«Hoi Edi», rufen Edi Ulmer im Volg wildfremde Menschen zu. Das Felbemer Urgestein ist mit so vielen per Du, dass er sich längst nicht mehr alle Namen merken kann. (Bild: Stefan Degen/Kirchenbote)
Im ganzen Land schrumpfen die Kirchen. Im ganzen Land? Nein! Ein von unbeugsamen Gläubigen bevölkertes Thurgauer Dorf hört nicht auf, dem Trend Widerstand zu leisten. Zu Besuch in Felben, der Kirchgemeinde, die wächst.
1040 Mitglieder zählt die reformierte Kirchgemeinde Felben. Tendenz steigend. Vor 30 Jahren, im Jahr 1992, waren es 976. Vor allem in den vergangenen beiden Jahren hat das Wachstum Fahrt aufgenommen - nach Jahren der Stagnation. Damit gehört Felben zu den wenigen Kirchgemeinden der Schweiz, die wachsen.
«Hoi Edi», rufen Edi Ulmer im Volg wildfremde Menschen zu. Das Felbemer Urgestein ist mit so vielen per Du, dass er sich längst nicht mehr alle Namen merken kann. (Bild: Stefan Degen/Kirchenbote)
Kaum einer kennt die Kirche Felben so gut wie Edi Ulmer. Das 73-jährige Urgestein wohnt seit 46 Jahren im Dorf und ist seit 15 Jahren Präsident der Kirchenvorsteherschaft. Er ist mit so vielen Felbemern per Du, dass er sich längst nicht mehr alle Namen merken kann. «Hoi Edi», rufen ihm im «Volg» allenthalben wildfremde Menschen zu. Wo sieht er die Gründe für die Entwicklung?
Nathanja bewegt sich im Dorf wie ein Fisch im Wasser
«Die Gemeinde explodiert», sagt er. Es werde gebaut wie wahnsinnig. Um etwa ein Viertel ist die Bevölkerung in den vergangenen zehn Jahren gewachsen. Das sei aber nur ein Aspekt: «Ein anderer Grund ist unsere Pfarrerin. Nathanja bewegt sich im Dorf wie ein Fisch im Wasser und geht auf die Menschen zu. Das ist extrem wichtig.»
Nathanja Baumer-Schuppli, 28-jährig, hat vor zweieinhalb Jahren in Felben ihre erste Pfarrstelle angetreten. Ulmers Lob wischt sie beiseite und verweist auf das Evangelium: «Ich glaube, die Botschaft Jesu Christi ist zeitlos: Dass Jesus lebt.» Das spreche die Menschen an.
Die ältesten Grundmauern der Kirche Felben sind vermutlich mehr als 1000 Jahre alt. (Bild: Stefan Degen/Kirchenbote)
«Der Gottesdienst ist das Herzstück unserer Gemeinde», schreibt die Kirche auf ihrer Website. Ist das ernst gemeint, angesichts der gängigen medialen Bilder leerer Kirchbänke? «Jawohl», sagt die Pfarrerin mit Überzeugung. «Der Gottesdienst ist der Ort, wo wir zusammenkommen und zusammen beten. Das stärkt unsere Gemeinschaft.»
Schlafdorf statt ländlicher Idylle
In Felben herrscht keine ländliche Idylle. «Felben ist ein Schlafdorf», sagt Baumer-Schuppli. «Arbeit, Einkauf, Freizeit: Alles ist nach Frauenfeld ausgerichtet.» Laut einer Sinus-Studie aus dem Jahr 2011 weist Felben einen weit überdurchschnittlichen Anteil von «Eskapisten» auf. Da seien spassorientierte jüngere Menschen, meist Männer, die sich von der «Spiessergesellschaft» distanzieren wollten – nicht gerade die klassische Klientel der Reformierten. Ulmer differenziert: «Wer nach Felben zieht und zur Miete wohnt, bleibt oft nicht lange und sucht kaum Anschluss.»
Anders sei das bei Zuzügern, die Wohneigentum erwerben. Viele kommen durch die Taufe der Kinder in Kontakt mit der Kirche, manche über Nachbarn oder Freunde. Verläuft der erste Kontakt positiv, kommen sie auch später wieder in die Kirche.
Vier Frauen lassen Kirchen-Café wieder aufleben
Was tut denn die Kirche, um Neuzuzüger zu begrüssen? Ein Brief, ein Präsent, ein Besuchsteam? Nichts dergleichen. «Es steht auf meiner Pendenzenliste», gesteht Baumer-Schuppli. Aber die Ressourcen seien halt begrenzt.
Am Gartenzaun des Pfarrhauses wirbt ein Plakat für den Alphalive-Glaubenskurs. (Bild: Stefan Degen/Kirchenbote)
Es finden diejenigen Aktivitäten statt, für die sich jemand engagiert. So haben sich vor einem Jahr vier Frauen gemeldet, um das Kirchen-Café wieder aufleben zu lassen. Aus einem Alphalive-Glaubenskurs hat sich ein Hauskreis gebildet. Auch die Seniorennachmittage und die Jugendgottesdienste erfreuen sich grosser Beliebtheit.
Eine besondere Funktion kommt dem «Kirchenboten» zu, der Zeitschrift der evangelisch-reformierten Kirche. Dieser wird nämlich nicht per Post verschickt, sondern von Schulkindern verteilt. «Dadurch haben wir ein Gespür, wo unsere Leute sind», erklärt Ulmer. Und die Schülerinnen können sich ein Taschengeld verdienen. «Sie sind eingebunden, haben einen Bezug zur Kirche», so Ulmer.
Angebote wie anderswo auch
Seniorennachmittag, Jugendgottesdienst, Kirchenkaffee: Dieses Repertoire ist in ähnlicher Form in vielen Kirchgemeinden anzutreffen. Doch – begünstigt durch den Bauboom – gelingt es der Kirche Felben, Mitglieder bei der Stange zu halten und neue anzusprechen. Weshalb?
Da ist eine junge Pfarrerin, die ihre Begeisterung für das Evangelium unaufdringlich zum Ausdruck bringt. Eine Pfarrerin, die auf die Menschen zugeht und sich für sie interessiert. Und da ist ein Kirchgemeindepräsident, der sich seit Jahrzehnten unermüdlich in der Kirche und im Dorf engagiert.
Zu viel Lob ist beiden unangenehm, dem Kirchgemeindepräsidenten und der Pfarrerin. Stattdessen steckt er ihr während des Gesprächs diskret einen Zettel zu. Es ist die Adresse einer Frau, die sich bei ihm gemeldet hat. Sie wolle in die Kirche eintreten.
Hinweis: Dieser Text ist zuerst im «Kirchenboten» der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St.Gallen erschienen.
(Im Hauptbild: Zwei Generationen, eine Gemeinde: Pfarrerin Nathanja Baumer-Schuppli (28) und Kirchgemeindepräsident Edi Ulmer (73). (Bilder: Stefan Degen/St. Galler Kirchenbote))
Stefan Degen ist Redaktor des «Kirchenboten» der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St.Gallen.
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