Es ist schon eine Kunst, als Künstlerin oder Künstler in der aktuellen Phase den Optimismus nicht zu verlieren. Die Rheintalerin Jessica Matzig folgte ihrem Ruf, als sie sich für die Schauspielerei entschied. Das Wagnis hat sie für die durchaus gelohnt. Bis Corona kam.
Jessica Matzig, als Künstlerin hatte man es schon vor Corona nicht einfach. Nun hat sich die Situation noch verschärft. Wie geht es Ihnen?
Ich glaube, mir wurde plötzlich bewusst, wie viel Glück ich eigentlich vor Corona hatte. Bereits bevor ich maturiert habe, hatte ich mein erstes festes Schauspielengagement und habe stets mehrere Produktionen pro Jahr gespielt. Als ich dann nach meinem Psychologiestudium, das ich vorwiegend mit der Schauspielerei finanziert habe, doch noch ein Schauspielstudium in London angehängt habe, hatte ich ein bisschen Angst, dass meine Abwesenheit dazu führen würde, dass ich plötzlich «weg vom Fenster» sein könnte.
Wieso das?
Unter anderem auch deshalb, weil man uns im Studium förmlich eingebläut hat, dass wir uns keine falschen Vorstellungen machen sollten... «Da draussen wartet niemand auf euch» und «macht euch darauf gefasst, dass überhaupt gar Nichts passieren wird im ersten Jahr nach Abschluss der Ausbildung» wurde uns ständig eingetrichtert.
Bei Ihnen verlief es aber anders…
Ja. Ich habe kurz nach meinem Abschluss meinen ersten deutschen Film für die ARD in einer Hauptrolle gedreht, was natürlich ein absoluter Ausnahme- und Glücksfall war. Daneben habe ich weiterhin in Theaterproduktionen gespielt. Corona hat jedoch alles verändert. Ich habe noch nie so lange nicht gespielt. Entsprechend kann ich eigentlich auf die anfangs gestellte Frage eine kurze Antwort geben: Es geht mir in und mit der aktuellen Situation nicht besonders gut.
Die Möglichkeiten, als Schauspielerin tätig zu sein, sind seit dem Frühling 2020 komplett eingebrochen?
Bei mir persönlich wurde im Jahr 2020 fast alles abgesagt. Ich habe damals im Januar noch gedreht, aber alle weiteren Produktionen wurden dann nach und nach gestrichen. Ich drehte während dieser Zeit noch zwei Werbungen. Aber davon kann man ja nicht ein Jahr lang überleben. Zumindest nicht in der Schweiz. In Deutschland sind die Tagesgagen und Buyouts für Werbeproduktionen deutlich besser.
Aktuell sieht es auch nicht besser aus?
Zwei grosse Projekte die für 2021 geplant gewesen wären, sind mittlerweile auch abgesagt worden. Die Verunsicherung wächst, die Hoffnungslosigkeit auch. Man fragt sich: Wie lange wird es noch so weitergehen?
Ich führe aktuell Regie bei «Frank der Fünfte», ein Dürrenmatt-Stück, das im Mai in Zürich Premiere feiern soll. Jedoch ist ein normales Proben in der aktuellen Situation natürlich nicht möglich. Werden wir aufführen können? Wer weiss…
Kämpfen Sie mit Existenzängsten?
Natürlich. Das Künstlerleben – zumindest wenn man, wie ich, nicht aus wohlhabendem Hause stammt – ist ein Leben am Limit. Und das auch ohne Corona. Aber gewisse Kompromisse geht man einfach ein, wenn man «seinem Ruf» folgen möchte. So sehe ich das. Ich war mir dessen immer bewusst und habe meinen Weg zwar nicht mit Naivität – daher aus das abgeschlossene Psychologie- und Pädagogikstudium – aber mit einem gewissen Optimismus verfolgt. Corona hat allerdings einiges verändert. Ich fühle mich aktuell sehr verunsichert. Als freischaffende Künstlerin habe ich keinerlei Entschädigung für ausgefallene Projekte erhalten und mittlerweile sind auch alle Ersparnisse aufgebraucht.
Tauscht man sich immerhin in der Branche untereinander aus?
Meiner Meinung nach zu wenig. Ich versuche seit einiger Zeit die Leute hier in der Schweiz etwas zusammenzubringen, habe zum Beispiel die Online-Gruppe «Female Filmmakers Switzerland» gegründet und versuche auch sonst für Austausch zu sorgen. So möchte ich gerne in Zukunft Industry Get-Togethers, Industry-Speed-Datings etc. organisieren. Aber das ist ja im Moment leider nicht möglich. Zumindest nicht in Persona. Mir fehlt der Zusammenhalt und der Austausch, den ich in London erlebt habe, sehr. Da gibt es so viele verschiedene Support- und Networking-Gruppen für Schauspieler und andere Künstler. Hier in der Schweiz fühle ich mich oft etwas alleingelassen mit meinen Sorgen, Fragen und Existenzängsten. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich lange im Ausland gespielt habe und hier in meiner Heimat weniger gut vernetzt bin.
Sie bieten auch Schauspiel-Workshops an. Bitte Ihnen dieses weitere Standbein aktuell etwas Sicherheit?
Leider nicht, da ich im Moment ja keine Workshops durchführen darf. Im Februar hätte mein erster mehrwöchiger Kurs starten sollen. Nun verschiebt sich alles auf unbestimmte Zeit. Da ich sehr körper- und bewegungszentriert arbeite und die Teilnehmenden miteinander interagieren müssen, ist auch eine Online-Version des Kurses keine befriedigende Option für mich.
Falls dann wieder möglich, was kann man als Teilnehmerin oder Teilnehmer von einem solchen Workshop erwarten?
Sofern ich den wunderbaren Testimonials meiner bisherigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern Glauben schenken darf, würde ich es wohl am ehesten auf das Wort «Transformationserfahrung» herunterbrechen. Das ist im Übrigen auch mein Ziel. Und ich glaube, dass ich ein einzigartiges Skillset mitbringe, das mir ermöglicht, Menschen zu helfen, diese Transformationserfahrung zu machen. Es geht darum, über sich selbst hinauszuwachsen, alte Verhaltensmuster und Traumata abzulegen. Schauspiel ist Psychologie. Selbst wer nicht auf die Bühne oder vor die Kamera möchte, tut gut daran, an einem solchen Workshop oder Kurs teilzunehmen. Es ist direkte, angewandte und unmittelbare Persönlichkeitsentwicklung.
Wie sehen Sie die nahe Zukunft?
Ich habe das Gefühl, ich stehe an einem Wendepunkt in meinem Leben. Ich merke, wie müde ich von dieser Warterei, dieser Abhängigkeit und der Unvorhersehbarkeit, die ich in meinem Schauspielberuf aushalten muss, geworden bin. Natürlich bin ich mir bewusst, dass vieles davon gerade mit Corona zu tun hat, dass es bei mir vorher ja eigentlich nicht schlecht lief. Aber alles, was in meinem Beruf sowieso schon schwierig war, hat sich irgendwie um das X-fache erhöht, seitdem dieses verdammte Virus unseren Alltag dominiert.
Worauf werden Sie sich demnach fokussieren?
Ich habe aus einer Mischung von Interesse, plötzlich vorhandenen Zeitressourcen und kognitiver Hypostimulation im Jahr 2020 meine therapeutische Weiterbildung mit Fokus auf Sexual- und Paartherapie begonnen, die ich nebenbei absolviere und gut mit meinen künstlerischen
Tätigkeiten vereinbaren kann. Daneben sind aber aktuell noch andere Projekte in der Pipeline. Für mich ist es sehr schwierig, meinen Fokus auf eine Sache zu richten, da ich vielseitig interessiert bin. Aber ich versuche gerade herauszufinden, wie ich meine Ressourcen am gewinnbringendsten und befriedigendsten einsetzen kann.
Was an der «Welt von früher» vermissen Sie am meisten?
Neben der Ausübung meines Berufs? Die Unbeschwertheit, die Freiheit, das Zusammensein, Umarmungen, Berührungen allgemein. Alles Sachen, die wichtig wären, um psychisch gesund zu bleiben. Und ich vermisse, dass man sich früher nicht mit dem schmerzhaften Gedanken auseinandersetzen musste, dass jeder andere Mensch automatisch eine potentielle Gefahr für die eigenen Gesundheit und die Gesundheit seiner Liebsten darstellt. Dass man sich plötzlich gegenseitig mit Misstrauen und Argwohn begegnet, finde ich furchtbar. Ich frage mich, was das mit der menschlichen Psyche anstellt. Überhaupt: Dass dieser ganze Corona-Wahnsinn uns als Gesellschaft dermassen spaltet, macht mich sehr traurig. Seit Monaten dominiert dieses eine Thema alle Kanäle. Ich bin echt Corona-müde und wünsche mir von ganzem Herzen, dass dieses traurige Kapitel bald ein Ende findet.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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