Infektionen in Spitälern sollen noch deutlicher gesenkt werden. Der Bund hat deshalb einen Fahrplan erarbeitet. Doch wie realistisch sind die Ziele? Und welche Folgen hat dies für die Ostschweizer Spitäler?
Lungenentzündungen, Wundinfekte oder Infektionen im Zusammenhang mit Gefäss- und Blasenkathetern – all diese und weitere Krankheiten treten bei rund sechs Prozent aller Patientinnen und Patienten Jahr für Jahr in Spitälern ein. Dies zeigt eine Erhebung der Expertenorganisation Swissnoso von 2022 auf. Der Bund, Kantone und Spitäler haben deshalb einen gemeinsamen Fahrplan erarbeitet, um diese Zahlen deutlich zu senken.
Die öffentlichen und weitere Spitäler der Kantone St.Gallen und Appenzell Ausserrhoden arbeiten im Bereich der Infektionsprävention eng mit dem Kantonsspital St.Gallen als Referenzzentrum des Ostschweizerisches Kompetenznetz Infektiologie zusammen. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit wird bereits jetzt daran gearbeitet, im Spital erworbene Infektionen zu reduzieren.
Die neu erschienenen «Operative Ziele und Umsetzungshilfen für die Reduktion von healthcare-assoziierten Infektionen in Schweizer Akutspitälern» werden unterstützend helfen, die Thematik auf Spitalebene präsent und sichtbar zu machen, sagt Matthias Schlegel, Stellvertretender Chefarzt, Leiter Infektionsprävention der Klinik für Infektiologie, Infektionsprävention und Reisemedizin am Kantonsspital St.Gallen. «Sie tragen dazu bei, das nationale Ziel zu erreichen, Infektionen weiter zu reduzieren und so die Patientensicherheit zu erhöhen.»
Matthias Schlegel, das Ziel ist, die Anzahl Infektionen bis 2030 auf fünf und bis 2035 auf vier Prozent zu senken. Wie realistisch ist dieses Ziel?
Aus der medizinischen Fachliteratur wissen wir, dass 30 bis 50 Prozent der im Spital erworbenen Infektionen reduziert werden können. Aus dieser Perspektive ist das gesamtschweizerische Ziel realistisch, die Rate von im Spital erworbenen Infektionen von knapp 6 Prozent bis 2030 auf 5 Prozent und bis 2035 auf 4 Prozent zu senken.
Das tönt nach einem «Aber».
Ein relevanter Anteil der im Spital erworbenen Infektionen kann nicht verhindert werden – was vor allem mit patientenassoziierten Faktoren zu tun hat, die das Risiko für Infektionen erhöhen. Dazu gehören beispielsweise das Alter, Grunderkrankungen, das Immunsystem beeinflussende Therapien. Es ist damit zu rechnen, dass diese Risikofaktoren in der Bevölkerung zunehmen und damit der verhinderbare Anteil der Infektionen kleiner wird, und die Infektrate damit weniger stark reduziert werden kann.
Gibt es weitere Folgen?
Es ist in Zukunft mit der Verschiebung von Eingriffen und Therapien in den ambulanten Bereich zu rechnen. Damit wird das hospitalisierte Patientenkollektiv in Zukunft im Vergleich zu heute wahrscheinlich schwerer krank sein, was das Risiko für nichtverhinderbare Infektionen im Spital ebenfalls erhöht. Allerdings könnten die in Zukunft gemessenen Infektraten mit geeigneten statistischen Methoden für diese Faktoren korrigiert werden.
Gibt es allenfalls aktuelle Zahlen aus der Ostschweizer Spitallandschaft, wie oft solche Infektionen auftreten? Welche Entwicklungen stellen Sie fest?
Die Spitäler, die im Netzwerk OSKI eingebunden sind, nehmen regelmässig an der nationalen Punktprävalenzstudie teil. Dabei zeigt sich, dass die Infektraten sich nicht unterscheiden im Vergleich zu anderen Schweizer Spitälern und stabil bis leicht rückläufig sind. Allerdings: Die Messmethode, die für das Erreichen dieses nationalen Ziels verwendet wird, ist auf nationaler Ebene gut verwendbar für die Messung des Erfolgs. Für mittelgrosse und kleine Spitäler ist diese Messmethode nicht oder nur bedingt verwertbar, da aufgrund der kleinen Fallzahlen ein statisch signifikanter Unterschied – sowohl bei erhöhter als auch bei erniedrigter Infektrate – meist nicht nachweisbar ist.
Was wurde in den Ostschweizer Spitälern bereits umgesetzt, um die Gefahr zu senken?
An den im Netzwerk OSKI beteiligten Spitäler besteht eine Infektionsprävention, die die Aufgabe und das Ziel hat, Infektionen zu reduzieren – schon seit vielen Jahren. Dazu erstellt sie Richtlinien, führt Schulungen durch, und es bestehen Programme beziehungsweise werden Programme aufgebaut, um im Spital erworbene Infektionen weiter zu reduzieren. Dazu werden die spezifischen Infektionen über die Zeit überwacht und mit den involvierten Bereichen Interventionen durchgeführt, um die Infektraten zu reduzieren.
Wo lauern denn überhaupt die grössten Gefahren in Bezug auf eine solche Infektion? Von welchen Krankheiten reden wir?
Die häufigsten im Spital erworbenen Infektionen sind postoperative Wundinfekte, Lungenentzündungen bei beatmeten und nichtbeatmeten PatientInnen, katheterassoziierte Harnwegsinfektionen und katheterassoziierte Bakteriämien, also «Blutvergiftungen», und infektiöse Durchfallerkrankungen mit Clostridioides difficile im Zusammenhang mit Antibiotikaeinnahme. Je nach Schweregrad und Art der Infektionen bedeutet das auf Patientenebene weitere Abklärungen, (erneute) Eingriffe und lange Therapien mit Antibiotika, verlängerte Hospitalisationen und Rehabilitationsaufenthalte, in schwersten Fällen erhöhte Sterblichkeit. Auf Spitalebene und Ebene Gesundheitssystem sind diese Infektionen mit vermehrten Aufwänden und damit relevanten Kosten verbunden. Zusätzlich trägt der vermehrt notwendige Einsatz von antibakteriellen Substanzen auf epidemiologischer Ebene zur Resistenzentwicklung bei.
Die einzelnen Spitäler legen gestützt auf den nationalen Fahrplan nun je eigene, ihrer jeweiligen Situation angepasste Ziele fest und setzen Prioritäten aufgrund ihrer Bedürfnisse. Wie sieht die Situation in den Ostschweizer Spitälern aus?
Damit die Empfehlungen gezielt umgesetzt werden können, müssen die entsprechenden Raten der verschiedenen Infektarten sowie die Adhärenz mit den infektpräventiven Massnahmen evaluiert werden. Nur so können gezielte anerkannte Massnahmen mit den involvierten Bereichen implementiert werden. Entsprechend gibt es einen Fahrplan und Ziele der Infektionsprävention dazu. Diese orientieren sich auch an den strukturellen Mindestanforderungen für die Prävention und Bekämpfung dieser Infektionen und werden von den übergeordneten Hygienekommissionen der Spitäler verabschiedet.
Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Umsetzung dieser Massnahmen?
Eine der grössten Herausforderungen in den Spitälern ist es, die Kenngrössen für Infektionen und Umsetzung der infektpräventiven Massnahmen zu generieren, damit gezielte Massnahmen zur Reduktion von Infektionen eingesetzt werden können. Dies geschieht schweizweit und bei uns grösstenteils manuell und ist mit grossen personellen Ressourcen verbunden. So arbeiten wir und weitere Spitäler in der Schweiz daran, diese wichtigen Daten semiautomatisiert zu erfassen, um damit entsprechend vermehrt Ressourcen bei der Umsetzung von infektpräventiven Massnahmen einsetzen zu können. Auch hier ist es wie in anderen Bereichen des Gesundheitssystems wichtig, die Digitalisierung rasch voranzutreiben, damit Patientinnen und Patienten davon profitieren können.
Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen den Ostschweizer Spitälern, den Kantonen und dem Bund bei der Umsetzung dieser Massnahmen?
Es besteht auf Ebene der Infektionsprävention/der Spitäler ein regelmässiger Austausch zu den kantonalen und nationalen Behörden. Zudem sind Mitarbeitende der Infektionsprävention des KSSG auf verschiedenen Ebenen in der Mitarbeit der nationalen Gremien involviert.
(Bild: PD)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.