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Ein Mord zwischen Tradition und Moderne

Der Ausserrhoder Krimi-Autor wagt sich an die «heilige Kuh»: Wenn die Landsgemeinde zum Schauplatz für eine schreckliche Tragödie wird

Über die Landsgemeinde lassen die wenigsten Appenzeller etwas kommen. Der Schauspieler und Autor Christian Johannes Käser wagt sich mit seinem neuen Buch «Appenzeller Abrechnung - Jock Kobel und die Schatten der Landsgemeinde» dennoch in die Höhle des Löwen.

Manuela Bruhin am 02. September 2024

Christian Johannes Käser, Sie bezeichnen sich selber als «Heimweh-Appenzeller». Weshalb sind Sie der Ostschweiz überhaupt untreu geworden?

(Lacht). Das ist in erster Linie meinem Studium geschuldet, welches ich damals in Zürich absolviert habe. Und wie es so oft der Fall ist, bin ich dann hängengeblieben. Meine Frau liebt das Appenzellerland jedoch genau so wie ich, und wir sind deshalb häufig mit der ganzen Familie hier anzutreffen. Den Gedanken, wieder ins Appenzellerland zu ziehen, haben wir schliesslich wieder verworfen, weil es sich irgendwie nie ergeben hat.

Ihr neues Buch ist ein Krimi über die Landsgemeinde. Damit können sich wohl alle Appenzeller identifizieren – und für viele ist die Tradition der «Heilige Gral». Haben Sie keine Angst vor dem heiklen Thema?

Es ist schon sehr komplex, das stimmt. Ich bin ja im Kanton Appenzell Ausserrhoden aufgewachsen und erinnere mich noch gut daran, wie die Landsgemeinde schliesslich abgeschafft wurde. Rational habe ich das verstanden, weil viele ja nicht teilnehmen konnten, aber ich fand es irgendwie auch schade, weil ich die Landsgemeinden der 90er Jahre mit Frauen sehr schön fand.

Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie an die Landsgemeinde?

Besonders gut erinnere ich mich an das Landsgemeindelied, das gemäss meinen Recherchen gar nie zum offiziellen Teil gehörte. 1989 war ich als Jugendlicher selber mit an der Landsgemeinde dabei. Wir haben jeweils meinen Vater begleitet, wenn er und seine Kollegen von Herisau nach Hundwil gelaufen sind.

1989 war eine historische Landsgemeinde, weil damals im Kanton Appenzell Ausserrhoden das Frauenstimmrecht beschlossen wurde. Was ist Ihnen davon geblieben?

Ich stand dort oben und dachte erst, es sei abgelehnt worden. Es gab ja im Nachhinein viele, die überzeugt davon waren, dass es mehr Nein-Stimmen waren. Diese Theorie besteht bis heute – und einige Appenzeller untermauern noch immer ihr Misstrauen in die Regierung mit diesem Entscheid. Viele haben es nicht überwunden, dass ihnen quasi der «Vatertag» genommen wurde. Aber Traditionen müssen sich verändern, sonst sterben sie. Die Ausserrhoder Landsgemeinde hat das leider nicht geschafft .

Vieles, was in unserer Vergangenheit liegt, gibt nach und nach ein verklärtes Bild ab. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Wie es sich herausgestellt hat, habe auch ich einige falsche Erinnerungen an die Landsgemeinde. Ich dachte beispielsweise, dass es Gruppen gibt, die den Stuhl anzünden wollten. Während meinen Recherchearbeiten konnte mir das aber niemand bestätigen. Zudem war ich davon überzeugt, dass mein damaliger Nachbar in einer Gruppe unterwegs war, die bei einem Nein Böller zünden wollte. Aber auch das war nicht der Fall. Über all die Jahre habe ich mir wohl einiges zusammengereimt. Doch dieses «Was wäre, wenn…» bildete gleichzeitig auch die Ausgangslage für meinen Krimi – und ich habe einiges in meine Geschichte eingebaut.

Wie passt ein traditionelles Thema wie die Landsgemeinde und ein Krimi zusammen?

Ich hatte schon immer Lust, einen Krimi zu schreiben, der im Appenzellerland spielt. Als ich mir die Bilder vor Augen geführt habe, bin ich sehr schnell auf die Landsgemeinde gestossen. Natürlich möchte ich nicht zu viel über den Inhalt verraten, nur: Ein Vorfall, der an der Landsgemeinde 1989 passiert ist, steht im Zusammenhang mit einem aktuellen Mordfall.

Welches war die grösste Herausforderung für Sie?

Ich habe vorher bereits ein Sachbuch geschrieben, nun zum ersten Mal belletristisch. Das war schon eine Umgewöhnung. Und das Konstrukt eines Krimis muss schliesslich stabil sein. Wenn also das eine passiert, hat das wiederum etwas anderes zur Folge. Es ist wie eine Art Sudoku. Das Vorgehen habe ich im Vorfeld teilweise unterschätzt. Gott sei Dank hatte ich fleissige Testlesende und ein Lektorat, das mich sehr unterstützt hat.

Was gab es denn für Rückmeldungen der Testlesenden?

Einige meiner Testlesenden stammen aus der Ostschweiz – da sind schon einige Reaktionen an mich herangetragen worden. Mal waren es kleine «Schönheitsfehler», dass beispielsweise eine Metzgerei damals anders hiess, mal war es auch die Tatsache, dass man vom Landsgemeindeplatz in Hundwil den Säntis nicht sehen kann.

Das Buch erscheint am 17. September. Sind Sie schon nervös?

Die Vorfreude ist gross. Wenn das Buch dann erhältlich ist, bin ich schon sehr gespannt, wie es ankommen wird. Vor allem bei den Personen, die einen engen Bezug zum Appenzellerland und der dazugehörigen Tradition haben.

Wie haben Sie die Schreibphase erlebt? Wie schreiben Sie?

Ich habe vier Kinder und noch andere Jobs – ich kann es mir also nicht erlauben, mich wochenlang zurückzuziehen und durchzuschreiben. Das wäre zwar schön, aber eben: nicht machbar. Deshalb habe ich jeden Moment genutzt, der sich ergeben hat: an der Bushaltestelle, auf dem Spielplatz oder während der Ferien. Was übrigens für mich nicht schlimm ist. Ich finde es sehr entspannend, auf einem Campingplatz zu schreiben, während im Hintergrund der Discoabend läuft. Andere haben geschlafen oder in dem Fall getanzt, ich geschrieben.

Welche Schlagzeilen über die Landsgemeinde würden Sie gerne lesen?

Die Landsgemeinde schreibt wohl immer ihre eigenen Geschichten. Ich erinnere mich noch daran, wie an der Innerrhoder Landsgemeinde über die «fünf-vor-zwölf-Weiber» gesprochen wurde. Also Mütter, die kurz vor der Mittagspause noch nach Hause stressen und kochen. Solche Frauen waren vielen ein Dorn im Auge. Man wollte keine Veränderungen, die Frauen sollten Zeit für den Haushalt und die Kinder haben. Meine Protagonistin lehnt sich im Buch sehr stark gegen solche Meinungen auf. Es geht also letztlich auch um den Feminismus der 80er Jahre. Jock Kobel, mein Ermittler, muss sich in der heutigen Zeit damit und mit dem Mord an seiner Geliebten auseinandersetzten. Dass er lange in Zürich gelebt hat und keinen Appenzeller Dialekt mehr spricht, kommt nicht überall gut an. Ich hoffe, meine Lektüre unterhält die Menschen und sorgt für Spannung – nicht nur im Appenzellerland, sondern überall in der Schweiz.

(Bild: Carmen Wueest)

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Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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