An der Kolosseumstrasse 21 in der Stadt St.Gallen erinnert seit Donnerstag ein Stolperstein an das traurige Schicksal von Arthur Bernhard Vogt. Er wurde von der Schweiz ausgewiesen und von den Nazis ermordet.
Am 12. September 1944 wurde Arthur Bernhard Vogt in München mit dem Fallbeil hingerichtet. Er war beim Versuch verhaftet worden, illegal von Vorarlberg über den Rhein in die Schweiz zu gelangen, um seine Eltern in St.Gallen zu besuchen. Das legten ihm die Nazis als «Feindbegünstigung» aus. Zuvor war der homosexuelle und als «unstet» geltende Vogt von der Schweiz ausgewiesen worden. Vogt kam 1912 in Gossau als Sohn einer Schweizerin und eines aus dem heutigen Tschechien stammenden Vaters zur Welt. Die Familie lebte danach in St.Gallen.
Erinnerungen der Nichte Vogts
«Diese Geschichte wurde in unserer Familie totgeschwiegen», erzählte Monika Oberleitner-Vogt an der feierlichen Steinsetzung am Donnerstagmorgen, 28. September. Sie ist die Nichte Arthur Vogts. Erst ihr Cousin Michael Fuchs sei auf das Schicksal Vogts gestossen und habe es mit dem Innsbrucker Historiker Niko Hofinger recherchiert. Über das jüdische Museum in Hohenems gelangte die Geschichte zum Verein Stolpersteine. Sie sei dankbar, sagte Monika Oberleitner-Vogt, dass mit dem Stolperstein Arthur Vogt «als Opfer des Nazi-Terrors, aber auch einer verklemmten Gesellschaft jener Zeit anerkannt» werde.
Die St.Galler Stadträtin Sonja Lüthi nannte die Steinsetzung in ihrem Grusswort ein «Zeichen gegen das Vergessen» und ein «Mahnmal für den Erhalt einer solidarischen, sicheren und vielfältigen Gesellschaft». Schicksale wie jenes von Arthur Vogt liessen aufhorchen und machten tief betroffen.
Die öffentliche Feier an der Kolosseumstrasse 21 in St.Gallen wurde umrahmt von Bandoneon-Klängen des St.Galler Musikers Martin Amstutz. Die Klasse 4cnp der Kantonsschule am Burggraben in St.Gallen legte Rosen auf dem Stolperstein nieder.
Grösstes dezentrales Mahnmal weltweit
Die Stolpersteine sind ein Projekt des deutschen Künstlers Gunter Demnig, an dem er seit 1992 arbeitet. Die Stolpersteine sind Pflastersteine mit gravierter Messingoberfläche, die am Ort des Lebensmittelpunktes der Opfer in den öffentlichen Grund eingelassen werden. Die Inschrift fasst deren Leidensgeschichte in Stichworten zusammen. Die Steine sollen an das Schicksal von Menschen erinnern, die in der NS-Zeit verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die mittlerweile rund 100’000 Steine in über 20 Ländern gelten als grösstes dezentrales Mahnmal der Welt.
Der Verein Stolpersteine Schweiz hat die ersten Stolpersteine 2020 in Zürich gesetzt. Weitere Stolpersteine gibt es inzwischen in Winterthur, Basel und Bern. Bereits zuvor wurden in Kreuzlingen und Tägerwilen von der Initiative Stolpersteine für Konstanz drei Stolpersteine in Erinnerung an als Grenzgänger verfolgte Nazi-Opfer gesetzt. Der Verein Stolpersteine Schweiz will explizit an jene Nazi-Opfer erinnern, die zumindest einen Teil ihres Lebens in der Schweiz verbrachten, von den Schweizer Behörden nicht oder unzureichend geschützt oder gar an Nazi-Deutschland ausgeliefert wurden
Weitere Steinlegungen in der Ostschweiz
Die Gruppe Ostschweiz des Vereins Stolpersteine Schweiz besteht seit 2022. Koordiniert wird sie durch Roland Richter, den ehemaligen Präsidenten der Jüdischen Gemeinde St.Gallen. Die Feier zum Gedenken an Arthur Bernhard Vogt ist Auftakt zu einer Reihe weiterer Steinlegungen in der Ostschweiz. Als nächstens ist vorgesehen, im Frühjahr 2024 einen Stolperstein in Balgach zu legen, wo der Schweizer Kaufmann Jakob Lütschg aufgewachsen ist. Lütschg geriet im Zweiten Weltkrieg in Frankreich unverschuldet zwischen die Fronten, wurde von den Nazis ohne Anklage inhaftiert und krepierte im Konzentrationslager Buchenwald.
Dreistellige Zahl unbekannter Ostschweizer Opfer
Noch liegt das traurige Schicksal vieler Ostschweizer Opfer des Nationalsozialismus im Dunkeln. Bisherige, nicht abgeschlossene Recherchen lassen nach aktuellem Stand vermuten, dass eine dreistellige Zahl von Ostschweizerinnen und Ostschweizern dem Nazi-Terror zum Opfer fielen oder in KZ’s oder Gefängnisse gesteckt wurden. Weitgehend unbekannt ist beispielsweise, dass mindestens 30 Personen aus der Ostschweiz, die in süddeutschen Heil- und Pflegeanstalten untergebracht waren, von den Nazis im Rahmen der Euthanasiemorde vergast wurden.
Weitere Schritte
Um diese Schicksale aufzuarbeiten und an sie zu erinnern, ist seitens des Historikers Max Lemmenmeier und des Journalisten Jörg Krummenacher ein Buchprojekt in Vorbereitung.
Angedacht ist zudem, Erkenntnisse aus dem Projekt Stolpersteine mit dem Memorialsprojekt des Bundes zu vernetzen. Am 26. April 2023 hat der Bundesrat beschlossen, in Bern einen Erinnerungsort für die Opfer des Nationalsozialismus zu realisieren. Ergänzend dazu soll im Kanton St.Gallen ein nationaler grenzüberschreitender Vermittlungs- und Vernetzungsort entstehen.
«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund 300'000 Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG, ein Tochterunternehmen der Galledia Regionalmedien.
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