bewegungen, zensieren die Aktivisten der Bewegung jegliche Äusserungen, die ihnen nicht entsprechen, und die sie selbst zensieren können. In den amerikanischen Unis, wo Wokeness längst die Überhand gewonnen hat, werden bereits seit längerem Sprachrichtlinien herausgegeben, mit Vorgaben zu welchen Wörtern dieses Jahr nicht mehr sagbar sind und welche erst ab nächstem Jahr verboten werden. Seit diesem Januar haben es in den Richtlinien der Stanford Universität auch die Wörter «schwarzes Schaf», «Schwarzmarkt», «bevorzugtes Pronomen» und «den Abzug drücken» auf die Liste geschafft.
Jedoch gibt es bedauerlicherweise noch unangenehme Teilnehmer in der Gesellschaft, die sich (noch) nicht völlig der woken Ideologie verschrieben haben. So beispielsweise die Verbrecher der New York Times, die es infrage stellen, ob man Jungen im Teenageralter wirklich gleich die Genitalien entfernen sollte, wenn sie diesen Wunsch mal geäussert hatten. Oder, weil es die unerhörten Journalisten der «New York Times» anzweifeln, ob der Mädchensport tatsächlich davon profitiere, wenn auch jeder Mann mitmachen dürfe. Die woke Bewegung reagierte darauf vor ein paar Tagen mit einem ihr bereits eingefleischten Reflex - in einem offenen Brief forderten sie die Zeitung dazu auf, ihre woke-kritische Berichterstattung einzustellen.
Mit der Gängelung der Presse und der Zivilgesellschaft hat es die woke Bewegung geschafft, jegliche Kritik an ihr zu einem potenziell karrierebeendenden Event für den Kritiker zu gestalten. So beispielsweise passiert für die tragisch berühmt gewordene Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht, die sich gegen die Umdeutung des Holocausts durch woke Aktivisten gewehrt hat. Als Konsequenz, wurde eine Schmierkampagne im Netz gegen sie hochgefahren. Die Humboldt-Universität in Berlin hat daraufhin ihren dortig geplanten Vortrag abgesagt. Ähnlich ging es Erika López Prater an der Hamline Universität in den USA, die es wagte, in ihrem Kurs über Kunst der Welt, eine historische Malerei mit Bildnis des Propheten Mohammed zu zeigen. Die Universität entschied sich daraufhin, die als islamophob gekennzeichnete, in Ungnade gefallene Lehrerin nicht mehr zu beschäftigen.
Im Theaterstück Rhinocéros, beschreibt der rumänisch-französische Autor Eugène Ionesco, gemäss der Anne Quinney'schen Interpretation, seine Erfahrungen an der Universität in Bukarest in der Zwischenkriegszeit. Bildlich und mutmasslich autobiografisch stellt er sinngemäss dar, wie sich an seiner Universität zuerst einzelne, und dann viele, und schliesslich alle Professoren und Studenten in Nashörner verwandelten, bis er als einziger Mensch unter den Nashörnern übrigblieb. Das Nashorn ist dabei sinnbildlich für die Anhänger der radikalen und rassistischen Ideologie, welche in Rumänien dazumal an Popularität gewann. Wäre das Stück auf Deutsch verfasst worden, hätte der Autor wohl eher das Wort Hornochse anstatt Nashorn verwendet.
In der Schweiz ist die Zahl der Nashörner vergleichsweise noch klein. Jedoch, wie es Ionesco in seinem Stück so schön darstellt, reichen bereits einzelne Nashörner dazu aus, beträchtlichen Schaden anzurichten. Ein Schweizer Beispiel, das bei uns stark durch die Medien kursierte, wäre beispielsweise die Nashörner des Restaurants Brasserie, die der Band «Lauwarm» ihr Recht darauf, sich die Haare zu schneiden, wie sie wollen, aufgrund ihrer Hautfarbe absprachen. Auch lokal an der Universität St. Gallen hat man inzwischen mit Nashörnern zu kämpfen. So haben gewisse Nashörner mit Professorentitel, die Wahl von Prof. Ammann zum neuen Rektor der HSG infrage gestellt, weil er sich mit dem falschen Geschlecht identifiziert. Prof. Ammann ist in seiner Wahl daran zwar nicht gescheitert, beim Zürcher Ständerat Daniel Jositsch war sein Geschlecht für die SP-Parteileitung jedoch Grund genug, ihn gar nicht erst zur Wahl zum Bundesrat aufzustellen.
Damit wir in der Schweiz eine liberale, demokratische und freiheitliche Gesellschaft bleiben können, ist es wichtig, dass wir die Nashörner konsequent im Status der Nichtgesellschaftsfähigen beibehalten. Denn ansonsten mag es uns geschehen wie Ionesco, der am Schluss als einziger Mensch unter einer Horde von Hornochsen mit menschenfeindlichen Vorstellungen über Rasse und Geschlecht übrigblieb.
Benjamin L. Brückner ist der Inhaber von Brückner Data and Technology Consulting und Gründer der Crypto Society St. Gallen
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