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Traumatherapiestopp in Littenheid

«Es ist uns bewusst, dass wir Irritation und Sorgen ausgelöst haben»

Die vom Therapiestopp betroffen DIS-Patienten wünschen sich, dass ihre Traumatherapie in Littenheid fortgesetzt werden kann. Klinikleiter Daniel Wild bedauert den Therapieunterbruch, erklärt die Situation und hofft, nach Mitte 2023 wieder aufnahmefähig zu sein.

Michel Bossart am 28. Februar 2023

Letzte Woche beklagten sich zwei DIS-Patientinnen der Littenheider Traumastation in Die Ostschweiz über den Therapiestopp, der aufgrund medialer Berichterstattungen über «Satanic Panic» und «Mind Control» - beziehungsweise aufgrund eines entsprechenden Untersuchungsberichts - verfügt wurde. Bei der Redaktion haben sich weitere betroffene Patienten gemeldet, die sich dankbar zeigten, dass für einmal auch ihre Sicht in der Presse zu lesen war.

Die Vorwürfe an die Klinik Littenheid lauten, dass nicht nur keine neuen DIS-Traumpatienten aufgenommen würden, sondern dass auch bestehende Patienten ihre Therapie derzeit nicht fortsetzen können. Im Interview mit Die Ostschweiz nimmt Klinikleiter Daniel Wild zu diesen Vorwürfen Stellung.

Herr Wild, wie und in welcher Form wurden die Traumapatienten und -patientinnen über den Therapiestopp informiert?

Die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Traumafolgestörungen wurde in Littenheid nicht gestoppt. Ein vorübergehender Therapiestopp betrifft die Gruppe der Betroffenen mit sogenannter Dissoziativer Identitätsstörung (DIS). Die Information der Betroffenen erfolgte persönlich über ihre Therapeutinnen und Therapeuten in Littenheid.

Zwei Patientinnen beklagten sich bei uns über mangelnde Transparenz in der Kommunikation. Können Sie diesen Vorwurf nachvollziehen?

Es ist uns bewusst, dass wir mit unserem Entscheid, vorübergehend keine Patienten mit eine DIS-Diagnose aufzunehmen, auch Irritation und Sorge ausgelöst haben. Das Wohlergehen unserer Patienten hatte und hat auch zukünftig immer oberste Priorität. Nicht zuletzt deshalb wollen und müssen wir in ihrem Sinne unsere Konzepte überarbeiten.

Eine Betroffene klagt, dass man ihr als Alternative einen Aufenthalt in einer Akutstation empfohlen habe. Sie sagt aber, dass dies allenfalls für suizidale Patienten hilfreich sei, für sie persönlich aber extrem triggernd und kontraproduktiv. Ihre Entgegnung?

Der Aufenthalt auf einer Akutstation wurde als Notfallszenario für krisenhafte Situationen angeboten. Unter solchen Krisensituationen sind nicht nur suizidale Krisen zu verstehen, sondern auch andere behandlungsbedürftige Notfallsituationen. Wir hoffen, dass wir unseren Patienten damit eine ausreichende Sicherheit gewähren können, bis wir unsere Konzepte überarbeitet haben und wieder bereit sind, eine umfassende Therapie für Betroffene mit Dissoziativer Identitätsstörung anzubieten

DIS-Patienten finden kaum andere Therapieplätze in der Schweiz oder nur mit langen Wartezeiten. Ist es verantwortbar, die Traumapatienten ohne Beistand selbst auf die Suche nach einem neuen Therapieangebot zu schicken?

Wir hatten bisher ein spezifisches stationäres Behandlungsangebot für komplex traumatisierte Patienten, inklusive für solche mit einer Diagnose der Dissoziativen Identitätsstörung (DIS). Aufgrund der Umsetzung der geforderten kantonalen Massnahmen wird dieses Behandlungskonzept derzeit überarbeitet und entsprechend aktuellen Anforderungen in der Traumabehandlung angepasst. Wir bedauern es sehr, dass wir während dieser Zeit keine Patienten mit einer DIS-Diagnose aufnehmen können. Grundsätzlich sollte aber jede Psychiatrische Grundversorgungsklinik in der Lage sein, für Betroffene mit Erkrankungen aus dem Spektrum der Dissoziativen Störungen eine Behandlung anzubieten.

In einer Medienmitteilung der Clienia hiess es, dass derzeit keine neuen Traumaptienten aufgenommen werden. Der Therapiestopp betraf aber auch bestehende Intervallpatienten. Warum?

Es ist nicht richtig, dass keine Traumapatienten mehr aufgenommen werden. Der Aufnahme- und Therapiestopp gilt ausschliesslich für jene Patienten mit einer DIS-Diagnose. Da der Untersuchungsbericht aufzeigte, dass unser bisheriges Konzept zur Behandlung solcher Diagnosen nicht mehr den aktuellen Anforderungen entspricht, können natürlich auch keine weiteren Therapieintervalle nach diesem Konzept durchgeführt werden.

Wäre es für Sie denkbar, dass bestehenden Intervallpatienten wieder eine Therapieperspektive in Littenheid zugesichert werden kann (mit konkreten Terminen)?

Wann genau wir wieder bereit sein werden, Patienten mit einer DIS-Diagnose eine professionelle und evidenzbasierte Therapie anbieten zu können, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die Entwicklung eines fundierten und gestützten neuen Konzeptes beansprucht Zeit. Dazu gehört insbesondere auch die Schulung unserer Mitarbeitenden. Natürlich setzen wir alles daran, DIS-Patienten so schnell wie möglich wieder eine Behandlungsperspektive anzubieten, auf die sie sich verlassen können. Wir rechnen damit, dass wir für diese Gruppe Betroffener ab der zweiten Hälfte 2023 wieder aufnahmefähig sein werden. Wir bedauern sehr, dass wir DIS-Patienten bis dahin keine Behandlung anbieten können und sie an andere Institutionen verweisen müssen.

Die Ostschweiz hat auch der Stiftung «pro mente sana» Gelegenheit gegeben, zu den geäusserten Vorwürfen, von der Stiftung sei trotz Versprechen keine Hilfe gekommen, Stellung zu nehmen. Die Pressestelle meldete, dass sich Stiftungsratspräsident Thomas Ihde direkt dazu äussern würde. Bis zur Publikation dieses Artikels ist auf der Redaktion allerdings keine entsprechende Stellungnahme eingetroffen.

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Autor/in
Michel Bossart

Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).

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