Der Pflegenotstand hat in der Schweiz längst Einzug gehalten. Umso überraschender präsentieren sich die neusten Zahlen des Zürcher Stadtspitals, die sogar in der Politik Staunen auslösen. Wir fragen nach, ob die Ostschweizer Spitäler nachziehen.
Die Lösung liest sich «einfach»: Lohnerhöhungen und flexiblere Arbeitsmodelle. Im Zürcher Stadtspital konnte innerhalb eines Jahres die Fluktuation beim Pflegepersonal von 16 auf unter 10 Prozent gesenkt werden. Die Kosten für temporäre Mitarbeiter sind um ein Drittel gesunken, vermeldete jüngst der «Tagesanzeiger». Die Zahlen bringen sogar Politiker zum Staunen.
Ganz anders präsentiert sich derzeit die Lage in der Ostschweiz. Im Kantonsspital St.Gallen gehen die Emotionen hoch, nachdem bekannt wurde, dass rund 260 Stellen gestrichen werden.
In Appenzell Ausserrhoden musste kürzlich der Rettungsstützpunkt in Teufen für einige Stunden geschlossen werden – aufgrund von Fachkräftemangel. «Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist national angespannt», sagt Alain Kohler, Leiter der Unternehmenskommunikation des Spitalverbunds Appenzell Ausserrhoden. «Wir können vakante Stellen besetzen, jedoch nicht in jedem Fall so schnell, wie wir es uns wünschen.» Bisher mussten man jedoch keine Betten aufgrund eines Personalmangels schliessen.
Modelle werden überprüft
Derzeit erhalte man mehr Bewerbungen aus dem Kanton St.Gallen, als dies vor der Bekanntgabe der Sparmassnahmen der St.Galler Spitalverbunde der Fall war. Wäre also der Zürcher Weg einer, der auch in Appenzell Ausserrhoden eingeschlagen werden könnte? «Auch wir planen die Überprüfung der Arbeitszeitmodelle im pflegerischen Bereich, damit wir den Mitarbeitenden zukünftig eine noch grössere Flexibilität bieten können», sagt Kohler weiter.
Zusätzlich wolle man einen internen Springerpool aufbauen. Es sei wichtig, den Mitarbeitenden zeitgemässe Arbeitsbedingungen anbieten zu können – die nachhaltig wirken. Das Gesamtpaket müsse stimmen, so Kohler: «Dazu gehört nicht nur eine marktgerechte Entlöhnung, sondern beispielsweise auch eine gute Unternehmenskultur, Entwicklungsmöglichkeiten und Flexibilität.» Als Arbeitgeber fokussiere man sich auf diejenigen Massnahmen, die man selber beeinflussen könne.
Wichtige Ideen
Auch die Hirslanden Klinik Stephanshorn hat ihre Hausaufgaben gemacht, was den Pflegenotstand angeht. Anfang 2023 habe man das Projekt «ThinkTank» ins Leben gerufen. «Dafür haben wir verschiedene Mitarbeitende zu diversen Sessions eingeladen», sagt Christina Fenyödi, Leiterin Klinikstab und Marketing/Kommunikation. «Daraus sind wichtige und wertvolle neue Ideen entstanden, die wir gemeinsam prüfen und dann einführen wollen.» Als Beispiel nennt sie die Gestaltung des Dienstplanes, an welchem aktuell gearbeitet werde.
Bereits zuvor habe man eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie erreicht, flexible Arbeitszeiten und Flexverträge sowie faire Marktlöhne. «Wir haben seit 2015 eine BGM-Gruppe, die sich rund um Gesundheitsthemen für unsere Mitarbeitenden beschäftigt», sagt Fenyödi weiter.
Man tue also bereits viel, um den Pflegenotstand abfedern zu können. Ausruhen wolle man sich dennoch nicht. «Es ist ein stetiger Wandel, an dem wir aktiv mitarbeiten – für unsere Mitarbeitenden, aber auch für unsere Patientinnen und Patienten.»
Ziel ist, die Mitarbeitenden zu halten
Auch die Spital Thurgau AG ist vom Fachkräftemangel im Gesundheitswesen und insbesondere in der Pflege betroffen. «Und selbstverständlich beschäftigen auch wir uns mit Möglichkeiten, diesen Herausforderungen positiv und konstruktiv zu begegnen», sagt die Personalverantwortliche Silja Drack. «Ziel soll es sein, unsere Mitarbeitenden bei uns halten zu können, indem wir mit ihnen an neuen Möglichkeiten der flexiblen Arbeitsgestaltung arbeiten wie beispielsweise Flex-Modelle, Mitwirkung bei Dienstplanungen oder neue Organisationsformen.»
Zudem setze man – noch stärker als früher – auf die Ausbildung des eigenen (Pflege-)Nachwuchses, investiere wesentlich in den Bereich der Personalentwicklung und biete Karrierechancen sowohl im Hinblick auf Führungs- wie auch auf Expertenlaufbahnen an. «So haben wir zum Beispiel in einigen Bereichen sogenannte Advanced-Practice-Nurse-Modelle (APN) etabliert», sagt Chief Nursing Officer Agnes König, Pflegedirektorin am Kantonsspital Münsterlingen. Dabei handelt es sich um erfahrene Pflegefachpersonen mit Nachdiplomausbildungen und erweiterten Kompetenzen. Im Rahmen der Anstrengungen um die Arbeitgeberattraktivität werde man ab nächstem Jahr die Führungsverantwortlichen mit auf den Weg nehmen und sie mit einem neuen CAS in Zusammenarbeit mit der FH Ost für die Zukunft stärken.
Eine Zukunft, die herausfordernd ist. Der Pflegenotstand werde sich weiter akzentuieren, so Alain Kohler. «Die Babyboomer gehen in Pension. Vor diesem Hintergrund ist beispielsweise zu erwarten, dass die Babyboomer-Generation zunehmend ärztliche und pflegerische Betreuung benötigt und somit die Spitaleintritte zahlreicher werden.»
(Bild: Archiv)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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