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Kirchenmann auf Abwegen

Historischer Skandal: Ostschweizer Pfarrer mit brauner Gesinnung

Vor über vier Jahrzehnten wurde in St. Gallen West ein Holocaustleugner entlarvt. Besonders pikant: Er war ein beliebter Gemeindepfarrer. Nach seiner Enttarnung wählten ihn die Gläubigen ab. Seiner extremistischen Sichtweise ist er treu geblieben.

Adrian Zeller am 03. September 2024

Gegenüber einem Reporter von SRF machte der 1980 interviewte Mann verstörende Aussagen: «Erwiesen ist, dass es nie Vernichtungslager - wie das lange Jahre behauptet wurde - auf deutschem Reichsgebiet gab.» Der Medienmann hakte nach: «Aber in Polen?» Der Befragte wand sich und zögerte, bevor er mit seinem osteuropäisch gefärbten Akzent antwortete: «Es wird behauptet.»

Auf dem heutigen Staatsgebiet Polens wurde während des 2. Weltkriegs das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau betrieben. Es gilt als das grösste seiner Art auf dem damals von der Wehrmacht besetzten Gebiet - die Geschichtsschreibung geht von 1,1 Millionen Ermordeten aus. Der Mann, für den solche Tatsachen lediglich Behauptungen sind, heisst Gerd Zikeli, Jahrgang 1937.

Er gehört der Minderheit der Siebenbürger Sachsen in Rumänien an. Dort studierte er Theologie. Gemäss eigenen Angaben wanderte er 1964 mit offizieller Erlaubnis aus der kommunistischen Diktatur nach Deutschland aus. Dort nahm er eine Stelle als Vikar an. 1968 wechselte er in die Schweiz und wirkte im zürcherischen Stallikon als evangelisch-reformierter Pfarrer.

Angebliche Spenden für Kommunisten

Ziekli weigerte sich in Stallikon an einer Sammelaktion für die Hilfswerk HEKS und Brot für Brüder teilzunehmen, weil sich diese seiner Meinung nach von kommunistischen Bewegungen einspannen liessen. Dadurch war seine Wiederwahl gefährdet, deshalb nahm er 1976 eine neue Pfarrstelle in St. Gallen West an.

Pfarrer

Drei Jahre später enttarnten ihn Jürg Frischknecht, Peter Haffner, Ueli Haldimann und Peter Niggli in ihrem Handbuch «Die unheimlichen Patrioten» als Nazi. Ziekli selber bezeichnete die Publikation als «marxistisches Pamphlet».

Die Folge: Mit 1072 Stimmen, dies sind 96,5 Prozent, wurde der bis anhin beliebte Kirchenmann von seiner Gemeinde abgewählt. 1981 verliess er die Schweiz in Richtung München, dort führte er ein Buchantiquariat. Österreich und die Schweiz belegten ihn mit einer Einreisesperre. Zikeli gelangte an den St. Galler Regierungsrat und später ans Bundesgericht, um die Sperre aufheben zu lassen. Beide Instanzen lehnten sein Begehren ab.

Extremistische Propaganda

Die rechtsextreme Gesinnung Zikelis hatte eine lange Vorgeschichte, die er sorgsam verbarg. Unter dem Pseudonym Robert Schmid publizierte er in extremistischen Zeitschriften Artikel. Er selber äusserte gegenüber SRF, dieses Pseudonym sei von verschiedenen Autoren benutzt worden.

Der Pfarrer war in den siebziger Jahren unter anderem Mitbegründer der rechtsextremen Organisation Nationale Basis Schweiz (NBS), Herausgerberin der einschlägigen Zeitschrift «Visier, Für ein geeintes Europa freier Völker». Zikeli war einer ihrer fleissigsten Autoren. In dieser Zeit hielt er in Deutschland auch Vorträge mit zweifelhaften Aussagen, wonach der Zweite Weltkrieg als Notwehrreaktion gegen den Bolschewismus entfesselt worden sei. Dieser basiere auf dem Hass, der in Marx als Erbe seiner Rabbinerahnen rumorte, also eine antisemitische Anspielung.

Treffen von Holocaustleugnern

Auch nachdem er die Schweiz verlassen hatte, liess Zikeli nicht von seiner besonderen Perspektive bezüglich Vernichtungslager ab. So soll er am 21. April 1990 (einen Tag nach dem Geburtstag Adolf Hitlers) im Münchner Löwenbräukeller am Nazikongress «Wahrheit macht frei» teilgenommen haben. Unter den rund 800 Teilnehmenden sassen eine Reihe von einschlägig bekannten Schlüsselfiguren der Naziszene. Hauptredner war der verurteilte britische Holocaust-Leugner David Irving.

Pfarrer

Zeitweise wirkte Zikeli als Privatsekretär des ehemaligen Wehrmachtsoffiziers und Naziaktivisten Otto Ernst Remer. Dieser wurde mehrfach wegen Volksverhetzung und anderer Delikte verurteilt.

Der geschasste Pfarrer verfasst noch immer Beiträge in rechtsextremen Zeitschriften. 2014 publizierte er einen Artikel mit dem Titel: «Entschiedener Widerstand gegen den Genozid-Plan am Deutschen Volk durch Masseneinwanderung». In Neonazikreisen wird behauptet, mit Flüchtlingsströmen soll die Gesellschaft in Europa gezielt destabilisiert werden. Hinter dieser Strategie steckt angeblich eine jüdische Verschwörung.

Sammelbecken von Nazis

Zikeli ist «alter Herr» der Burschenschaft Arminia Zürich zu Heidelberg (vulgo Klingsor). Der Männerbund gedachte unverhohlen dem 9. November 1923: Damals unternahm Hitler mit Getreuen in München einen Putschversuch, der niedergeschlagen wurde.

Die 1946 gegründete Arminia-Organisation gilt als Sammelbecken von Nazifreunden und -nostalgikern. Die Regierung des Landes Baden-Württemberg schreibt auf eine Abgeordnetenanfrage: «Die «Burschenschaft Arminia Zürich zu Heidelberg» war bis 2008 aktiv und wurde im Jahr 2012 im Raum Karlsruhe von Rechtsextremisten reaktiviert. Seitdem nennt sie sich «Burschenschaft Arminia Zürich zu Karlsruhe», agiert regional im Raum Karlsruhe und ist rechtsextremistisches Beobachtungsobjekt des LfV (Landesamt für Verfassungsschutz; Anm. d. Red.) Bei ihr handelt es sich allerdings nicht um eine Burschenschaft im klassischen Sinne, sondern faktisch um eine rechtsextremistische Kleinstgruppierung, die burschenschaftliches Brauchtum nachahmt.»

(Bilder: pd)

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Autor/in
Adrian Zeller

Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.

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