Zwischen Münchwilen und Frauenfeld entwickelte sich einst ein Hotspot der Textilindustrie. Der einstige Wirtschaftsstandort hat sich zu einem Naturrefugium mit Vorbildcharakter gewandelt.
Vor rund hundert Jahren spielte sich laut einem Zeitungbericht zwei Mal täglich eine eindrückliche Szene ab: In Dreierkolonnen marschierten Mädchen von Münchwilen TG ins benachbarte St. Margarethen, und später wieder zurück. Unterwegs beteten sie den Rosenkranz. Die jungen Fabrikarbeiterinnen der Tüllindustrie (heute Swisstulle AG) stammten aus Italien. Von 1916 bis 1963 wurden sie von Menzinger Schwester nach dem klösterlichen Motto «Bete und arbeite» betreut.
Boom setzte vor 150 Jahren ein
Ihre einstige Unterkunft im Zentrum von Münchwilen wird mittlerweile als Wohnhaus genutzt. Das markante Baudenkmal ist eines der zahlreichen Zeugen der einst boomen Industrie im strukturschwachen Hinterthurgau, die um 1830 begann. Für Fachleute für Fabrikkultur hatte die einstige Industrieachse entlang der Murg nationale Ausstrahlung.
Fluss als Energieträger
Die Murg als industrielle Lebensader entspringt auf rund 1000 m ü. M. am Hörnli und fliesst auf rund 400 m ü. M. bei Frauenfeld in die Thur. Auf relativ kurzer Strecke reihten sich die Textilbetriebe, dazu gehörten unter anderem die Strumpffabrik in Münchwilen sowie die erwähnte Tüllindustrie in St. Margarethen, die Zwirnerei Rosental, die Weberei Wängi und die Spinnerei, spätere Färberei Murkart. Zusätzlich zu den Fabriken wurde in der Region auch in Heimarbeit in der Textilindustrie Geld verdient.
Die Arbeitsbedingungen waren laut Zeitzeugen hart und das Einkommen trotz langen Arbeitszeiten bescheiden; das Personal bestand kaum aus qualifizierten Berufsleuten. Schliesslich entzog die Konkurrenz aus Billiglohnländern der Unternehmen die Existenzgrundlage. Ehemalige Betriebsgebäude werden heute als Shops, Ateliers und Kitas und weiteres mehr genutzt.
Bahn für Warentransport
In der Blütezeit der Textilwirtschaft wurde eine Schmalspur-Bahnverbindung zwischen Wil und Frauenfeld eingerichtet. Die Haltestellen sowie sind Relikte aus dieser Entwicklungsphase.
Ab 1850 bestanden Pläne für Bahnverbindung zwischen Wil via Frauenfeld nach Schaffhausen. Allerdings liess sich das benötigte Kapital nur mit Mühe beschaffen. Es dauerte bis 1887 bis insgesamt von drei Dampfloks gezogenen Züge auf den Schmalspurgleisen fuhren und Arbeitskräfte, Rohstoffe sowie industrielle Produkte transportierten. Die angestrebte Erweiterung nach Schaffhausen wurde fallengelassen.
Gütertransport eingestellt
Ab 1907 wurden der Güter- und der Personentransport getrennt, auf diese Weise konnte der Fahrplan zuverlässiger eingehalten werden. Ab 1970 konnten Normalspurige-Güterwagen mit entsprechenden Rollböcken transportiert werden. Im Jahr 2000 wurde der Güterverkehr schliesslich eingestellt. Seit 2003 wird der Bahnbetrieb der Frauenfeld-Wil- Bahn operativ von den Appenzeller Bahnen geführt.
Sichtbare Zeichen der einstigen Blütezeit
Die ehemals boomende Industrie im Murgtal erweist sich heute als Vorteil für Mensch und Natur. Die einst zur Energiegewinnung genutzten Gewässer wurden renaturiert und bilden heute ein Refugium für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten sowie Erholungsraum für die Menschen. Herausragende Beispiele sind etwa die Weiher zwischen Wängi und Rosental. Die mit einer Patina überzogenen Mechaniken der Wasserstandsregulation an den Ufern erinnern an den einstigen Zweck dieser künstlich angelegten Gewässer.
Erneute Energiegewinnung
Seit wenigen Jahren spielt die Energieerzeugung mit dem Wasser der Murg erneut eine Rolle. Vor einigen Jahren erwachte schweizweit neues Interesse an dezentraler Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, dazu zählen auch die Kleinwasserkraftwerke. In der Nähe von Matzingen sowie in Sirnach wird wieder Strom produziert.
Die Gründe für die staatliche Förderung dieser Anlagen ist einerseits die Sicherstellung der Stromversorgung. Im Weiteren sind sie eine Alternative zu den landschaftlichen Nachteilen von grossen Stauseen und von Windkraftanlagen sowie zu den Risiken von Kernkraftwerken mit ihrem ungelösten Abfallproblem.
(Fotos: Adrian Zeller; PD)
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
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