Nach der erfreulichen Nachricht, dass die Wasserqualität in der Sitter gestiegen ist, stellt sich die Frage: Wie können sich die schwindenden Fischbestände erholen? Die Experten gehen davon aus, dass die Ursachen dafür nicht überall behoben werden können.
Das typische OpenAir-Szenario dürften wohl die meisten Festivalbesucher kennen: Oben wird die schwache Strömung der Sitter dafür genutzt, um seine Blase nach einer durchzechten Nacht zu entleeren, während einige Meter weiter unten das Wasser als Abkühlung dient – ein wahrlich schmutziges Vergnügen.
Aber auch ausserhalb des Festivals rümpften wohl die Meisten in der Vergangenheit die Nase, wenn jemand einen Schwumm in der Sitter wagte – die Wasserqualität war, gerade im Bereich der Kläranlagen, nicht gerade die beste. «Früher hatte das Gewässer wirklich keinen besonders guten Ruf», sagt Michael Eugster, Leiter Amt für Wasser und Energie, und Präsident der Sitterkommission, im Gespräch.
Keine Überraschung
Was die Wasserqualität betrifft, hat die Kommission nun erfreuliche Nachrichten. Diese wurde nämlich in den vergangenen Jahrzehnten immer besser, wie die Untersuchungen der Sitterkommission zwischen 2020 und 2023 belegen. Das Wasser zu schlucken, sei aber nach wie vor keine gute Idee.
Dennoch herrscht nicht nur Freude über die neusten Zahlen. Denn: Die Fischbestände sind nämlich weiter zurückgegangen. Ein Abwärtstrend, der sich bereits seit vielen Jahren schweizweit bestätigt. Die jüngsten fischereilichen Bestandsaufnahmen in der Sitter konnten noch elf Fischarten und einige Edel- und Steinkrebse nachweisen. Sieben der Fischarten und beide Flusskrebse sind potenziell gefährdet oder gar vom Aussterben bedroht. Zwar sei man vom Ergebnis nicht überrascht, sagt Eugster. «Gerade auch deshalb, weil in vielen Gewässer in der Schweiz die Fischbestände unter Druck sind.»
Sie lieben die Kälte
Dennoch gestaltet sich eine Problemlösung als schwierig. Eine wichtige Ursache ist der Klimawandel und die oft sehr hohen Wassertemperaturen im Sommer. In der eher kühlen Sitter sind in vergangenen Sommern im Unterlauf schon Wassertemperaturen deutlich über 25 Grad gemessen worden. «Gerade Bachforellen und Äschen sind kälteliebende Fischarten», sagt Michael Kugler, Amt für Natur, Jagd und Fischerei.» Diesen Fischarten wird es heute in der Sitter im Bereich zwischen St.Gallen und der Mündung in die Thur bei Bischofszell zu warm. Im unteren und mittleren Teil der Sitter breiten sich dafür die wärmetoleranteren Fischarten wie Barbe, Schneider und Strömer aus.»
Tiere fangen
Damit der Fischbestand überhaupt erfasst werden kann, sind spezielle Methoden nötig. Mit der bewilligungspflichtigen Elektrofischerei können die Fische schonend gefangen werden. Dabei werden sie ganz leicht betäubt, anschliessend gezählt und vermessen. Zum Schluss werden sie wieder in die Freiheit entlassen. «Diese Methodik ist bei geschulter Anwendung für die Fische sehr schonend», so Kugler weiter. Die sinkenden Zahlen werden von den Erträgen der Angelfischerei verdeutlicht: 1990 betrug der Ertrag 4.2 Tonnen Fisch. 2021 lag der Anteil noch bei 141 Kilogramm.
Schwankende Wassermassen
Nicht nur das steigende Klima, sondern auch die Wasserkraftnutzung führt in der Sitter dazu, dass der Fischbestand weiter zurückgeht. Einige der Stauwerke sind überhaupt nicht oder nur eingeschränkt fischgängig. Zusätzlich erschweren die Wehre der Wasserkraftanlagen den natürlichen Transport von Geschiebe und Kies. Durch die unregelmässige Stromproduktion kann der Abfluss stark schwanken. «Beim sich täglich wiederholenden sogenannten «Schwall und Sunk», können Jungfische, aber auch Insektenlarven und andere Kleintiere entweder stranden oder aber sie werden verdriftet», sagt Kugler.
Natürliche Problemlösung
Früher wurde im Oberlauf im grossen Stil Kies aus der Sitter entnommen. Dieser fehlt nun denjenigen Fischarten, die ihren Laich ins Kiesbett ablegen. Könnte nicht immerhin dieses Problem gelöst werden, indem erneut Kies in die Sitter geschüttet wird? Theoretisch sei dies zwar nicht ausgeschlossen, sagt Eugster. «Es ist aber viel besser, wenn dies auf natürliche Art passiert – dazu braucht es eine Sanierung der Wehranlagen und noch ein paar Jahre länger Geduld, damit sich der Kies weiter flussabwärts bewegt.»
Auch die Aussetzung von Jungtieren in der Sitter sei nicht zielführend – solange die Probleme wie die Klimaerwärmung bestehen bleiben. «Der Lebensraum bleibt dann forellenfeindlich – und das nützt schliesslich auch den jungen Fischen nichts», ergänzt Kugler.
Wichtige Sanierung
Deshalb sei die Sanierung der Kraftwerksanlagen die einzige Lösung, um das Gewässer wieder «fischfreundlicher» zu machen. In den kommenden Jahren müssen die Inhaber ihre Anlagen entsprechend den Bestimmungen im Gewässerschutzgesetz in den Bereichen Fischgängigkeit, Schwall und Sunk sowie Geschiebetransport sanieren. Ein langwieriges Projekt, weiss Eugster. «Das wird über viele Jahre dauern.» Ob es dann für viele Fische nicht zu spät ist? «Wir hoffen, dass die gewünschten Verbesserungen eintreffen werden.»
(Bild: Depositphotos)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.